Kapitel 58 - Tükische Maskerade

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Hastig rappelte ich mich wieder auf. Das war das Letzte, was passieren sollte. Aber nun war es zu spät. Melissa wusste, dass ich es war.

»Jetzt machen eure Fragen Sinn!«, schrie sie, »Ihr fiesen Ratten! Was wollt ihr?« Sie ging auf Meggie zu und riss ihr die Maske vom Gesicht. Damit waren wir beide aufgeflogen.

»Wenn hier jemand eine Ratte ist, dann du!«, erwiderte ich aufgebracht, »Sag mir sofort, dass ich Recht hatte und du jemanden angeheuert hast, der mir Drohbriefe schickt!« Meine Stimme war schrill.

Ich hasste Melissa. Sie sollte mit der Wahrheit rausrücken.

»Du hast doch einen an der Meise!«, kreischte sie, »Ich habe nichts geplant! Ich habe besseres zu tun! Und George Haal ist nicht mein Onkel.«

Verbittert lachte ich auf. »Du kannst mir keine Lügen auftischen! Ich habe dich doch an seinem Grab gesehen! Du hast geweint und Blumen auf das Grab gelegt!«

Melissa erstarrte. Scheinbar fehlten ihr die Worte.

Sie sah zu kurz Bree, die in der Ecke kauerte. Dann stützte sie ihre Hände in die Hüften. »Ich bin euch keine Erklärungen schuldig! Wenn ihr mir nicht glaubt, ist das euer Problem! George Haal ist nicht mein Onkel! Kapiert?«

Ich ballte die Hande zu Fäusten. Wieso leugnete sie die verdammte Wahrheit? Ich konnte mich vor Wut nicht mehr beherrschen und lief direkt auf sie zu. Wutentbrannt stürzte ich mich auf sie, sodass sie schreiend auf dem Boden landete und ich direkt auf ihr.

Bree quiekte vor Schreck und Meggie stieß ebenfalls einen überraschten Seufzer aus.

»Warum lügst du mich an?«, schrie ich und verpasste Melissa eine schellende Ohrfeige.

Schockiert sah sie mich an, dann holte sie aus und boxte mir in die Magengrube. Ich stöhnte vor Schmerz.

Plötzlich drehte sie den Spieß um. Auf einmal war sie diejenige, die oben saß und die Kontrolle hatte. Wütend schlug sie mir ins Gesicht.

Der Zickenkrieg wäre bestimmt ewig so weitergegangen, wenn Bree und Meggie uns nach zwei Minuten nicht auseinander gezerrt hätten. »Es reicht!«, schrie Bree verzweifelt und hielt Melissa fest, »Die Lügen müssen aufhören!«

Ich wusste es doch!

Keuchend blieb ich auf dem Boden sitzen und starrte Melissa an, die mir finstere Blicke zuwarf.

Bree schüttelte den Kopf. »Melissa ist nicht mit George Haal verwandt. Er ist nicht ihr Onkel. Sie war nur an seinem Grab, weil ihr jemand gedroht hat!«

Ich glaubte ihr kein Wort. Ich hatte Collins Stammbaum. Der war der glasklare Beweis dafür, dass Melissa und Bree logen. Gerade wollte ich noch etwas sagen, als Meggie mir die Hand auf die Schulter legte und mich zurückdrückte.

Überrascht weitete ich die Augen, als sich sah, dass Melissa weinte. Ihr Gesicht bedeckte ein Tränenschleier. Was war denn jetzt los? Der Teufel hatte Gefühle?

»An dem Tag«, schluchzte sie, »Habe ich einen Anruf bekommen. Ich sollte nach Raystown fahren, dich auf mich aufmerksam machen... und an das Grab gehen... ansonsten hatte er damit gedroht meiner-« Ihr brach das Wort ab. Ein ersticktes Wimmern entwich ihrer Kehle.

Bree legte beruhigend ihre Hand auf Melissas Schulter und sah uns an. »Er hat gedroht, ihrer Mutter etwas Schlimmes anzutun«, vervollständigte sie den Satz.

Plötzlich fühlte ich mich furchtbar. Diese Tränen, die Melissa vergoss, waren echt. Jede einzelne. Ich wollte ihr glauben, aber was war dann mit dem Stammbaum, den Collin mir besorgt hatte?

Nachdem Bree und Melissa den Raum verlassen hatten, beschloss ich Collin anzurufen. Irgendetwas stimmte nämlich nicht. Entweder Melissa war eine Expertin in der Schauspielkunst oder Collin hatte irgendetwas falsch gemacht.

Als ich auf mein Handy sah, bemerkte ich, dass ich bereits mehrere verpasste Anrufe hatte. Einige stammten von Jayden, andere waren sogar von Collin selbst. Seit einer Stunde versuchte er mich zu erreichen. Gerade erschien wieder sein Bild auf dem Display. Hastig lief ich auf den Balkon und nahm ab. Meggie winkte mir noch einmal zu und verschwand dann durch die Tür.

Ich war alleine. Schnell nahm ich Collins Anruf entgegen und legte das Handy an mein Ohr.

»Endlich!«, hörte ich ihn sagen, »Ich versuche dich schon seit einer halben Ewigkeit zu erreichen!«

»Sorry. Ich habe deine Anrufe nicht bemerkt«, entschuldigte ich mich, »Aber ich wollte dich gerade auch anrufen. Es geht um Melissa! Sie-«

Ehe ich den Satz beendet hatte, tat es Collin für mich. »Sie ist nicht mit George Haal verwandt.«

Kurz hielt ich die Luft an. »Wie hast du das herausgefunden?«

Collin lachte verbittert auf. »Ich war an meinem PC und habe mir noch ein paar Stammbäume angeschaut. Jetzt halt dich fest! Plötzlich sah der Stammbaum von Melissa ganz anders aus! George Haal fehlte! Er war nirgends zu sehen! Ich habe nachgeforscht und die beiden sind null miteinander verwandt.«

Dann sprach er das aus, was ich nicht wahrhaben wollte. »Irgendjemand muss uns letztens in der Umkleide belauscht haben und hat die Seite, bevor ich sie mir ansehen konnte, manipuliert! Wir wurden reingelegt! Schon wieder.«

Ich biss die Zähne zusammen. Das durfte doch nicht wahr sein.

»Wetten, dass war auch die Person, die sich schon einmal meinen PC gehackt hat und das Video von uns online gestellt hat?«, regte Collin sich auf, »Ich habe sofort meine komplette Firewall geprüft! Aber wer auch immer da am Werk gewesen ist, war ein Profi! Er hat keine Spuren hinterlassen. Nichts!«

Ich kaute auf meiner Unterlippe herum. Der Typ im schwarzen Van war uns immer einen Schritt heraus. Anstatt meinem Verfolger einen Schritt näher zu kommen, entfernten wir uns nur weiter von ihm. Im Dunkeln tat er sein Unwesen und wir konnten nichts gegen ihn unternehmen.

»Danke für deine Mühe, Collin«, murmelte ich enttäuscht und verabschiedete mich von ihm. Verzweifelt lehnte ich mich an das Gitter des Balkons und atmete die Herbstluft ein. Ich wurde hereingelegt. Schon wieder.

Melissa war unschuldig. Die ganze Zeit hatte ich sie verdächtigt. Das ganze Spionieren heute Abend. Umsonst. Meine ganze Mühe nicht aufzufallen? Auch umsonst.

Mein Verfolger hatte mich die ganze Zeit an der Nase herumgeführt. Er hatte mich auf eine komplett falsche Fährte gelockt. Er quälte mich.

Ich stieß einen Seufzer aus. Die Partymusik von unten drang bis zu mir. Alle amüsierten sich - alle außer ich.

Niedergeschlagen zog ich mir die Perücke vom Kopf und betrachtete sie im Mondschein. Im Nachhinein hätte ich mir nicht einmal dieses Kostüm besorgen müssen. Melissa und Bree wussten jetzt, dass ich es war. Auch Josh hatte mich von Anfang an durchschaut.

Ich fragte mich, wer noch alles von meiner Verkleidung wusste. Zumindest nicht Jayden. Denn er suchte mich schon den ganzen Abend. Ich fühlte mich grausam. Ich hatte Melissa zum Weinen gebracht und Jayden enttäuscht. In dem Eifer herauszufinden, wer mein Verfolger war, hatte ich so viele Menschen verletzt.

Das Mindeste, was ich jetzt tun konnte, war Jayden die Wahrheit zu sagen.

Ich beschloss auf seine Nachrichten zu antworten und ihm zu sagen, wo ich steckte. Zögernd wählte ich seine Nummer und legte mir das Telefon an das Ohr.

Doch dann fiel mir plötzlich noch eine Sache ein, die ich Bree und Melissa noch nicht gefragt hatte.

Woher wussten die beiden von meiner Wunde?

Sofort legte ich wieder auf.

Die beiden wussten doch etwas!

Auch wenn Melissa kein Motiv hatte mir zu schaden. Sie wusste anscheinend, wer mich am Bauch verletzt hatte. Sie konnten mir sagen, wie es dazu gekommen war! Vielleicht war der Abend doch nicht umsonst!

Hastig setzte ich meine Perücke und Maske wieder auf und verließ den Balkon.

Ich wollte gerade durch die Tür gehen, als jemand sie direkt vor meiner Nase zuschlug.

Ich zuckte zusammen.

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