Teil 3 - Im Einklang

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Nach dem Gespräch mit Lucas war ich mehr oder weniger erleichtert gewesen. Ich hatte es mir deutlich schlimmer ausgemalt.
Im Anschluss an das Gespräch war ich nach Hause, was hieß zu Harry, gefahren, doch er war nicht da gewesen. Ich setzte mich in das Gästezimmer und shoppte etwas im Internet. Wirklich nach etwas suchen tat ich nicht. Erstens, weil ich Shoppen im Internet nicht so mochte und zweitens, weil ich in Gedanken noch nicht angekommen war.
Einerseits fühlte ich mich gut, weil es schön war, vermisst zu werden und weil ich Lucas auch irgendwie vermisst hatte, immerhin waren wir ein paar Jahre zusammen gewesen. Andererseits fühlte ich mich verunsichert. Erst letzte Woche war ich mir noch so sicher gewesen, dass ich mit unserer Beziehung abgeschlossen hatte, doch nun saß ich hier auf dem Bett und grübelte. In der Trennungszeit und am Anfang meines Singlelebens hatte ich hauptsächlich die negativen Aspekte unserer Beziehung in den Vordergrund gerückt. 
Das war weder fair, noch richtig gewesen und jetzt während ich grade an die schönen Momente dachte, erwachte die Sehnsucht in mir. Ich war kein Mensch, der alleine leben wollte. Sicher, brauchte ich in manchen Aspekten mehr Freiheit als andere, aber das hieß nicht, dass ich auf Dauer alleine bleiben wollte. Jemanden, auf den ich mich verlassen konnte und der immer für mich da war, war, was ich brauchte.
Vielleicht war mir in letzter Zeit nicht bewusst gewesen, dass ich mir eine Beziehung wünschte, weil ich Harry hatte. Aber wer wusste das schon so genau.
„Mary?"
„Ich bin hier.", antwortete ich und stellte meinen Laptop zur Seite. Harry kam ins Zimmer und lächelte mich an.
„Wo warst du?"
„Das wollte ich dich grade fragen. Ich komme vom einkaufen und das Appartement ist leer. Hättest ja wenigstens einen Zettel schreiben können.", sagte er und klang dabei ernster, als er mit seinem Lächeln aussah.
„Tut mir leid. Ich wusste nicht, wie ich mit dir darüber reden sollte.", sagte ich und stand vom Bett auf. Harry ging den Flur entlang und ich folgte ihm bis in die Küche, wo der Einkauf noch stand.
„Aber du kannst doch mit mir über alles reden, Mary. Egal was es ist.". Verständnisvoll lächelte er mich an und  öffnete den Kühlschrank.
„Das weiß ich, aber irgendwie fand ich es komisch."
„Ich glaube, solange du nicht anfängst, über deine Periode zu reden, komme ich damit klar.", sagte Harry und lachte. Ich lachte ebenfalls und half ihm, die Lebensmittel wegzuräumen.
„Na gut, also, ich hab mich mit Lucas getroffen". Ich ließ es einfach raus und bereute es im nächsten Moment. Harry sah mich perplex an und runzelte die Stirn. Dann drehte er sich zum Kühlschrank und räumte ihn weiter ein,
„Siehst du, das meine ich.", sagte ich und stellte mich neben ihn.
„Ich wusste, dass ich nicht mit dir über Jungs reden kann und-„
„Das ist es nicht, Mary. Sicher kannst du mit mir über Jungs reden. Vielleicht sogar am besten, aber ich verstehe nicht, warum du dich mit ihm getroffen hast. Nach euerer Trennung hast du mir vorgeschwärmt, wie gut es dir doch geht und das habe ich auch selber gesehen. Deshalb kommt das ganze etwas überraschend.", unterbrach Harry mich. Ich sah ihn an und verstand schon, was er meinte. Für ihn mochte das ganze keinen Sinn ergeben, doch für mich waren das keine entscheidenen Punkte, um Lucas nicht wenigstens eine kleine Chance zu geben.
„Ich sage ja auch nicht, dass ich jetzt wieder mit ihm zusammen sein will. Wir haben uns nur getroffen und geredet. Bei ihm und auch bei mir hat sich einiges verändert und wir haben eine lange Zeit miteinander verbracht und das verbindet eben."
„Niemand sagt, dass du ihn jetzt nie wieder sehen kannst, ich verstehe es nur nicht.", sagte Harry und schloss den Kühlschrank. Ich erwiderte nichts, sondern ging einfach ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch. Während ich über das Gespräch nachdachte, kam Harry nach ein paar Minuten zu mir, setzte sich neben mich und sah mich an. Als ich nicht reagierte, schubste er mich leicht, was mich zum Schmunzeln brachte.
„Ey, was soll das?", fragte ich und schubste zurück.
„Willst du gar nicht wissen, wo ich heute war?" Ich sah Harry kurz an, während er breit grinste. Sein Blick machte mich neugierig, also harkte ich nach.
„Sag schon, wo warst du heute?" Harry lächelte und fuhr sich durch die Haare. Er lehnte sich etwas nach hinten, legte eines der Kissen auf seinen Schoß und fing dann an zu berichten.
„Ich war mit ein paar Freunden in einem Tonstudio." Erstaunt sah ich meinen Freund an und blinzelte. Hatte er das grade wirklich gesagt?
„Im ernst?", fragte ich. Harry nickte nur lächelnd.
„Das ist ja wundervoll!", rief ich und fiel ihm um den Hals. Harry fing mich auf und stimmte in mein Lachen ein, als wir nach hinten auf die Couch fielen.
„Das ist, wow, ich bin sprachlos. Du machst wieder Musik? Darauf müssen wir anstoßen!", rief ich und sprang auf. Ich lief die Küche, kramte Gläser und eine Flasche Champagner hervor und lief zurück ins Wohnzimmer, wo Harry bereits dabei war, die Musik aufzudrehen. Der Bass ertönte, als ich den Korken knallen ließ und jubelte. Harry hielt die Gläser und dann stießen wir an.
„Auf dich!", sagte ich.
„Auf die Musik!", verbesserte Harry. Ich nahm ein paar kleine Schlücke und begann mich im Takt der Musik zu bewegen. Harry tanzte um mich herum und sang laut mit. Ich folgte ihm mit meinem Blick und war unglaublich stolz auf ihn. Plötzlich nahm Harry mein Glas und stellte es zu seinem. Er ergriff meine Hand, legte sie an seine Schulter und drehte mich dann im Takt der Musik. Er wirbelte mich umher und stets zurück in seine Arme. Ich lachte und genoss den Einklang zwischen dem Tanz und der Musik. Gleichzeitig genoss ich den Einklang zwischen Harry und mir.
Ich war froh, hier wohnen zu dürfen und meine Zeit mit einem so guten Freund zu verbringen.
Vielleicht hatte Harry recht mit Lucas. In einem Moment wie diesem brauche ich ihn nicht. Denn ich hatte Harry.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt