Teil 31 - Die Waffen einer Frau

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Ich dachte noch häufig an den Besuch des London Eye. Alles in allem war es ein schöner Tag gewesen. Trotz des Riesenrades.
Es war nun einige Tage her und doch vermisste ich den Harry, den ich an diesem Tag gesehen hatte. Ich konnte nicht wirklich beschreiben, was in mir vorging. Harry hatte ich seit ein paar Tagen nicht gesehen. Was von meiner Seite her keinen bestimmten Grund hatte. Entweder hatte er einen Termin, oder fühlte sich nicht so gut, oder, oder, oder...
Ich saß auf meiner Couch, den Tee in der Hand und sah aus dem Fenster. Der Frühling war inzwischen auch endgültig bei uns angekommen. Ich mochte diese Jahreszeit. Sie hatte etwas Frisches und Aufregendes an sich. Ich dachte an den letzten Frühling und wie sich mein Leben seit dem geändert hatte. Ich hatte zwei neue Bücher rausgebracht, hatte eine Lesereise hinter mir, hatte einen wundervollen Job im Krankenhaus und war single. Dazu kam Harry. Durch ihn hatte sich mehr als nur ein bisschen verändert. Durch Harry hatte ich zu mir selber gefunden, mich von meinem Freund getrennt und angefangen, zu leben. Mehr oder weniger hatte sich also mein ganzes Leben durch ihn verändert. Harry war ein guter Freund. Doch auch mehr?
Wir hatten den selben Humor und so immer Spaß. Ich konnte auch mit ihm über alles reden und mich ihm anvertrauen, selbst bei Themen, die ihm nicht gefielen. Wenn ich zurück an den letzten Abend bei ihm dachte, bekam ich augenblicklich Gänsehaut. Insgesamt war ich in den letzten Tagen auch erstaunlich gut drauf gewesen. Besser als sonst, das sagte auch Lya. Sie meinte natürlich zu wissen, woran das lag...
Ich hatte darüber nachgedacht, warum Harry nicht von Anfang an diese Auswirkungen auf mich gehabt hatte, doch diese Frage war nicht schwer zu beantworten. Als wir uns kennen lernten, war Harry nicht so gewesen, wie jetzt. Ich wollte damit nicht sagen, dass ich ihn in einen neuen Menschen verwandelt hatte. Sondern eher, dass ich die guten Seiten an ihm wieder zum Vorschein gebracht hatte, wie Liam es mal gesagt hatte.
Ich wusste, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Ich konnte es auch mit dem vergleichen, was zur Zeit mit mir vorging. Das Kribbeln, die unartigen Gedanken und dass ich ununterbrochen an ihn denken musste; alles Anzeichen dafür, dass sich tatsächlich etwas zwischen uns entwickelt hatte.

Seit ich Harrys Appartement verlassen hatte, war ich etwas einsam. Meist fühlte ich mich so, wenn ich alleine zuhause war. Meine Wohnung war für mich nicht mehr die selbe. Die Möbel standen an der gleichen Stelle, alles war sauber und ordentlich und doch fehlte mir etwas. Mir fehlte ein Mitbewohner. Oder genauer - Harry als Mitbewohner. Oft erinnerte ich mich an den Abend, als ich von meinen Eltern zurück gekehrt war und das erste mal seit langem wieder das Gefühl verspürt hatte, ich wäre zuhause. Das war bei Harry gewesen.
Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Ich griff danach und nahm den Anruf meiner besten Freundin an.
„Bei Mary."
„Ich hoffe für dich, du bist geduscht und bereit dich in Schale zu werfen. Ich sitze jetzt im Taxi und bin in zwei Minuten bei dir.", sagte sie. Ich rollte mit den Augen, erhob mich von der Couch und pellte mich aus der kuscheligen Decke.
„Ich habe mit dem fertig machen extra auf dich gewartet. Hast du ein Kleid an?", fragte ich und ging ins Schlafzimmer.
„Eigentlich wollte ich, aber Scott fand, dass es zu schick wäre. Der Doofkopf hat auch vergessen sich frei zu nehmen.", meckerte sie.
„Dann muss ich ja auch keins anziehen. Immerhin können wir dann zusammen gehen, mein Begleiter hat sich seit gestern nicht mehr gemeldet." Ich schob meinen Kleiderschrank auf und warf einen Blick auf meine Oberteile.
„Ich verstehe Harry nicht. Erst küsst er dich, dann sagt er dir, dass er sich nicht mehr von dir freihalten kann und jetzt meidet er den Kontakt. Machst du die Tür auf?", fragte Lya. Ich ging zur Tür und dachte dabei an Harry. Natürlich fragte ich mich das selbe wie Lya. Was ging wohl in ihm vor?
„Kannst auflegen.", sagte Lya und küsste mich auf die Wange. Sie zog ihre Jacke aus und ging dann voraus ins Schlafzimmer.
„So, dann machen wir uns mal daran, Harry zu zeigen, was er verpasst.", nuschelte Lya. Ich setzte mich lächelnd auf mein Bett und verkniff mir das Augenrollen, da ich ihrem Gedanken stumm zustimmte. Auch ich hatte den heutigen Abend als Chance gesehen, unsere Situation aufzuklären. Das würde Sarah mir sicher auch nicht über nehmen.
„Wie wäre es damit?", fragte Lya und hielt mir ein bauchfreies, graues T-Shirt entgegen. Ich sah sie schockiert an.
„Das hatte ich das letzte mal mit 17 an." Sie rollte mit den Augen und suchte weiter. Nach ein paar Minuten, in denen sie mit sich selber redete, warf sie mir eine hellblaue enge Jeans zu.
„Wenn du die Jeans mit diesem schwarzen Top kombinierst, dazu eine Strickjacke oder deine dunkle Lederjacke und deine wundervollen Jimmy Choo.", sagte Lya und grinste mich zufrieden an. Ich rührte mich nicht. Die ganze Situation überforderte mich etwas. Was, wenn Harry weiter so abweisend bleiben würde? Oder wenn er erst gar nicht kam?
„Jetzt hör mir mal zu." Lya kniete sich vor mich und sah mir tief in die Augen.
„In diesem Outfit, ist es gar nicht möglich, dass Harry dir widersteht. Alleine bei deinem sanften Wesen und deinem wundervollen Humor kann er dich gar nicht nicht lieben. Und wenn er sich nicht so verhält, wie du es dir erhoffst, dann machst du es eben auch nicht! Du kannst flirten und ihn eifersüchtig machen und die Waffen einer Frau nutzen. Wir sind das starke Geschlecht; wir bekommen immer, was wir wollen. Du willst Harry - streite es nicht ab - also bekommst du auch Harry! Ja?" Ich nickte lächelnd und nahm Lya in den Arm. Sie war eine wundervolle beste Freundin.
„Jetzt zieh dich an und mach dich fertig, damit wir ihn um den Finger wickeln können!" Salutierend zog ich meine Jogginghose aus und zog die Jeans an. Lyas Optimismus steckte an.

Roses (II)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt