Teil 72 - Kisten

221 17 0
                                    

„Und mehr hat er wirklich nicht dazu gesagt?", fragte Sarah verwundert. Ich nickte und nahm einen Schluck von meinem Tee.
„Ich denke, es ist auch besser, wenn wir nicht allzu viel darüber reden. Immerhin wollen wir ja beide jetzt gerade keine Kinder."
Sarah ging zum Tresen, um neue Kunden zu bedienen. Als sie kurz darauf wieder zu mir kam, hatte sie Unsicherheit in ihrem Blick
„Meinst du wirklich, dass Harry keine Kinder will? Für mich klingt das nicht ganz so, als wäre er dem abgeneigt. Wieso sollte er es sonst vorschlagen..." Ich sah sie an und dachte an das Gespräch mit Harry. Irgendwie hatte Sarah ja Recht, immerhin hatte Harry sehr überzeugt ausgesehen, als er mir vorgeschlagen hatte, Kinder mit ihm zu bekommen.
„Ich weiß es nicht. Allerdings bin ich mir sicher, dass ich es im Moment nicht möchte. Vielleicht reden wir demnächst noch mal ganz in Ruhe darüber. Harrys Neffe ist übrigens jetzt krebsfrei.", sagte ich. Nur zu gerne wollte ich von Harry und mir ablenken.
„Das ist sehr schön."
„Und seine Schwester ist schwanger.", sagte ich.
„Was für ein Zufall." Sarah zwinkerte mir zu und machte sich dann wieder an die Arbeit. Ich sah aus dem Fenster und ließ mich vom leisen Plätschern des Regens beruhigen. Dann schrieb ich etwas weiter an meinem neuen Buch. Nach der kreativen Pause hatte ich nun zahlreiche neue Ideen und kam gut damit voran. Aus diesem Grund hatte ich heute Nachmittag auch noch einen Termin mit Haley. Sie schrieb mir seit letzter Woche, wie aufgeregt sie wegen des neuen Buches war. Was vielleicht auch daran lag, dass sie noch nie einen Bestseller bearbeitet hatte. Ich fand es angenehm, weil sie sich sehr viel Mühe in der Zusammenarbeit mit mir gab.
Etwa eine runde später zahlte ich meinen Tee und verließ da Café. Ich hatte noch etwas mehr als zwei Stunden, bevor ich zu Haley musste, also beschloss ich Lea zu besuchen. Zu meinem Glück war sie sogar zuhause.
„Oh, Madame lässt sich auch mal wieder blicken.", sagte sie sarkastisch und nahm mich in den Arm.
„Haha, als ob wir uns. Nicht vorgestern erst gesehen hätten."
„Ja und? Ich bin deine beste Freundin und brauche eben auch meine Zeit mit dir.", meckerte sie. Ich folgte ihr lachend ins Wohnzimmer und ließ mich dort auf die Couch fallen.
„Erschöpft?" Ich schloss meine Augen und nickte.
„Vom Schreiben oder von deinem Schönling?", fragte Lya. Ich sah sie an und seufzte.
„Ich weiß nicht. Da das Schreiben mein Ausgleich ist, liegt es wohl an Harry."
„Immer noch wegen der Schwangerschaft?", fragte Lya besorgt. Es tat gut, mit ihr darüber zu reden, weil sie außen vor war und so einen besseren Überblick über die gesamte Situation hatte.
„Ja. Ich traue dem Ganzen nicht so. Harry wollte gestern nicht mehr weiter drüber reden und wirkt so abwesend und auch abweisend. Vielleicht steht es jetzt einfach zwischen uns."
„Aber das sollte es nicht.", merkte Lya an. Traurig sah ich auf meine Hände.
„Nein. Was wenn er jetzt nicht mehr mit mir zusammen sein will?", fragte ich. Meine Freundin zog mich in ihre Arme und strich mir über den Rücken.
„Harry hat dich ohne Baby lieben gelernt, wieso sollte er dich jetzt nicht mehr lieben? Es hat sich nichts an euch verändert. Nur der reine Gedanken an ein Kind kann eine Liebe nicht zerstören." Es ergab Sinn, was Lya sagte, doch beruhigen tat es mich nicht.
„Es ist nur, dass ich spüre, wie er sich von mir entfernt. Vielleicht war es eben doch falsch, es zu versuchen..." Lya bewegte sich ruckartig. Sie nahm mein Gesicht in ihre Hände und zwang mich so, ihrem mahnenden Blick standzuhalten.
„Sag so etwas nie wieder! Ihr habt so lange gebraucht, bis ihr endlich zueinander gefunden habt und das kannst du jetzt nicht einfach so anzweifeln, nur weil es mal nicht so gut läuft. Ihr habt schon weit schlimmeres durchgestanden und werdet es auch dieses Mal schaffen. Hörst du?" Ich nickte und Lya ließ mich los.

„Du hast ja Recht. Ich weiß auch, dass ich nicht Schluss machen will, doch es ist so schwer im Moment."

„Das ist ja auch normal. Ihr habt euch so sehr in ein Baby reingesteigert, da ist es ja kein Wunder, dass das jetzt zwischen euch steht, wo ihr keins bekommt. Mir würde es da ähnlich gehen. Dass Harrys Schwester jetzt auch noch schwanger ist macht es sicherlich nicht einfacher. Deswegen müsst ihr auch darüber reden. Es hilft nichts, wenn ihr euch aus dem Weg geht.", sagte meine Freundin. In mir drinnen wusste ich, dass sie Recht hatte und dass ich dringend mit Harry reden musste. Doch wie sollte ich das nur bewältigen?

„Ich muss jetzt zu Haley, aber ich werde mir Gedanken darüber machen. Danke.", sagte ich zu Lya und verabschiedete mich kurz darauf. Auf dem Weg zu meiner Lektorin dachte ich natürlich an Harry und was ich nun mit ihm machen sollte. Wahrscheinlich wäre es das einfachste, wenn wir bei einem angenehmen Essen darüber reden würden.
Mit diesem Gedanken trat ich positiv gestimmt durch die Tür, hinter der mich ein gigantische Chaos empfing.

"Haley?", rief ich nach meiner Lektorin. Irgendwo hörte ich ihre Stimme und kurz darauf tauchte ihr Kopf hinter einer Kiste auf.

"Mary? Was machst du denn hier? Verdammt, jetzt sag nicht, ich habe den Termin mit dir vergessen..." Sie seufzte und stellte dann eine Kiste beiseite, um zu mir zu gelangen.

"Was ist denn hier los?", fragte ich verwirrt.

"Das willst du gar nicht wissen. Bei uns wurden so einige Stellen gestrichen und deswegen räumen wir um. Wir bekommen jetzt neue Kollegen, die sonst ebenfalls ihren Job verloren hätten." Ich setzte mich auf einen Stuhl und meine Lektorin nahm auf einer der Kisten vor mir Platz.

"Ganz ehrlich? Ich kann froh sein, dass Hank dich an mich abgegeben hat, sonst wäre ich jetzt wohl auch arbeitslos. Naja, was kann ich für dich tun?", fragte Haley gehetzt.

"Ich habe dir ein paar Leseproben mitgebracht. Wollen wir vielleicht wo anders hin? Hier ist es laut und chaotisch.", sagte ich. Haley nickte und bat mich ihr zu folgen.

"Dürfen wir hier einfach so rein?", fragte ich, als wir Hanks Büro betraten. Unsicher sah ich mich in dem Raum um, in dem ich meinen ersten Vertrag unterschrieben hatte. Hier hatte ich jedes meiner Bücher abgegeben und veröffentlich. Hier hatte meine Karriere begonnen.

"Ja klar, Hank ist New York. Mal wieder. Du musst mir versprechen, dass du mich mitnimmst, falls es dich beruflich mal dorthin verschlägt."

"Klar, das lässt sich sicher einrichten.", sagte ich und lächelte Haley an.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt