Teil 2 - Das Altbewährte

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Nervös sah ich erneut auf mein Handy. 14:56.
Für 15 Uhr hatten wir uns verabredet. Seit das feststand, waren mir immer wieder neu Szenarien durch den Kopf gegangen. Wir würde das Treffen wohl ablaufen? Mehrere Monate hatten wir uns nicht gesehen, nicht geschrieben oder telefoniert. Kein Kontakt. Jetzt saß ich hier im Café und blickte nervös hinaus auf die Straße. Sicher würde er gleich kommen. Wie sollte ich ihn begrüßen? Umarmen? Die Hand geben? Fragen über Fragen...
"Mary?" Verträumt blinzelte ich und sah hinauf zu dem jungen Mann, der mich soeben angesprochen hatte. Erschrocken stand ich auf und bat ihn, sich zu setzen. Wir umarmten uns nicht und ihm die Hand zu geben, kam mir doof vor, also ließ ich es. Ich setzte mich wieder und sah ihn an.
"Wie geht es dir?", fragte er und lächelte leicht. Ich rückte meine Brille zurecht und zuckte dann mit den Schultern.
"So weit ganz gut und dir?"
"Es geht so. Ich hab gehört, dass du noch ein Buch rausgebracht hast, mit diesem Harry.", sagte er. Man sah ihm an, dass es ihm schwer fiel, es auszusprechen und ich konnte es nachempfinden.
"Ja, das haben wir. Und was hast du so gemacht, die letzte Zeit?", fragte ich, um vom Thema abzulenken. Er schmunzelte und fuhr sich durch seine Haare. Erst da fiel mir auf, dass sie etwas kürzer waren.
"Ich habe gekündigt. Mir ging das ganze Reisen auf die Nerven. Es hat nicht nur uns sondern auch meine anderen Freundschaften belastet und das wollte ich nicht mehr.", sagte Lucas. Er sah mich an und als ich ihm tief in die Augen sah, sah ich den Schmerz in seiner Seele.
"Eine gute Entscheidung. Und was machst du jetzt?"
"Ich arbeite bei einer kleineren Firma und mache im Endeffekt das Gleiche wie vorher, nur von einem Büro aus.", sagte er.
"Das freut mich.", sagte ich und lächelte. Lucas nickte und sah aus dem Fenster.
"Immer, wenn es regnet, muss ich daran denken, wie du immer dick eingewickelt mit Sammy vor dem Fenster gesessen hast. Du fehlst mir." Als Lucas das sagte, gefror mir das Blut in den Adern. Mit so einem Geständnis hatte ich nicht gerechnet.
"Ähm, ja. Du mir auch.", sagte ich, denn irgendwie stimmte es. Seit er mir am Tag der Signierstunde diese Nachricht geschrieben hatte, hatte ich viel an ihn gedacht. Ich hatte mich an viele schöne Dinge erinnert, die wir erlebt hatten und abends in den Erinnerungen schwelgend mit Sammy auf dem Sofa gesessen.
"Ich stand letztens vor deinem Haus. Renoviert ihr?", fragte er. Es schien Lucas genau so unangenehm zu sein, über die Vergangenheit zu reden.
"Mehr oder weniger. Ein Wasserschaden zwingt uns dazu." Lucas staunte.
"Wasserschaden? Das ist nicht gut. Das heißt dann wohl, dass du im Moment bei Malya wohnst.", schlussfolgerte er. Für ihn war das die nahste Möglichkeit, da er ja nicht genau wusste, wie nah Harry und ich uns tatsächlich standen.
"Naja, nicht wirklich. Ihr neuer Freund ist grade dabei bei ihr einzuziehen, da wäre für mich wohl nicht mehr genug Platz.", sagte ich und schmunzelte.
"Also mal wieder ein Hotel. Hängt dir das nicht langsam zum Hals raus?" Ich spielte mit dem Ring an meinem Finger, um mich vor der Richtigstellung dieses Missverständnisses zu drücken. Auch wenn mir klar war, dass ich die Tatsache, dass ich bei Harry wohnte, nicht für immer geheimhalten konnte.
"Auch nicht. Ich wohne bei einem Freund.", sagte ich. An Lucas' Blick erkannte ich, dass er genau wusste, von dem ich sprach. Er sagte nichts, nickte nur und sah wiedermal aus dem Fenster. Ich beobachtete ihn dabei und sah dann zu Sarah, die mich besorgt ansah.
"Wieso hast du dem Treffen zugestimmt?", fragte Lucas plötzlich. Ich sah fragend zu ihm und stotterte dann.
"Wie-was meinst du?"
"Wieso hast du dem Treffen mit mir überhaupt zugestimmt, wenn du doch so viel lieber etwas mit Harry machst?", fragte er. Ich schluckte und zuckte mit den Schultern. Leichte Wut stieg in mir auf. Was genau hatte das hier mit Harry zu tun?
"Was hat das mit Harry zu tun?"
"Eine ganze Menge, Mary. Alleine die Tatsache, dass du bei ihm wohnst zeigt ja schon alles. Wie lange kennt ihr euch jetzt? Ein Jahr, nicht mal ganz. Und wie lange waren wir zusammen? Wie oft habe ich dich gefragt, ob wir zusammen ziehen wollen? Wie oft hast du mir gesagt, dass du deinen Freiraum brauchst?" Lucas schrie mich fast an, während ich mir nur wünschte im Fußboden zu versinken. Es stimmte, dass ich ihn bei diesem Thema stets abgewiesen hatte, doch dies war nicht im Geringsten mit meiner derzeitigen Situation zu vergleichen.
"Dass ich momentan bei Harry wohne ist etwas ganz anderes. Es ist ja nicht so, als hätte ich mir ausgesucht, dass meine Wohnung geflutet wird. Außerdem habe ich bei Harry mein eigenes Zimmer, es ist also mehr eine WG. Aber was rechtfertige ich mich überhaupt? Es geht dich nichts mehr an, was ich mache und wo ich mit dem wohne. Ich hatte meine Gründe, dass ich nicht mit dir zusammenziehen wollte und das weißt du auch.", beendete ich meine Rede und schnaufte. Lucas sah mich schockiert an. Seine Miene lockerte sich etwas und Schuldbewusstsein kam zum Vorschein.
"Ich, es tut mir leid, Mary. Es steht mir nicht zu, dir diese Dinge vorzuwerfen. Du hast Recht, es geht mich nichts mehr an, was du machst. Aber ich möchte nicht, dass es so ist. Die letzten Monate habe ich so oft an dich und an uns denken müssen und wie schön alles war. Damals kam mir die Trennung nicht falsch vor, aber inzwischen tut sie es. Ich vermisse dich und lieben tue ich dich auch noch immer, also wollte ich, nein ich musste dich wiedersehen, um zu wissen, wie es bei dir aussieht." Ich blickte ihn einfach nur an, las in seinem Gesicht, dass dies der Wahrheit entsprach und schluckte. Was sollte ich ihm darauf antworten? Ich freute mich, Lucas zu sehen, doch liebte ich ihn noch?
„Ich habe dich auch vermisst, ehrlich, aber ich weiß nicht, ob ich die Trennung rückgängig machen möchte. Lass uns doch einfach noch einmal von vorne anfangen. Wir verbringen etwas Zeit miteinander und sehen dann weiter."

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt