Teil 12 - Zuhause?

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Etwa eine Stunde nach dem Telefonat mit Harry stieg ich ins Auto.
Meine Mum hatte mich da behalten wollen, doch ich hatte das Gefühl, als müsste ich dringend zurück nach London. Es störte mich nicht, im Dunkeln zu fahren und allzu spät würde ich ja auch nicht ankommen.
Die Straßen waren fast leer, nur wenige Transporter waren unterwegs und hin und wieder in PKW, doch die meiste Zeit war ich alleine. Leise schlich sich die Musik aus dem Radio in mein Ohr. Ich lauschte, doch meine Gedanken waren lauter.
Ich vertraute auf die Meinung meiner Mum, doch auch sie hatte in der Vergangenheit nicht immer recht gehabt. Diese Entscheidung würde nicht ausschließlich von ihrem Rat abhängen, sondern viel mehr davon, was ich daraus und aus meinem Chaos aus Gefühlen machen würde.
Dass Vergangenes manchmal eben dieses bleiben sollte, hätte ich selber schon erlebt. Nur wann wusste man, welcher Fall nun tatsächlich war? Sollte ich Lucas und mir noch eine Chance geben, oder mich lieber neuem widmen? Ich wusste es nicht. Einerseits war ich ein Mensch, der nicht abhängig von Beziehung war und sie trotzdem genoss. Andererseits war ich jemand, der sich manchmal zu sehr in etwas fallen ließ und am Ende schwer wieder raus kam. Bis jetzt war ich eigentlich froh gewesen, das letzteres sehr selten vorgekommen war. Während ich über Lucas nachdachte, leuchtete die Ausfahrt für London auf. Meine Gedanken sprangen augenblicklich zu Harry. Was er jetzt wohl grade machte? Mir fiel auf, dass ich vergessen hatte ihm zu schreiben. Doch das wäre wohl eh nicht so gut gewesen, da er nicht gewollt hatte, dass ich nachts noch fuhr.
Ich fuhr in Richtung Stadt und die wenigen Querstraßen bis zum Appartement, wo ich das Auto in der Tiefgarage parkte und dann in den Lift stieg. Ich war etwas nervös, als ich so unangemeldet nach oben fuhr. Zwar wohnte ich zur Zeit hier, doch es war immer noch Harrys Wohnung, nicht meine oder unsere. Ich stieg aus dem Lift und Schlich zur Haustür. Bereits hier draußen hörte ich seine tiefe Stimme. Und eine weibliche.
Mit leicht zitternden Händen schloss ich die Tür leise aus und betrat das Appartement. Ich zog meine Jacke aus und lauschte Harrys Worten, um herauszufinden, wer bei ihm war.
„Das kann nicht sein, ich habe gestern erst alles in Auftrag gegeben.", sagte er ernst. Er klang etwas wütend dabei.
„Das mag ja sein, Haz, aber bei mir ist nichts angekommen. Ich brauche das echt dringend, wir fangen morgen mit der neuen Behandlung an und dann wird es eng." Wer auch immer da mit ihm redete, nannte ihn Haz und das verursachte einen kleinen Knoten in meinem Bauch. Niemand nannten ihn so, denn Harry hasste Spitznamen.
„Das weiß ich ja. Ich werde gleich morgen alles überprüfen und wenn es nicht funktioniert, warum auch immer, bringe ich es dir vorbei!" Langsam schlich ich in Richtung Wohnzimmer, doch da war niemand. Tatsächlich kamen die Stimmen aus der Küche. Ich linste hinein und sah Harry mit deinem Handy in der Hand.
„Danke, Haz. Ohne dich würde ich das nicht schaffen.", sagte die Frau. Wieder war da dieses Ziehen tief in mir. Wer auch immer diese Frau war, sie schien sehr vertraut mit Harry zu sein und aus irgendeinem Grund ging mir das gegen den Strich.
„Mary?", sagte Harry plötzlich. Ich sah auf und blickte in seine aufgerissen Augen, die mich schockiert und überrascht ansahen.
„Ich rufe dich morgen wieder an, Gem.", sagte er und legte auf. Gem? Also hatte er mit seiner Schwester telefoniert. Erleichtert atmete ich aus.
„Was machst du denn hier?", fragte Harry und kam zu mir. Er blieb direkt vor mir stehen und es sah aus, als würde er mich umarmen wollen, traute sich nur nicht.
„Ich, naja, ich wollte nach Hause.", sagte ich und warf mich in seine Arme. Harry stockte erst, legte dann jedoch endlich seine Arme um mich und drückte mich fest an sich. Ich schloss die Augen, sog seinen Geruch an und begann zu realisieren, was ich eben gesagt hatte. Erst da wurde mir bewusst, dass ich mich bei Harry zuhause fühlte. Als wäre dies hier mein Zuhause.
„Es tut mir leid, dass ich in den letzten Tagen so war. Ich kann dir nicht mal sagen, wieso, aber ich fand es schrecklich, nicht mit dir zu reden und Zeit zu verbringen,", flüsterte er und küsste mich auf den Kopf. Ich ließ etwas locker und blickte lächelnd zu ihm auf.
„Geht mir genauso. Tut mir leid, dass ich einfach gefahren bin, ich hätte dir Bescheid sagen sollen,", sagte ich. Harry fing an zu lächeln, nahm meine Hand und zog mich hin Wohnzimmer, wo wir uns nebeneinander auf die Couch setzten.
„Nicht schlimm. Ich war nur etwas überrascht, als du heute morgen weg warst."
„Wie gesagt, ich war mit Haley im Krankenhaus wegen den Lesestunden für die kranken Kinder.", erklärte ich meine Abwesenheit. Harry nickte und spielte lächelnd mit meinen Fingern. Er verflocht sie mit seinen und legte sie auf seinem Bein ab.
„Ich nehme mal an, du nimmst den Job, so wie du lächelst." Ich nickte und sah von unseren Händen auf.
„Wie war es bei deinen Eltern?", fragte Harry und rückte noch etwas näher zu mir. Ich legte meinen Kopf an seine Schulter und seufzte.
„Es war schön. Sie haben sich echt gefreut, dass ich mal wieder da war. Ich komme so selten dazu, sie zu besuchen, was eigentlich schade ist. Doch es geht ihnen gut und das ist das wichtigste.", sagte ich und lächelte. Es war komisch meine Eltern ihr Leben ohne mich leben zu sehen, doch auch schön, dass sie dabei keinerlei Schwierigkeiten hatten.
„Das freut mich. Irgendwann muss ich diese wundervollen Menschen, die mir meine Mary geschenkt haben, mal kennenlernen." Ich sah zu Harry auf. Unsere Blicke trafen sich. Sein Lächeln verschwand und ich spürte, wie er seine Hand von meiner löste. Gleich darauf legte er sie an meine Wange.
„Du hast mir wirklich gefehlt.", hauchte er und streichelte mir mit dem Daumen über die Wange. Ich lächelte und legte meine Hand auf seine.
„Du mir auch."

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt