Kapitel 6

69 4 0
                                    

Durch eine große Eichenholztür gelangte ich in einen Raum, der ziemlich sicher Liams Büro war. Vielleicht arbeitete er, wenn er nicht gerade eine Bank ausraubte, als Versicherungsvertreter? Schnell verdrängte ich den Gedanken, denn es war genauso absurd wie das, was in den letzten Stunden passiert war.

Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, während er sich auf dem schwarzen Ledersessel, der hinter dem großen Schreibtisch stand, niederließ. An der Wand standen ein paar Regale, allesamt vollgestopft mit Büchern und Ordnern. Außerdem hingen an der Wand eine Weltkarte und irgendwelche modernen Kunstwerke. Der mittlere Teil des Bodens wurde von einem hellgrauen Teppich bedeckt und von der Decke hing eine Lampe mit grauem Schirm. Auf seinem Tisch stand ein kleiner Kaktus, daneben ein Kalender und rechts davon ein Stiftehalter mit verschiedenen Schreibutensilien.

Zögernd setzte ich mich auf den Stuhl, der vor dem Schreibtisch stand und legte die Hände in den Schoß. Ich wusste, wenn ich nervös war, würde ich sofort an meinen Fingern herumspielen und dass brauchte Liam nicht zu bemerken.

"Also, Hope. Kommen wir gleich zur Sache."

Kein Hallo, kein Wie geht's. Gar nichts. Gut, insgeheim hatte ich auch nichts anderes erwartet.

Er räusperte sich, dann fuhr er fort: "Wir beide wissen, dass das, was gestern passiert ist, kein Traum war. Wir haben unseren Job gemacht und du hast uns dabei erwischt. Pech für uns, denn jetzt hast du etwas gegen uns in der Hand. Leider, und das wissen wir ebenfalls, können wir dich nicht einfach laufen lassen."

Noch bevor er weiterreden konnte, warf ich ein: "Ich hatte nie vor, euch in die Quere zu kommen! Das war ein blöder Zufall...Bitte tu' mir nichts..." Meine Stimme bebte vor Panik. Verwundert schaute er mich an.

"Kann es sein, dass du Angst vor mir hast?", fragte er. Ich nickte und wandte meinen Blick ab. Ich wollte ihm nicht in die Augen sehen. War das nicht offensichtlich, dass er mir mit seiner Art Angst einjagte?

"Hope, ich will dir nichts tun. Ehrlich", versicherte er mir.

"Aber, Louis hat-"

"Ja?"

Ich seufzte kurz, dann erzählte ich ihm von dem Gespräch mit Niall gestern Nacht.

"Louis wollte dich einschüchtern, das ist alles", sagte er, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Wenn ich nicht gerade total verängstigt wäre, würde ich schwach lächeln. 

Es fühlte sich schrecklich an, wenn andere Leute plötzlich über mein Leben bestimmen konnten. Einfach nur furchtbar. Liam wusste, dass er am längeren Hebel saß und er hatte das Einfühlvermögen eines Toastbrotes, wie es schien.

"Ich muss gleich was Geschäftliches erledigen, aber um nochmal auf den Punkt zu kommen: Kann ich davon ausgehen, dass du nicht einfach abhaust und alles verrätst?", riss mich Liam aus meinen Überlegungen. Was für eine Antwort erwartete er bitte auf diese Frage?

"Ja. Ich werde nichts sagen. Aber ... die im Waisenhaus werden trotzdem nach mir suchen lassen."

"Lass das meine Sorge sein. Gibst du mir noch die Adresse?", fragte er mit einem schiefen Grinsen. Gerade als ich fragen wollte, was er vorhatte, da klopfte es an der Tür und Niall kam herein.

Schnell stand Liam auf und sagte: "Super Timing. Hope, erzähl' Niall etwas über dich. Am besten alles, was wichtig ist, um dich kennenzulernen. Ich muss los. Später gehst du dann mit Harry und Louis einkaufen."

Als ich etwas erwidern wollte, fixierte mich Liam mit seinem Blick und ich konnte nicht anders als stumm zu nicken.

Einkaufen? Klamotten, oder was? Vielleicht war es auch ein Test, ob ich wirklich nicht wegrannte? Wenn ja, war das ziemlich bescheuert. Und wieso ausgerechnet mit Louis? Er wirkte auf mich, als wollte er mich seit unserer ersten Begegnung loswerden. Andererseits mochte ich ihn auch nicht besonders, also schien dies auf Gegenseitigkeit zu beruhen.

"Alles okay? Du wirkst so neben der Spur", stellte Niall fest, als Liam gegangen war. Irgendwie vertraute ich dem Blondschopf, also erzählte ich ihm, was mir auf dem Herzen lag. 

"Nein. Gar nichts ist okay! Ich wurde entführt, Louis will mich loswerden, Harry schließt Wetten über mich ab und Liam ... er ist komisch. Ich werde nicht schlau aus ihm! Er ändert jede Sekunde seine Stimmung und wirkt total unberechenbar, obwohl er mir das Gegenteil versichert hat!"

"Und ich?", fragte er vorsichtig.

"Du bist ganz okay. Wenn man davon absieht, dass du dein kriminelles Leben meiner Meinung nach viel zu locker nimmst", sagte ich und grinste.

Niall fing laut an zu lachen und sagte: "Willst du wissen, wieso?" Ich nickte und wir machten uns auf den Weg ins Wohnzimmer. Das unwohle Gefühl in meinem Magen von vorhin war wie weggeblasen, als ich Niall lachen hörte. 

Wieso konnten nicht alle so korrekt sein wie er?

Catch us if you canWo Geschichten leben. Entdecke jetzt