Teil 7 - Alternativen

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Gegen Mittag fuhr ich von Lya zu Haley. Normalerweise hätte mich Hank nach dem Abschluss der Biografie wieder als Klientin aufgenommen, doch er hatte Haley darum gebeten, mich zu behalten, da er nicht mehr der Jüngste war und etwas an Arbeit abgeben wollte. Was nicht bedeutete, dass ich nicht jedes mal bei ihm im Büro vorbeischaute und ihm begrüßte. Außer heute.
„Ist Hank gar nicht da?", fragte ich Haley. Wir setzten uns, als sie den Kopf schüttelte.
„Nein, der ist grade in New York. Irgendwann Reise ich dort auch mal hin." Das Zweite sagte sie mehr zu sich selbst, als zu mir.
„Na gut, dann sprechen wir mal über die Zukunft. Du hast ja bereits durchblicken lassen, dass du zur Zeit kein neues Projekt beginnen möchtest."
„Das stimmt. Ich möchte eine kreative Pause machen. Die letzten beiden Bücher haben mich ziemlich eingenommen und ausgesaugt. Ich finde, wenn man zu schnell zu viel schreibt, geht das Leben in den Wörtern verloren. Außerdem muss ich das Chaos mit der Liebe erst mal klären.", sagte ich und lachte trocken. Lyas Worte hatten das ganze nicht grade einfacher gemacht.
„Läuft es grad nicht so?", harkte Haley nach.
„Nicht wirklich. Mein Exfreund hat sich wieder zu Wort gemeldet und das hat meine Gefühlswelt etwas durcheinander gebracht."
„Dein Exfreund? Ich dachte irgendwie, also ich bin davon ausgegangen, dass du und Harry....", sagte Haley. Erst sah ich sie schockiert an, doch dann fing ich an zu lachen. Es war ihr tatsächlich ziemlich unangenehm.
„Harry und ich? Nein, wir sind nur Freunde, mehr nicht.", sagte ich schnell. Haley lachte unsicher und sah auf ihre Notizen.
„Ok, zurück zur Arbeit. Möchtest du außerhalb des Schreibens irgendwie aktiv werden?" Es war süß, wie sie vom Thema ablenkte, obwohl ihre Wangen noch immer leicht gerötet waren.
„Inwiefern außerhalb des Schreibens?", fragte ich, da ich bis jetzt nichts dergleichen getan hatte.
„Wir hätten einige 'Jobs' in Aussicht. Du könntest im Buchladen unseres Vertrauens mitwirken, in der Uni Korrektur lesen oder unterrichten, einen Lesekreis für Kinder oder Erwachsene leiten oder noch einiges mehr. Hättest du da Lust drauf? Dann würde ich dir die Liste mit Kontakten ausdrucken und du suchst dir etwas aus." Haleys Angebote klangen im Vergleich zu meiner Option im Appartement mehr oder weniger nur rumzusitzen sehr angenehm.
„Ich würde gerne die Liste mitnehmen und mir in Ruhe etwas aussuchen.", sagte ich. Haley nickte und tippte etwas an ihrem Computer. Der Drucker ertönte und gleich darauf reichte Haley mir zwei Blätter, die ich in meiner Tasche verstaute.
„Bei den meisten steht die Telefonnummer bzw. die E-Mail-Adresse mit drauf. Wenn du Fragen hast, frag mich einfach.", sagte Haley und lächelte.
„Werde ich. Sag, was machst du am 25. Juli? Ich weiß es ist noch eine Weile hin, aber, naja, es ist mein Geburtstag." Ich spielte nervös mit den Händen auf meinem Schoß. Warum genau ich nervös war, wusste ich auch nicht.
„Ich, ähm, ich glaube da habe ich tatsächlich noch nichts vor. Was hast du denn geplant?", fragte Haley neugierig.
„Bis jetzt noch nichts, aber wie ich Harry kenne, gehen wir entweder essen oder schmeißen eine Party. Da würde ich dir aber rechtzeitig noch mal Bescheid sagen.", sagte ich und lächelte. Haley schrieb sich etwas in ihren Kalender, schloss ihn und sah mich dann abwartend an.
„Gut, wenn dann nichts mehr ansteht, werde ich mich wohl wieder ans Lektorieren machen.", sagte sie und lachte mit mir. Ich stand auf und drückte sie.
„Alles klar, dann viel Erfolg und wir sprechen uns demnächst."
„Genau. Mach's gut, Mary und grüß Harry von mir.", rief Haley mir noch hinterher, als ich das Gebäude verließ. Während ich durch die Straßen ging und das Frühlingswetter, was schon fast sommerlich war, genoss, dachte ich an Harry. Ich würde ihn grüßen, denn das gehörte sich so, doch zu meiner Unsicherheit wusste ich grade nicht mal, wo er war. In letzter Zeit war er häufiger unterwegs und da er mir keine Rechenschaft schuldig war, wusste ich meist nicht, wo und was er machte. Ich lief an fröhlichen, aber auch an traurigen Menschen vorbei und fragte mich, wie man bei diesem Wetter etwas anderes als gute Laune haben konnte. Ich selber strahlte grade, als wäre ich betrunken. Doch nicht betrunken vom Alkohol, nicht mal betrunken von der Liebe, sondern betrunken vom Leben. Es war zwar chaotisch zur Zeit und ich war mir mit Lucas und den Ganzen noch nicht hundertprozentig sicher, doch der Rest lief gut. Ich war erfolgreich mit dem, was ich liebte, war gesund und munter, hatte wunderbare Freunde und abgesehen davon, dass meine Wohnung noch immer unter Wasser stand, war alles gut.
Mein Handy klingelte und als ich auf dem Display sah, wer mich anrief, lächelte ich.
„Hallo, Harry."
„Hallo, Mary. Wo bist du grad?", fragte er. Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme und lächelte automatisch mit.
„In der Innenstadt auf dem Weg zum Appartement. Wieso?"
„Gemma hat mich eben angerufen und gefragt, ob ich heute Abend ein paar Stunden auf Luke aufpassen könnte und weil ich nichts dagegen habe, dachte ich mir, ich frage dich, ob du mir nicht Gesellschaft leisten möchtest.", sagte Harry. Ich schmunzelte in Gedanken an Harrys Schwester und ihren niedlichen Sohn. Sie waren zu süß.
„Klar, warum nicht. Wann wolltest du denn los?", fragte ich und bog in die Straße ein, in der sich das Appartement befand.
„Eigentlich jetzt. Ich stehe schon unten. Wann bist du denn da?", fragte er, doch ich antwortete nicht mehr. Grinsend wechselte ich die Straßenseite, stellte mich hinter Harry und hielt ihm die Augen zu.
„Wer bin ich?"
„Das wäre deutlich schwerer herauszufinden, wenn du nicht so niedlich kichern würdest.", sagte Harry, nahm meine Hände in seine und drehte sich um. Er lächelte mich an und ich lächelte zurück. Es waren ein paar Sekunden, in denen wir uns nur ansahen und doch lösten sie eine wohlige Wärme in meiner Brust aus.
„Wollen wir losfahren?", fragte Harry leise und ließ eine meiner Hände los. Ich nickte und ließ mich von ihm zum Auto führen. Er öffnete mir die Tür, schloss sie, als ich eingestiegen war und setzte sich dann auf dem Fahrersitz. Nachdem er sich angeschnallt hatte, fasste er an den Zündschlüssel und sah mich noch ein mal lächelnd an, bevor er den Wagen startete und losfuhr.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt