Kapitel 33

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Ich hatte noch nie so lange bis zu Bibliothek gebraucht. Vor allem nicht beabsichtigt.

Jeder Schritt den ich machte, fiel mir schwer und irgendwie gefiel mir der Gedanke daran, dass ich eventuell nie dort ankommen würde, egal wie lange ich lief.

Überwindung war schwer. Ein Außenstehender sieht das sehr wahrscheinlich anders, aber sich selber zu überwinden, war etwas, das nicht jedem geling. Es war hart die dagegen sprechenden Gedanken bei Seite zu schieben und dem Schmerz offen in die Arme zu laufen. Den meisten fehlte dazu der Wille, der Mut und wurden stattdessen von Angst blockiert.

Keiner gab es gerne zu, aber die meisten Menschen zeigten genau in diesem Momente wie schwach sie doch in Wirklichkeit waren.

Ich hatte mich dazu entschieden den kontra Gedanken keine Aufmerksamkeit zu schenken und stattdessen nur an den schönen Zeiten zwischen Sina und mir zu denken. Den Zeiten, die es verdient hätten ausgesprochen zu werden. Zumindest in naher Zukunft.

Es war leicht neblig, hier in den Straßen Londons und ich musste wirklich aufpassen, wo ich hinlief. Man erkannte kaum das rote Leuchten der Ampeln, trotzdem fuhren vereinzelnd Autos mit hoher Geschwindigkeit. Das Konzentrieren ließ mich etwas das bevorstehende Gespräch vergessen, wofür ich dankbar war... Ich würde noch viel Zeit haben mich damit auseinanderzusetzen.

Irgendwann schaffte ich es doch zur Bibliothek, in der noch Licht brannte... Sie hatte noch regulär geöffnet, erst in zwei Stunden wäre offizieller Ladenschluss, trotzdem hing das Eingangsschild mit geschlossen an der Tür. Dorothea hatte verstanden, dass ich keine Störung durch Gäste brauchte, wenn ich über meine schmerzhafteste Zeit offen redete.

Um die fünf Minuten stand ich einfach nur vor dieser Tür und kämpfte innerlich gegen dieses Verlangen einfach umzudrehen und wegzurennen, so weit ich nur konnte und ohne mich auch nur einmal umzudrehen... Aber es wäre falsch... Falsch ihnen gegenüber... Falsch mir gegenüber... Falsch Sina gegenüber...

Mein Mut das richtige zu tun, schaffte es doch mich dazu zubringen die Tür zu öffnen und in das warme Gebäude zu gehen. Ich war fast 20 Minuten zu spät... Vielleicht hatte ich die Hoffnung gehabt, dass wenn ich doch so spät ankommen würde, keiner mehr da wäre. Keiner, der irgendwas von mir hören wollte, was mich innerlich immer und immer wieder aufs neue zerstörte.

Ich zog meine Jacke aus und ging zu den anderen, die alle dort im Kreis saßen.

Gelogen.

Ich zog meine Jacke aus und wollte zu den anderen gehen.

Konnte aber nicht.

Mir wurde erst da bewusste, wie schwach ich war. Ich war wie die meisten Menschen, ich wollte meine so verdammt verletzte Seite nicht zeigen... Ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das wirklich schaffen würde. Die komplette Geschichte hatte ich noch nie bisher erzählt, niemanden, nicht einmal. Wie sollte ich es also jetzt hier schaffen?!

Ich bekam Panik und hatte eine Angst, die mich nach meiner Jacke greifen ließ. Ich wollte einfach nur weg. Weg von dem Schmerz. Weg von diesem so qualvollem Schmerz.

Doch bevor ich meine Jacke überhaupt anziehen konnte, hatten mich plötzlich zwei Arme umschlungen und drückten mich fest an deren Körper. Ich versuchte mich kurz zu wehren, aber ich wusste wer es war und ich wusste, ich war bei ihr sicher. Ich war sicher vor der Angst und der Verzweiflung, zumindest für ein paar Sekunden in denen sie mich an sich hielt.

Mein Körper reagierte automatisch... Ich ließ meine Jacke auf den Boden fallen und schlang selber meine Arme um Janes Hals. Meine Hände griffen nach ihren dünnen Pullover und hielten das bisschen Stoff fest im Griff, aus Angst, dass wenn ich sie los lassen würde, ich wieder in diese Panik verfiel, die mich so durchdrehen ließ.

Mein Gesicht vergrub ich in ihrem Hals, der schon in wenigen Sekunden, genau wie der Kragen und die Schulterpartie ihres Pullovers durchnässt war. Ich weinte und weinte und weinte. Wie oft hatte mich Sina schon so gehalten?... Jane war nicht Sina,... aber das hier hatte eine Ähnlichkeit, wenn auch nur Minimal... Es führt dazu, dass ich zumindest ganz leicht diese Geborgenheit bekam, die Sina mir damals sonst immer gab.

"Macht ihr einen Tee." Hörte ich Jane zwischen meinen Schluchzern sagen und ich riskieren einen kleinen Blick zur Seite. Dort standen alle. Ryan, Like, Maria, Brian und Dorothea... Sie standen da, eher geschockt von meiner Reaktion hier gerade. Zumindest jetzt wussten sie, dass es etwas schlimmes sein musste, was ich ihnen zu sagen hatte, schlimmer, als sie sich jemals ausgemalt hatten und wahrscheinlich auch werden.

Dorothea lief gleich los hinter in die kleine Küche und machte eine Tasse Tee für mich.

Die Blicke der anderen waren mir gerade egal, ich konnte nicht aufhören zu weinen und damit hatte ich Luke und Jane klar gemacht, wie schlimm meine Trauer nach vier Jahren immer noch war. Sie dachten, ich wäre schon gut über Sinas Tod hinweg gekommen, aber in Wahrheit hatte ich ihnen die ganze Zeit was vorgespielt. Hätte ich nicht so gut geschauspielert, hätten mich meine Eltern nie nach England geschickt, oder meine Schwester wäre kurzerhand mitgekommen. Ich wollte, dass sie alle es nicht sahen, wie verletzt und was für ein Wrack ich noch war.

Ich wollte es einfach nicht.

Luke hatte die anderen mit hinter in die Couch Zone genommen, um mir und Jane etwas Privatsphäre zu geben, damit ich mich wieder beruhigen und fassen konnte.

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New Lovers 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt