Teil 70 - Silberstreif am Horizont

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„Ich bin jetzt krebsfrei.", sagte Luke. Alle begannen zu jubeln und fielen sich um den Hals. Gemma erklärte uns daraufhin, dass noch einige Tests gemacht werden müssten, doch offiziell war er krebsfrei. Nach dieser Verkündung begannen wir mit dem Essen.
„Möchte noch jemand Wein? Mary, Gemma?", fragte Harry. Nachdem ich heute die Nachricht bekommen hatte, nahm ich den Wein sehr gerne an, doch Gemma lehnte ab.
„Tut mir leid, ich darf leider nicht.", sagte sie und grinste. Anne verstand den Wink zuerst.
„Oh mein Gott, du bist schwanger?", rief sie. Gemma nickte und während Anne ihre Tochter und ihren Schwiegersohn drückte, sah ich sie einfach nur an. Harry drückte unter dem Tisch meine Hand, doch für mich war das zu viel.
„Entschuldigt mich kurz.", sagte ich und stand auf. Ich unterdrückte die Tränen, bis ich im Schafzimmer war. Diese ganze Situation war mir zu viel. Die Nachricht, dass Gemma schwanger war, brachte das Fass zum Überlaufen.
„Nein, Harry. Du magst sie am besten kennen, aber du kannst nicht verstehen, wie sie sich fühlt.", hörte ich Gemma vor der Tür sagen. Kurz darauf klopfte es leise an der Tür und sie betrat den Raum. Schweigend kam sie zu mir und setzte sich neben mich. Wir saßen dort ein paar Minuten so und es half, sodass ich das Bedürfnis hatte, darüber zu reden.
„Ich war heute bei meiner Frauenärztin.", sagte ich.
„Ich weiß, Harry hat es mir eben erzählt. Wie geht es dir?"
„Scheiße.", sagte ich und fing erneut an zu weinen. Gemma nahm mich in den Arm und drückte mich. Das beruhigte mich etwas.
„Ich kenne diese Situation, weißt du? Kurz nachdem wir die Diagnose für Luke bekommen haben, dachten wir, ich wäre schwanger.", sagte Gemma. Ich sah sie an und hielt ihre Hand dabei.
„Für uns war das wie der Silberstreif am Horizont. Etwas Hoffnung tat gut in so einer aussichtslosen Situation. Doch dann geschah, was dir heute geschehen ist. Wir haben uns darauf vorbereitet und am Ende sagte meine Ärztin mir, dass ich definitiv nicht schwanger wäre. Es brach mir das Herz und zerstörte beinahe John und meine Ehe."
„Wie habt ihr es überstanden?", fragte ich. Gemma lächelte mich an und seufzte.
„Wir haben darüber geredet. Man muss verstehen, dass das Baby nicht gestorben ist, sondern dass es nie ein Baby gab. Und ihr müsste verstehen, dass ihr ein Baby haben könnt, wenn ihr es wollte. Niemand hält euch davon ab. Außer ich vielleicht, denn jetzt bin erst mal ich an der Reihe." Ich lachte und drückte Gemma noch ein Mal.
„Danke, das hilft mir wirklich."
„Nichts zu danken. Lass uns etwas Essen gehen. Sicher dreht Harry schon durch.", lachte Gemma. Schmunzelnd trat ich hinter ihr aus der Tür und erblickte sofort Harrys besorgtes Gesicht.
„Alles gut?", fragte er. Ich küsste Harry und zog ihn dann zurück zum Tisch.
„Alles gut."
Der Rest des Essens verlief ruhig. Anne versuchte ihre Freude über das zweite Enkelkind zu unterdrücken, doch man sah ihr ihren Stolz deutlich an. Ich hielt Harrys Hand unter dem Tisch und freute mich für die anderen. Auch, wenn es einen leicht bitteren Nachgeschmack hatte.
Nach dem Essen half ich Harrys Mutter den Tisch abzuräumen.
„Wenn die Zeit gekommen ist, wird es geschehen.", sagte sie. Ich lächelte und nickte. Kurz darauf verabschiedete sich Harrys Familie. Ich mochte sie, war aber auch wirklich froh, als das Appartement wieder leer war und Harry und ich endlich Zeit für uns hatten.
„Was für ein anstrengender Tag.", seufzte ich und ließ mich auf die Couch sinken.
„Allerdings. Wie geht es dir jetzt?" Harry sah mir tief in die Augen und ich wusste genau, wovon er sprach. Ich schwieg, auch wenn mich die Antwort nicht lange überlegen ließ. Erschöpft schüttelte ich den Kopf und lehnte ihn dann an Harrys Schulter. Er küsste mich auf den Kopf und zog mich noch näher zu sich. Auf unserem Schoß verflocht er unsere Finger und drehte meinen Ring.
„Es ist vermutlich besser so.", sagte er leise. Ich sah zu ihm auf und küsste ihn.
„Ja, wahrscheinlich. Trotzdem hätte ich mich drüber gefreut."
„Ich mich auch. Aber das heißt ja nicht, dass wir jetzt nicht Kinder haben können.", sagte Harry. Verwundert sah ich ihn an. Meinte er das grade ernst?
„Wie? Also jetzt?", fragte ich. Harry zuckte mit den Schultern und setzte sich etwas auf.
„Ja, ich meine, wieso nicht? Du hast einen Job, ich habe einen Job, ich liebe dich und uns hält nichts davon ab." Harry klang euphorisch, als er über Kinder sprach.
„Mary?" Ich blinzelte und ergriff seine Hand. Das Ganze überforderte mich gerade ziemlich.
„Ich, ähm, ich weiß nicht. Das kommt jetzt alles grade etwas sehr plötzlich.", brachte ich mit Mühe heraus.
„Aber, ich dachte du möchtest Kinder." Harry sah mich traurig an.
„Ja, ja ich möchte Kinder. Aber nicht grade jetzt und ja, ich liebe dich, aber das geht mir jetzt doch alles etwas zu schnell.", sagte ich. Harry blickte zwischen meinen Augen hin und her, bevor er sich wieder rührte.
„Ich, ja du hast ja recht. Wir sollten jetzt noch keine Kinder kriegen. Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken.", sagte er und nahm mich in den Arm. Ich drückte mich an ihn und atmete seinen Duft tief ein. Es beruhigte mich etwas und ich konnte meine Gedanken sortieren. Entschlossen richtete ich mich auf, nahm Harrys Gesicht in meine Hände und zwang ihn mich anzusehen.
„Ich sage nicht, dass ich nie Kinder mit dir haben möchte. Wenn es weiter so gut läuft, wie bisher, werden wir sicher irgendwann Kinder bekommen. Nur eben nicht jetzt." Harry nickte und küsste mich sanft. Dann lehnte er seine Stirn an meine.
„Ich liebe dich so sehr.", hauchte er.
„Ich dich auch. Mehr als alles andere." Ich küsste Harry und setzte mich auf seinen Schoß.

"Allerdings können wir ja weiter üben. Immerhin macht Übung ja bekanntlich zum Meister.", sagte ich und grinste. Harry erwiderte mein Grinsen und stand mit mir auf dem Arm auf. Er trug mich ins Schlafzimmer und ließ mich auf das Bett fallen. Dann legte er sich neben mich und sah wie ich an die Decke.

"Loana ist ein wirklich schöner Name.", sagte er nach einer Weile. Ich wendete meinen Blick zu ihm und nickte. In diesem Moment war alles schön. Nur wir zwei.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt