Teil 18 - Reue

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„Guten Morgen.", sagte eine leise Stimme. Ich rollte mich zur Seite und zog die Decke etwas höher.
„Mary, aufstehen. Es ist schon fast mittags." Ich reagierte nicht und hoffte einfach, dass er verschwinden würde. Hatte er nicht irgendwas zu tun?
„Gut, wenn du nicht aufstehen willst, dann eben nicht. Ich gehe in die Küche und mache Frühstück.", sagte er. Ich spürte, wie er das Bett verließ und war mehr oder weniger zufrieden damit. So hatte ich wenigstens meine Ruhe. Als ich hörte, wie er in der Küche aktiv wurde, öffnete ich meine Augen. Ich zog die Decke etwas tiefer und blickte nach oben. So lag ich einen Weile da, um zu analysieren, wie ich mich nun fühlte. Es waren gemischte Gefühle, die ich vorfand. Eine Mischung zwischen Reue, Enttäuschung und Verzweiflung. Was ich jedoch nicht fand, waren Spuren von Befriedigung oder Liebe. Zumindest nicht im Bezug auf Lucas. Irgendetwas war da, doch ich verstand es nicht.
Ich drehte mich auf die Seite und sah aus den Fenstern. Der Himmel über London war wie so oft wolkenverhangen und lud nicht zum Aufstehen ein. Da ich mich jedoch nicht in diesem Zustand an den Frühstückstisch setzen wollte, zwang ich mich aus dem Bett und ins Bad. Ich zog meine Kleidung aus und stieg in die Dusche. Das warme Wasser tat gut und spülte, wenn auch nur für kurze Zeit, die Gedanken weg.
„Mary? Kommst du zum Frühstück?", hörte ich seine Stimme, doch sie klang viel zu nah. Ich drehte mich um, öffnete meine Augen und sah Harry in der Tür stehen.
„Verflucht, Harry. Ja, ich komme. Aber nur, wenn du hier raus gehst!" Während ich aufgewühlt zurück blieb, schloss Harry pfeifend die Tür und ging zurück in die Küche. Ich lehnte meinen Kopf an die Fliesen und versuchte tief durchzuatmen. Kurz darauf stieg ich aus der Dusche, trocknete mich ab und zog mir dann eins von Harrys T-Shirts an. Sie waren eben näher dran, als meine. Meine Haare hingen nass über meinen Rücken, als ich aus dem Schlafzimmer in den Flur trat und in die Küche ging.
„Geht es dir jetzt besser?", fragte Harry. Ich nickte und setzte mich auf einen der Hocker. Harry servierte ne Rührei, Speck und etwas Toast. Als er neben mir saß, begannen wir schweigend zu essen. Ich wusste, dass ich Harry eine Erklärung schuldig war, doch da ich mein Verhalten selber nicht verstand, würde das nicht allzu leicht werden. Doch wie ich Harry kannte, wusste ich, dass er mich sowieso ansprechen würde. Harry war vor mir fertig, stellte seinen Teller in die Spüle und lehnte sich dann mit seiner Tasse in der Hand an die Anrichte.
„Du weißt, dass ich dich jederzeit mitten in der Nacht irgendwo abhole. Doch ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn es das nächste mal nicht bei deinem Exfreund wäre und du nicht weinen würdest.", sagte er leise. Ich legte meine Gabel nieder und senkte den Blick. Die Erinnerung an letzte Nacht war schmerzhaft, weil ich es nicht erklären konnte. Ich spürte Harrys Hände an meinen und sah auf.
„Du musst da mir nicht erklären. Ich möchte nur nicht, dass es dir schlecht er. Verdammt Mary, ich mache mir Sorgen um dich! Verstehst du das?" Ich nickte leicht und unterdrückte die Tränen, die in mir aufstiegen.
„Sagst du mir, was passiert ist?", fragte er. Ich wollte es ihm sagen, weil er eine Erklärung verdient hatte. Doch ich wusste nicht wie. Wie sollte ich Harry erklären, was ich selber nicht verstand? Wie sollte ich ihm erklären, dass ich mit Lucas geschlafen hatte, um herauszufinden, ob da noch etwas zwischen uns war und einfach, weil ich Lust drauf gehabt hatte? Dass ich mich danach in meiner eigenen Haut nicht mehr wohl gefühlt hatte und nach Hause wollte? Dass mein Zuhause hier war und ich nach dem Abend nicht alleine hatte sein wollen und deswegen bei ihm geschlafen hatte? Letzteres war nicht das Ding, aber den Sex erklären konnte ich nicht.
„Mary?" Harry hob mein Kinn an und zwang mich, ihn anzusehen. Er versuchte in meinen Augen zu lesen, doch ich schloss sie.
„Ich wollte einfach nur nach Hause."
„Aber wieso? Was ist passiert? Hat er dich geschlagen, oder belästigt oder-„
„Nein Harry, er hat mich nicht geschlagen. Ich habe mit ihm geschlafen und mich danach so mies gefühlt, dass ich dort nicht mehr bleiben konnte.", platzte es aus mit heraus. Es war nicht Lucas, dem er die Schuld dafür geben konnte und sollte. Es war nur ich. Es war meine Schuld.
Harry nahm seine Hände von meinen und sah an mir vorbei. Was er jetzt nur von mir denken musste.
„Hast du jetzt wenigstens verstanden, dass er nicht gut für dich ist?", flüsterte Harry. Er sah mich dabei nicht an, weshalb ich nickte und dann antwortete.
„Ja, das habe ich. Wir hatten eine schöne Zeit, aber die ist vorbei." Harry nickte und ging aus der Küche. Er sagte kein Wort. Ich wusste nicht, was er nun fühlte und wieso genau er so reagierte, doch ich respektierte es. Ich räumte de Küche auf, spülte ab und lief dann in der Wohnung umher. Ich sah, dass Harrys Tür nicht ganz geschlossen war. Wäre sie es gewesen, wüsste ich, dass er seine Ruhe wollte, doch so zeigte er mir, dass ich nicht ausgeschlossen war. Das tat er immer so.
Ich überlegte, ob ich hinein gehen sollte, doch traute mich nicht. Was sollte ich sagen? Dass es mir leid tat und es sicher nicht wieder geschehen würde? Ich verwarf meine Gedanken, fasste all meinen Mut zusammen und öffnete die Tür. Harry stand mit den Rücken zu mir am Fenster. Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe, doch ich konnte nicht deuten, wie er sich fühlte. Langsam trat ich zu ihm und stellte mich einfach neben ihn. Keiner von uns sprach.
Nach einer Weile spürte ich Harrys Hand an meiner. Er drückte sie hielt sie dann fest. Ich atmete aus und lächelte leicht.
Es war keine leichte Situation, doch egal wie ausweglos sie für mich schien, ich hatte immer noch Harry.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt