Teil 11 - Carnapping

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Als mein Vater etwas später zu seiner Pokerrunde fuhr, unterhielt  ich mich mit meiner Mutter über die Dinge, die mich wirklich beschäftigten.
„Lucas möchte es noch einmal versuchen." Meine Mum nickte, als wüsste sie genau, wovon ich sprach.
„Du weißt ich bin kein Fan davon, Dinge wegzuwerfen, anstatt sie zu reparieren, doch manchmal ist es auch besser, etwas Vergangenes vergangen zu lassen.", sagte sie. Meine Mum war in mancherlei Hinsicht recht altmodisch und doch dachte sie meist sehr modern. Das machte es jedoch nicht leichter, die richtige Seite ihrer Ratschläge umzusetzen.
„Das stimmt. Es ist sowieso komisch. Als ich an der Biographie gearbeitet habe, habe ich ihn nicht einen Tag vermisst. Doch jetzt, wo wir Dates haben und er sich Mühe gibt, fühlt es sich einfach gut an. Auf der anderen Seite weiß ich jetzt, dass ich ihn nicht brauche, um glücklich zu sein." Wieder hatte meine Mum dieses Nicken, was mich noch mehr verunsicherte. Sie schwieg und trank ihren Tee. Das trieb mich in den Wahnsinn.
„Mum, könntest du jetzt auch mal irgendwann dazu sagen.", sagte ich gereizt und seufzte. Meine Mum schmunzelte und faltete ihre Hände, als sie sich etwas vorlehnte und dann leise zu mir sprach.
„Ich habe dich mit Lucas gesehen und versteh mich nicht falsch, er ist ein netter junger Mann, doch du warst nicht glücklich mit ihm. Du warst nicht  du selber und hast gedacht, das mit ihm würde dir genügen, doch man sah dir an, dass es nicht so war. Hast du am Ende deines letzten Buches mal zwischen den Zeilen gelesen? Deine Hauptperson hat auch selbst aus seiner Misere befreit. Das hat sie nie zuvor, also kannst du mir nicht sagen, dass es nicht etwas mit eurer Trennung zu tun hat." Sie hatte recht. Selten gab es bei mir ein Buch mit gutem Ende und das vorletzte war da die Ausnahme. Der Protagonist hatte eine Art Gewissen entwickelt und sich von ihm leiten lassen. Könnte man jetzt auch sagen, dass dieses Gewissen Harry war? Diese Stimme, die alles veränderte und den Weg zeigte?
„Woran denkst du, Mary?", fragte meine Mum und unterbrach so meine Gedanken.
„Ich habe grade überlegt, wie man Harry wiederfinden könnte und ob er sich vielleicht in dem Gewissen und der Leitung des Protagonisten wiederfindet.", sagte ich ruhig. Meine Mum lächelte und nahm sich einen Keks.
„Man konnte schon immer viel über dich in deinem Büchern lesen, Schatz. Noch leichter fällt es mir in deinem Gesicht. Erst sprachst du von Lucas und dein Blick war sachlich und analysierend, wie früher mit den Cornflakes. Kaum sprachst du von Harry, oder dachtest nur an ihn, hellte sich deine Miene auf und ein sanftes Lächeln erschien. Er bedeutet dir viel, nicht wahr?" Früher hatte es mich gestört, dass meine Mum so viel erfuhr, von dem ich ihr nie was erzählte, doch inzwischen war es mir egal. War leichter, als es ihr erzählen zu müssen.
„Ja, er ist ein guter Zuhörer und unglaublicher Freund. Ich weiß gar nicht, was ich ohne ihn machen würde.", gab ich zu. Harry war ein fester Bestandteil meines Lebens geworden und das wollte ich auch nicht ändern.
„Ich sage jetzt nicht, dass du Gefühle für Harry hast oder interpretiere etwas in deine Worte hinein, doch wieso eine Beziehung mit jemandem eingehen, mit dem dich so wenig verbindet, wenn du weder einsam noch alleine bist und so tolle Freunde an deiner Seite hast?", fragte sie. Ich zuckte mit den Schultern und dachte an meine Freunde. Ich hatte nicht nur Harry. Da waren auch noch Malya und Sarah. Es waren „nur" drei, aber sie waren die besten Freunde, die man sich wünschen konnte. Außerdem hatte ich auch noch Hank und Haley, auf die ich mich immer erlassen konnte.
„Ich weiß es nicht, deswegen bin ich hier und frage dich nach deinem Rat. Ich hatte nie damit gerechnet, dass Lucas sich noch mal melden würde und bin jetzt etwas verwirrt. Ich möchte nicht wieder in das alte Muster zurückfallen und schon gar nicht das selbe erneut durchmachen. Ich denke, ich werde die nächsten treffen nutzen, um mir klar zu werden, was ich wirklich möchte und brauche. Danke, Mum.", sagte ich und drückte ihre Hand.
„Nichts zu danken, du bist ja selber auf eine Antwort gekommen. Dein Handy, Schatz." Ich griff nach meinem Handy und seufzte, als ich den Namen las, dann stand ich auf, um den Anruf anzunehmen.
„Das ist Harry. Ich muss ihm wohl mal erklären, wieso ich seinen Audi gekidnappt habe." Ich ging nach hinten und schloss die Tür des Bads hinter mir, bevor ich annahm.
„Hallo?"
„Mary? Geht es dir gut? Kannst du mir bitte sagen, wo du bist? Ich versuche seit Stunden dich zu erreichen!!", rief Harry hektisch. Ich war etwas erschrocken und musste doch schmunzeln, weil er so aufgeregt war.
„Harry, alles gut. Ich bin bei meinen Eltern, deswegen hast du mich nicht erreicht. Hier ist der Empfang ziemlich mies, außer auf dem Dachboden, da geht es eigentli-„
„Verdammt, Mary. GEHT ES DIR GUT UND WAS MACHST DU BEI DEINEN ELTERN?", unterbrach er mich harsch. Ich seufzte und setzte mich auf den Rand der Badewanne.
„Natürlich geht es mir gut. Ich war mit Haley im Krankenhaus wegen dem Job und dann bin ich umher gefahren und habe gemerkt, wie sehr ich meine Eltern vermisse, also bin ich losgefahren."
„Du bist eben mal so von London an die Südküste gefahren? Du hast sie doch nicht alle. Kommst du heute noch wieder?" Harry verstand natürlich nicht, wieso ich es getan hatte. Aufgrund unserer momentanen Lage entschied ich, es ihm nicht zu übel zu nehmen.
„Ja, waren keine zwei Stunden. Ich denke, ich fahre entweder heute Abend noch oder morgen früh. Tut mir leid, dass ich dein Auto entführt habe.", sagte ich schuldbewusst.
„Das ist es nicht, Mary. Das Auto ist mir egal, doch ich wusste für mehrere Stunden nicht, wo du bist und als weder Malya noch Haley mir sagen konnten, wo du bist, habe ich es mit der Angst zu tun bekommen. Schreib mir bitte, sobald du losfährst. Und fahr lieber morgen früh, nicht mehr heute Nacht im Dunkeln. Ist sicherer."

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt