Teil 78 - Mrs. Peterson

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Nach einem sehr langen und ausführlichen Gespräch mit Doktor Robinson war meine Mutter damit einverstanden, die lebenserhaltenden Maßnahmen abzuschalten. Den Zeitraum wollte sie jedoch nicht festlegen, da sie selber entscheiden wollte, wann sie ihren Mann gehen lassen würde.
Ich war den dritten Tag zuhause und während meine Mum sich im Krankenhaus um alles kümmerte und auf Dad aufpasste, versuchten Harry und ich uns an den Papieren, die erledigt werden mussten,
„Unglaublich, dass du das alles machen kannst. Ich könnte das nicht.", sagte Harry, als er sich zu mir an den Tisch setzte. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und Schluss für einen Moment die Augen.
„Was soll ich machen? Er ist mein Dad." Ich machte mich wieder an die Auswahl des Beerdigungsinstitutes und Harry half mir dabei. Zwischendurch stand er auf und kümmerte sich um das Essen.
„Wieso bist du eigentlich hier weggezogen? Es ist schön hier." Ich sah zu Harry und schmunzelte.
„Natürlich ist es schön hier. Ich bin wegen des Studiums nach London gezogen und dann wegen meines Jobs dort geblieben. Ähnlich wie bei dir.", sagte ich.
„Nur dass du etwas älter wärst, als ich." Harry lachte und küsste mich.
„Das stimmt. Soll ich dir zeigen, was das schönste hier ist?" Mit meiner Frage hatte ich Harrys Neugier geweckt. Ich nahm meinen Schlüssel und reichte Harry keine Hand. Dann verließen wir das Haus. Wir gingen durch einen kleinen Weg an unserem Grundstück vorbei, bis wir zur Allee kamen. Umrahmt von bunten Bäumen, deren Blätter mit der Sonne spielten, verschlug sie mir jedes Mal aufs neue die Sprache.
„Das ist wunderschön.", sagte Harry und drückte meine Hand.
„Das ist es. Aber das wollte ich dir gar nicht zeigen."
„Nicht?", fragte Harry. Ich schüttelte den Kopf und zog ihn weiter. Wir bogen ab und gingen in Richtung Küste. Nach ein paar Minuten standen wir am Meer. 
„Woher kennst du das hier?", fragte Harry leise. Ich lehnte mich an ihn und schwelgte in Erinnerungen.
„Mein Dad ist früher immer im Sommer mit mir hergegangen. Wir haben hier sogar ein Mal gezeltet.", antwortete ich. Ich ließ mich auf das weiche Gras nieder und Harry setzte sich neben mich.
„Ich kenne deinen Dad nicht sehr viel, aber ich bin mir sicher, dass er ein sehr guter Vater war.", sagte Harry. Ich sah zu ihm auf und er lächelte mich aufmunternd an.
„Er hat eine so wundervolle Tochter erzogen." Sanft streichelte er mir über die Wange.
„Das war er. So wie du es sein wirst, irgendwann.", flüsterte ich und nahm seine Hand in meine.
„Irgendwann." Wir blickten über das Meer und genossen die Stille. Der warme Wind wehte um uns herum, Vögel kreisten an der Küste.
„Ich denke wir sollten bald zu deiner Mum fahren.", sagte Harry leise. Ich sah zu ihm auf und nickte. Während unsere Blicke sich trafen und es sich anfühlte, als würde er mein Gesicht damit liebkosen, begann ich zu lächeln und konnte mich nicht wirklich konzentrieren. Zu sehr zogen mich seine vollen Lippen und das Grün seiner Augen an. Ich überwand die Distanz zwischen uns und küsste ihn. Harry erwiderte ohne Zurückhaltung und ließ sogar einen Seufzer erklingen. Ich legte all meine Gefühle und meine Dankbarkeit in meine Küsse und ließ Harry fühlen, wie es in mir aussah. Er war es, der sich langsam auf das saftige Gras sinken ließ und mich mit sich zog. Nach ein paar gierigen Küssen hob Harry seinen Kopf. Schnell atmend blickten wir uns in die Augen. Lächelnd.
„Habe ich dir schon mal gesagt, wie sehr ich dich liebe?", hauchte er. Die Schmetterling in meinem Bauch flatterten. Für einen kurzen Moment vergaß ich alles und versank in Harrys wundervollen Augen. Die Welt schien harmlos und wunderschön.
„Das hast du."
„Und doch habe ich das Gefühl es dir nicht oft genug zu sagen.", flüsterte er und strich über meine Wange.
„Ich liebe dich auch. Mehr als alles andere.", sagte ich. Harry küsste mich noch ein letztes sanftes Mal, stand dann auf und zog mich mit sich. Er legte meinen Arm auf seinen und führte mich zurück zum Haus.
„Möchtest du dich noch umziehen oder etwas mitnehmen?", fragte Harry. Ich drehte mich zu ihm und legte meine Hände auf seine Brust.
„Ich liebe dich so sehr und du bist eine so große Stütze für mich, doch ich denke, ich sollte alleine fahren. Es wird langsam Zeit, dass wir uns von ihm verabschieden und das wird sehr schwer für meine Mum."
„Genau so schwer, wie für dich.", sagte Harry und streichelte mir über die Wange.
„Bist du sicher, dass ich nicht mitkommen soll?" Ich nickte, nahm Harrys Hand in meine und küsste sie.
„Ja, ich denke es ist das beste. Falls etwas ist, rufe ich dich sofort an.", sagte ich.
„In Ordnung. Dann fahr vorsichtig mein Engel."
„Mache ich. Du kannst uns gerne etwas leckeres kochen.", sagte ich. Harry küsste mich lächelnd und ließ dann meine Hand los. Ich stieg in den Wagen und fuhr los. Bevor ich ins Krankenhaus fahren konnte, musste ich noch etwas erledigen. Ich bog in eine der nahegelegenen Straßen ein und parkte das Auto vor dem blauen Haus. Ich war nie darin gewesen, doch heute wurde es Zeit.
Ich fasste meinen Mut zusammen und stieg aus. Als ich klingelte, zitterten meine Hände leicht. Es dauerte ein paar Momente, bis die alte Dame die Tür öffnete.
„Mary-Jane. Wie komme ich zu der Ehre?", fragte sie überrascht.
„Mrs. Peterson. Ich würde gerne mit Ihnen über etwas reden. Könnten ich reinkommen?" Sie sah mich überrascht an und nickte.
„Natürlich. Komm rein." Sie führte mich in einen kleinen Wintergarten und goss uns einen Tee ein.
„Wie kann ich dir helfen?", fragte sie ruhig.
„Ich weiß nicht, ob sie es gehört haben, aber mein Vater ist schon wieder im Krankenhaus und liegt aufgrund eines Herzinfarktes im künstlichen Koma. In drei Wochen werden die Geräte abgeschaltet und er wird sterben. Ich kenne meine Mutter und weiß, dass sie niemals zu mir nach London ziehen wird, doch ich kann auch nicht mein Leben dort liegen lassen. Würden Sie mir mit ihr unter die Arme helfen?"

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt