Kapitel 10

1.3K 86 4
                                    

Es ließ mich irgendwie nicht mehr los. Dieses Gefühl, dass ich nicht zuordnen konnte, war nach vier Tagen immer noch in mir.

Brian, Ryan und Maria hatten sich nach mir erkundigt und ich wimmelte alle erstmal ab. In den letzten Tagen war ich wenig gesprächig gewesen und verbrachte die meiste Zeit mit lernen, oder war in der Bibliothek. Ich musste mich ablenken, aber so hart ich es auch versuchte, es ließ mich nicht los.

Was ist, wenn es wirklich dieser Kerl von damals war? Suchte er mich etwa?

Was würde er bitte von mir wollen? Hat er mir nicht schon genug genommen?

"Hier Kleines." Weckte mich Dorothea aus den Gedanken und stellte mir einen Kaffee hin, "Ich habe dir einen Kaffee gemacht, weil ich nicht wusste ob du einen Tee willst." weil ich Amerikanerin war...

"Danke." Gab ich ihr ein Lächeln und sie setzte sich neben mich, "Du macht was schwieriges durch, oder?"

War es so offensichtlich?

"Kann man wohl sagen." Fuhr ich mir müde durch die Haare und sie legte eine Hand auf meine Schulter: "Wenn was ist, du kannst jeder Zeit mit mir reden."

"Ich weiß nicht, ob du mir dabei wirklich helfen kannst." Meinte ich, aber sie lächelte: "Kleine, ich bin jetzt 51 und habe vieles erlebt. Ich bin mir sicher, dass ich dir irgendwie helfen kann."

Ich blieb still.

Ich wollte mit jemanden völlig außenstehenden darüber reden, ohne, dass er mich in dem Zustand gesehen hatte, oder bildlich vor sich hat, wie sehr ich gelitten habe.

Jemand der ehrlich zu mir war und mir weiterhelfen würde, ohne aufzupassen mich mehr zu verletzten.

Ich wollte einfach jemanden, der mir einen Rat gab mit dem ich auch was anfangen konnte und der auch wusste, was ich zu tun habe.

Das alles konnte ich mit niemanden. Alle, die ich kannte, gaben mir nicht die Antwort, die am offensichtlichsten war, sondern nur die, die mir so wenig wie möglich weh tat.

"Glaubst du an die einzige wahre Liebe?" Wandte ich meinen Blick zu ihr, nachdem ich einen Schluck von meinem Kaffee nahm.

Sie war etwas überrascht, aber nickte dann: "Oh ja, das tue ich."

...

"Was ist, wenn man sie hat gehen lassen?" Ich starrte auf die braune Flüssigkeit, mich nicht trauend Dorothea anzusehen.

"Wenn es wirklich die wahre Liebe ist, dann solltest du sie nicht gehen lassen. Hole sie dir zurück."

Unbewusst griff ich vorsichtig nach der Kette um meinen Hals, wie schon so oft in den letzten Jahren.

Ich hätte sie wirklich nicht gehen lassen dürfen. Ich hätte alles anderes machen müssen. Ohne mich, wäre sie jetzt nicht tot.

Eine einzige Träne floh aus meinem Auge und fiel in das Getränk hinein.

...

"Versuche es wenigstens... Ich sehe dir an, dass sie dir viel bedeutet." Versuchte sie mich zu ermutigen.

"Ich habe sie nicht nur gehen lassen. I-Ich... I-Ich habe sie verloren." Gestand ich ihr dann.

Es war hart, diese Wörter überhaupt über meine Lippen zu bekommen, wenn sie schon allein in meinem Kopf unausgesprochen so schmerzten.

Ich merkte, wie sie neben mir langsam verstand, was ich meinte und ihr die Wort fehlten. Damit hatte sie nicht gerechnet...

"Das... Das tut mir Leid." Meinte sie nach ein paar Sekunden und ich lächelte leicht auf, voller Schmerzen in mir: "Das habe ich schon sehr oft gehört..."

"Wie lange ist es her?"- "Vier Jahre." Antwortete ich und sie blieb kurz still: "Du kannst sie immer noch nicht vergessen?"- "Nein."

"Ist gut so. Tu alles, aber vergiss sie nicht." Überrascht sah ich sie an. Jeder sagte mir, dass ich sie vergessen soll und mein Leben weiter leben soll. Ohne Schmerz,... ohne sie. Dorothea war jemand, der wollte, dass ich aber genau das tue. Sie in mir zu behalten und nichts über sie vergesse.

"Ich weiß, sowas bekommst du wahrscheinlich nicht oft gesagt, aber es stimmt. Das schlimmste ist es sie zu vergessen. Klar wärst du damit den Schmerz los, die Einsamkeit und die Trauer... aber dann wären auch die ganzen schönen Momente weg. Willst du dich nicht an sie erinnern, als ihr zwei eure schönste Momente hattet? Das erste Mal euch in einander verliebt habt? Euren ersten Kuss? Die ganzen süßen Kleinigkeiten oder ihre Angewohnheiten, die nur du mitbekommen hast? Ist es wirklich wert das alles aufzugeben, nur um den Schmerz loszuwerden? Vertrau mir, der Schmerz ist gar nichts im Gegensatz zu diesen kostbaren Momenten."

So habe ich es noch nicht gesehen...

So hat es keiner in den letzten vier Jahren gesehen...

"Es ist schwer, die schlimmen Momente zu verdrängen oder sich ihnen zu stellen... Vor allem bestimmte Momente..." Seufzte ich und ich sah aus dem Augenwinkel, wie sie sich wieder zu mir drehte: "Warst du dabei gewesen als sie...?" Als sie starb? Oh ja, dass war ich. Jede Nacht, wenn ich still im Bett lag, sehe ich alles, jeden noch so kleinen Bluttropfen vor mir. Diesen Ausdruck in ihren Augen, der mir sagte, wie sehr sie mir noch Sachen erklären wollte, aber wusste, dass sie es nicht mehr schaffen würde.

Und diese letzte drei Wörter.

Die ich so liebte zu hören.

Die ich aber jetzt so hasste.

Sie erinnerten mich nur noch an den schmerzhaftesten Abschied, daran, dass ich jemanden verloren hatte, der mich auf einer ganz bestimmten und eigenen Art und Weise geliebt hatte.

"Ja." Bekam ich nur in einem Hauchen heraus, aber noch laut und deutlich genug, dass sie es verstand.

"Oh, Süße..." Seufzte sie.

Dann klingelte das Telefon vorne und Dorothea ging hin, nachdem sie mich kurz umarmt hatte. Ich hätte ihren Rat schon viel früher gebraucht, jemanden, der mir sagte, wie ich wirklich mit allem umgehen sollte. Wie ich den Schmerz umwandeln konnte, in etwas unbeschreibliches...

Sina würde immer in meinem Herzen bleiben, mich in meinen Gedanken begleiten und meinem Leben einen anderen Blickwinkel zu verleihen.

Sie würde immer bei mir sein.... auch wenn sie es nicht wirklich ist und wegen nichts auf der Welt würde ich das aufgeben.

Sie gehörte zu mir.

So, wie ich zu ihr gehörte.

So, wie niemand anderes.

New Lovers 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt