Kapitel 29

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Es vergingen Minuten im Schweigen.

Es verging fast eine ganze Stunde im Schweigen.

Aber keinen von uns beiden störte es.

Es war kein unangenehmes Schweigen, eher, als würden man es einfach nur genießen gemeinsam von dem Fernseher zu sitzen. Wie es sehr sehr gute Freunde manchmal machten...

"Du studierst." Klang das eher wie eine Feststellung von ihr.

Ein bisschen überrascht, dass sie wirklich mit mir redete, war ich schon...

"Ja, Jura in Oxford."

"Gefällt es dir?" Sie wollte allen ernstes ein Gespräch mit mir führen.

"Ich liebe es. Ich hätte niemals gedacht, dass sich mir die Chance bieten würde, an so einer Universität studieren zu können. Ich bin wirklich froh darüber." Gab ich ehrlich zu, denn das stimmte auch. Ich hatte mir so ein Studium niemals erträumt... und doch war ich jetzt in eines.

"Hast du vor zurückzugehen?"

Ich wusste nicht genau was sie meinte und sah sie nur fragend an.

"Nach dem Studium, willst du zurück nach Amerika?" Fragte sie und ich wusste Brian oder Ryan hat ihr erzählt, dass ich Amerikanerin war und sie hörte wahrscheinlich meinen Akzent heraus.

Ich zuckte mit den Schultern: "Ich weiß es nicht. Ich habe schon eine feste Stelle. Die Firma ist weltweit vertreten, also werde ich eine große Auswahl an Ländern und Städten haben... Ehrlich gesagt, habe ich mich noch nicht wirklich entschieden..."

Sie nickte nur und blieb für eine Weile still.

Ich wartete, dass sie eine nächste Frage stellen würde und ich wusste, dass sie es tat. Sie war jemand, der nicht gerne ausgefragt wurde. Ich erkannte es daran, dass sie bisher nicht einmal auch nur etwas ganz kleines unwichtiges von ihr erzählt hatte. Sie wollte nicht über sich reden und ich respektierte es. Würde ich sie dazu zwingen, bräche das Eis zwischen uns nie. Also ließ ich sie die Fragen stellen und behielt die Hoffnung, dass wenn sie mich besser kannte und mehr über mich wusste, sie sich mir eventuell auch öffnete.

"Reist du gerne?"

"Ja, sehr gerne. Ich will so viele Länder, wie es nur geht bereisen, neue Kulturen kennen lernen und einfach die großen Unterschiede genießen." Schwärmte ich davon und ich hoffte wirklich es verwirklichen zu können. Alleine oder nicht, hauptsache ich tat es.

"Wo möchtest du denn mal gerne hin?" Fragte sie weiter und ich überlegte.

"Ich weiß es nicht... Einmal möchte ich mal dorthin, wo es aussieht, als wäre ich im Paradies. Ich weiß es klingt unrealistisch,... aber trotzdem möchte ich es mal sehen, auch wenn ich es noch nicht gefunden habe... oder überhaupt weiß in welchem Land ich suchen sollte..." Lachte ich etwas, aber ich meinte es ernst. Ich möchte genau dorthin. Es sollte einem Paradies am nächsten kommen...

"Ich bin mir sicher, du wirst es finden." Meinte sie, "Aber ganz bestimmt nicht hier in England."

Ich lachte: "Ja, vielleicht regnet es im Paradies nicht so viel, aber an sich ist England nicht schlecht."

"Warum England? Du hättest auch auf andere sehr gute Universitäten gehen können." Verstand sie anscheinend nicht.

"Ich wollte weg aus New York. Weg aus Amerika, einfach mal ganz woanders hin... und Brian war hier, also tat ich es für Jane."

Erklärte ich und sie überlegte kurz: "Fehlt dir deine Familie nicht?"

Ich seufzte: "Doch... sehr. Aber wir telefonieren oft und sie werden mich bald besuchen kommen. Also werde ich es schon irgendwie ohne sie aushalten." Es war wirklich schwer,... Ich vermisste sie alle sehr, aber wenn man so eine große Familie plötzlich hatte, telefonierte man sehr oft und somit war es einfacher damit umzugehen, weil man doch irgendwie nie wirklich alleine war.

Ich wusste nicht genau warum, aber nach diesem kurz angesprochenen Thema, stellte sie keine weiteren Fragen mehr. Sie war wieder still... Wirklich still. Nicht einmal die Komödie konnte irgendwas daran ändern, obwohl ich mir nicht wirklich sicher war, ob sie auch wirklich diesen Film anschaute.

Hatte ich vielleicht falsch geantwortet? Irgendwas gesagt, was sie nicht hören wollte?

Rose war wie das aufeinander balancieren von zwei Kugeln... Schwer, sehr schwer zu schaffen, aber dennoch möglich, auch wenn es nur eine geringe Erfolgschance gab. Man musste den perfekten Punkt, den Ausgleichspunkt der Gewichte und Formen finden, um es zu schaffen sie zu knacken.... und selbst wenn man es schaffte, brauchte es nur ein minimale Bewegung, um das Gleichgewicht zu stören, das bisherige Werk zu vernichten und wieder komplett neu anfangen zu müssen.

Wenn man Rose verstehen wollte, brauchte man Geduld, Geduld, Geduld und Vertrauen.

Ich musste es schaffen ihr Vertrauen zu gewinnen, ihr zu zeigen, dass ich für sie da war,... aber ihr gleichzeitig auch, dass ich ihr ihren Freiraum ließ, sie zu nichts drängen geschweige denn zwingen würde.

Ihre Körperhaltung zeigte mir jedesmal aufs neue, dass sie sich versucht vor irgendetwas zu schützen. Sie geht immer in eine Art Defensivhaltung, manchmal nur ganz leicht, andere Male erkenne ich es sofort.

Außerdem fühlt sie sich unwohl, wenn sie die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich zog. Auch wenn es nur kurze Blicke waren, versucht sie sich trotzdem so unauffällig wie möglich zu verhalten und manchmal sogar sich hinter ihren Freunden zu verstecken. Sie redet wenig, nur wenn man sie direkt frägt und selbst das tat sie dann ungern.

An diesem Punkt konnte ich nur noch raten.

Ziemlich wahrscheinlich war, dass sie irgendetwas traumatisches in der Vergangenheit erlebt haben musste. Ihre Kindheit musste unschön für sie oder Familienmitgliedern verlaufen sein und deswegen ist sie so zurückhaltend und versucht eventuell ihren Frust, ihre Angst oder ihre Wut anderswo rauszulassen. Vielleicht geriet sie daher in einer Prügelei... Wenn es eine gewesen war.

Ich musste ihr helfen.

Irgendwie.

Aber wie, wenn ich nicht mal wusste, ob sie mich nach diesem Abend überhaupt weniger hasste und eventuell etwas mehr mit mir redete? Ich hatte keine Ahnung, wie sie sich mir gegenüber verhalten würde, wenn wir uns das nächste Mal über den Weg laufen,... Ich hoffte, dass mein heutiges Entgegenkommen ihr klar macht, dass ich kein Feind oder sonstiges war...

Natürlich konnte sie das alles hier als Wiedergutmachung sehen, da sie mir mehrmals geholfen hatte und dann würde sich bestimmt nichts zwischen uns ändern.

"Du solltest so langsam mal gehen." Holte sie mich aus meinen Gedanken und ich sah auf meine Uhr. Schon kurz nach Mitternacht,... und Luke tickte komplett aus. Er hatte mir 15 Nachrichten geschickt und ich hatte keine beantwortet. Ich musste wirklich gehen.

Sie stand ebenfalls auf und brachte mich zur Tür, schweigend, was denn sonst.

Schnell zog ich meine Schuhe und meine Jacke an, während ich nebenbei noch Luke schnell schrieb, dass ich auf den Weg nach Hause war. Er schickte mir nur einen bösen Smiley zurück.

Er hatte definitiv einen großen Bruder Instinkt entwickelt...

Bevor ich die Tür öffnete, hielt ich kurz inne und dreht mich nochmal um, sah ihr direkt in die Augen, mit diesem Flehen in den eigenen: "Rose,... Falls irgendwas wieder ist... oder du einfach jemanden zum reden oder so etwas brauchst... Ich weiß du kannst mich nicht sonderlich leiden, aber ich bin immer da, okay?"

Sie nickte nur ganz leicht, mied aber jeden Augenkontakt.

Innerlich seufzend drehte ich mich dann um und ging die Treppe runter.

Sie würde das nächste Mal nicht zu mir gehen... Warum sollte sie auch, wenn sie nicht einmal zu Brian, Ryan oder Dorothea ging?

Wusste ihre Familie überhaupt davon?

Diese Fragen,... Es wurden einfach immer und immer mehr.

Ich bezweifelte, dass sich selbst nach diesem Abend etwas zwischen uns änderte...

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