Kapitel 34. - Lesenacht!

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Trace

Ich wusste nicht wie spät es war, welchen Tag wir hatten oder welche Jahreszeit draußen herrschte. Einzig und allein der Schmerz füllte mich aus. Er war mein Begleiter und ich sein Wirt. Er war mein Mantel in der eiskalten Realität. Er war meine zweite Haut und würde mich niemals wieder gehen lassen.

Wann hatte ich zuletzt gelacht? Wann hatte ich zuletzt ein menschliches Gefühl gespürt? Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, in der ich mal glücklich gewesen war. Eine Zeit, in der es keinen Schmerz gab. Ich hatte alles verloren. Mein Herz wurde mir brutal entrissen und übrig war ein schwarzes Loch geblieben, welches jegliche Gefühlsregung verschluckte. 

Ich verstand es. Endlich verstand ich es. 

Das Leben meiner Mutter. So fühlte sie sich also. 

Leer. Kalt. Unbedeutend. 

Wie eine Puppe, die nichts anderes tat, als ihrem Meister zu gehorchen. Das war ich. Eine Puppe. Mehr nicht. 

Ich stand auf. Ich machte mich fertig. Ich kümmerte mich um meine Geschwister. Ich sorgte für Perfektion. Ich brachte sie ins Bett und schlief wieder ein...

... Ich stand auf. Ich machte mich fertig. Ich kümmerte mich um meine Geschwister. Ich sorgte für Perfektion. Ich brachte sie ins Bett und schlief wieder ein.

Immer und immer wieder folgte ich diesem Rhythmus und ließ die Welt an mir vorbei ziehen, ohne wirklich daran teilzunehmen. 

Ich stand auf. Ich machte mich fertig. Ich kümmerte mich um meine Geschwister. Ich sorgte für Perfektion. Ich brachte sie ins Bett und schlief wieder ein. 

Nicht mehr und nicht weniger. 

Ich war perfekt. Ich brauchte keine Gefühle. Gefühle waren nicht perfekt, deswegen brauchte ich sie nicht, denn ich war perfekt.

Ich war Perfekt.

Ich war Perfekt.

Ich war ....

Ein kräftiger Ruck ging durch meinen Arm, doch ich konnte es nicht wirklich spüren. Der Schmerz in meinem Inneren hatte meinen Körper bis an seine Grenzen ausgehüllt und letztendlich betäubt. Jeder Schritt, jeder Atemzug und jede Bewegung schmerzte, doch keine physische Verletzung der Welt hätte an meine seelischen Qualen heranreichen können. 

Ich brauchte keine Gefühle. Gefühle waren nicht perfekt, deswegen brauchte ich sie nicht, denn ich war perfekt.  

Ich war Perfekt.

Ich war Perfekt. 

Ich war Perfekt.

Immer wieder rief ich mir diese Worte hervor, damit ich an etwas festhalten konnte.

"Was haben sie mit dir gemacht?" hörte ich von weitem eine Stimme, die mir bekannt vorkam. Sie war warm und angenehm. Diese Stimme.. Sie erinnerte mich an etwas. Stockend drehte ich meinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme gekommen war und blickte in das Gesicht meiner zweiten Hälfte. 

Ich brauchte keine Gefühle. Gefühle waren nicht perfekt, deswegen brauchte ich sie nicht, denn ich war perfekt.

Ich war Perfekt.

Ich war Perfekt. 

Ich war..  "Trace! Rede mit mir!" Die Person vor mir klang verzweifelt. Raik klang verzweifelt.

Ich befand mich inmitten der Stadt. Ich sollte den Einkauf machen. Ich sollte das wichtigste einkaufen und wieder zurück gehen. Ich sollte mit niemanden sprechen und die Liste abarbeiten. 

Ich blendete alles um mich herum aus und ging an der Person vorbei, die mein Leben einst in den Händen gehalten hatte. 

Ich war Perfekt.

Ich war Perfekt.

Ich war Perfekt.

So war es richtig. So war es gut. So musste es sein. So musste ich sein. 

Wenn ich bei klarem Verstand gewesen wäre, dann wäre mir aufgefallen wie furchtbar mein Mate aussah. Mir wäre es nicht entgangen wie sehr er litt. Ich hätte bemerkt, dass er kaum schlief und sich große Sorgen machte. 

Ja, wäre wäre wäre...

Es war jedoch anders. 

Ich hatte jegliche Emotionen in einem Schutzbunker vergraben, der in den Überresten meines armseligen Daseins gebaut wurde. 

"Bitte Trace. Hör mir zu. Ich hole dich da raus. Ich verspreche es dir. Bitte kämpfe dagegen an. Ich hole dich."

Ein Versprechen. Da war doch was.

"Es geht nicht." brachte ich hervor und entzog ihm meinen Arm. 

"Doch. Du musst mir nur Vertrauen. Bitte gib nicht auf. Ich habe es dir zwar nicht erzählt, aber du bist nicht allein. Caleb wird uns helfen. Er wird dir helfen!" rief Raik verzweifelt, doch ich konnte ihn kaum verstehen. 

Caleb? Er war hier?

Selbst wenn.. Er konnte nichts ausrichten. Caleb war genauso gefangen wie ich. Es gab kein Entkommen. Es gab kein Ende. Es gab nur die endgültige Perfektion und jeder, der sich dagegen sträubte wurde ausgelöscht. 

Ich war am Leben, denn ich war Perfekt. 

...

Eine Woche war erst vergangen, nachdem das Siegel gebrochen wurde. Eine einzige Woche und ich fühlte mich, als wenn bereits Jahre vergangen wären. Jahre der Qualen, des Leides und der absoluten Perfektion.

Ich Zwang mich dazu nichts mehr zu hinterfragen. Ich dachte nicht darüber nach, wie lange ich es noch aushalten konnte. Ich verschwendete keinen einzige Gedanken daran, ob ich jemals ein freies Leben führen konnte, denn ich war perfekt.

Nach der Begegnung mit Raik war ich einfach weiter gegangen. Ich hatte mich um meine Aufgaben gekümmert und war Nachhause gegangen.

"Wo ist Yve?" fragte ich Brody monoton und ließ den Einkauf vom Personal einräumen.
"ähm ich glaube in ihrem Zimmer. Ich habe sie heute noch nicht gesehen."

Ich nickte knapp und machte mich auf den Weg zu ihrem Zimmer. Yve musste noch viel lernen. Yve war nicht perfekt. Das musste ich ändern, denn ich war perfekt.

Ich ging die große Treppe im Eingang nach oben und klopfte an der Zimmertür meiner Schwester.

Stille.

Ich klopfte erneut.

Immer noch keine Reaktion.

"Yve?" fragte ich und klopfte leise an der Holztür.

Spätestens jetzt machte ich mir große Sorgen. Ich drückte den Henkel nach unten, doch die Tür war verschlossen.

Ich trat näher an die Tür heran und lauschte nach Geräuschen, als ein widerliches Schmatzgeräusch durch den oben Flur hallte.

Irritiert blickte ich zu Boden und lugte unter meinen Fuß, dessen Spitze in einem saftigen Rot getränkt war. Ich vernahm den beißenden Geruch von Metall und Blut und beobachtete, wie die lebenserhaltende Flüssigkeit unter dem Türspalt in den Flur, direkt vor meine Füße wanderte.

"Yve!"

***
So das war's erst einmal für heute. Wenn ich etwas besser vorbereitet bin werde ich auch mal eine längere Lesenacht machen. Mir macht sowas echt Spaß und ich tendiere sowieso dazu all meine Gedanken direkt hinauszuballern. Ich hoffe es hat als guten Ersatz für diese Woche gereicht... Auch wenn die Kapitel kürzer sind als sonst ^w^



It Mate Me Fall In Love With Him (Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt