Als ich am nächsten Morgen in die Küche kam, fand ich einen gedeckten Esstisch vor. Jedoch war niemand im Raum. Ich versuchte, den Geruch von frischen Pfannkuchen so gut es ging zu ignorieren und machte mich auf die Suche nach den Jungs. Anhand einer gedanklichen Liste arbeitete ich alle Räume im Haus ab.
Wohnzimmer: Nein.
Keller: Fehlanzeige.
In ihren Zimmern: wie leergefegt.
Liam's Zimmer: -
Liam's Büro: Abgeschlossen?
Draußen: auch nicht.
Mist, wo konnten sie nur stecken? Langsam kam Sorge in mir auf. Hatten sie mich allein gelassen? Ein klickendes Geräusch ließ mich zusammenzucken und holte mich aus meinen Gedanken. Ich rannte die Treppe hinunter und starrte die Haustür an.
Vor mir stand ein Lockenkopf, in jeder Hand hielt er eine Einkaufstüte. Als er meinen erstaunten Blick bemerkte, klärte er mich auf: "Sorry Hope, ich hätte es dir sagen sollen: die Jungs haben ein wichtiges Meeting, also haben wir den ganzen Tag für uns." Zwinkernd schloss er die Tür und verschwand in der Küche. Einen ganzen Tag mit Harry? Na das konnte lustig werden, immerhin hatte ich noch seinen Fön irgendwo in meinem Zimmer.
Während ich die Küche betrat, war Harry dabei, die Pfannkuchen misstrauisch zu begutachten. Schmunzelnd hob ich eine Augenbraue.
"Mann, wenn Niall jetzt hier wäre, würde er mir eine Strafpredigt halten, wie wichtig es ist, das Essen zu essen, bevor es kalt wird!", murmelte er vor sich hin, ehe er mich bemerkte.
"Ja, Niall ist echt verfressen!", gab ich lachend zu. Wenn ich ihn in seinem Zimmer besuchte, (dort verbrachte er die meiste Zeit), lag irgendwo ein vollgekrümelter Teller, eine Chipstüte, leere Flaschen oder anderer Abfall. Wenigstens meine Cookies hatte er angemessen in einer Keramikdose versorgt. Harry stellte die kalten Pfannkuchen in die Mikrowelle und machte sich einen Kaffee.
"Schon Pläne für heute?", fragte er, als er sich zu mir an den Tisch setzte.
"Ist die Frage ernst gemeint? Was sollte ich denn vorhaben?"
Etwas nervös lachte er. "Naja, ich hätte schon eine Idee." Erneut hob ich meine Augenbraue. Was kam jetzt? Doch ich bekam keine Antwort. Er funkelte mich lediglich geheimnisvoll mit seinen grünen Augen an.
Nach unserem Frühstück war Harry in sein Zimmer verschwunden und zeigte mir wenige Minuten später sein "Ein und Alles", wie er es nannte: eine Kamera. Dann eröffnete er mir auch seinen Plan für heute: ein Fotoshooting. Ich wusste zuerst nicht, was ich sagen sollte. Von mir gab es so gut wie keine Fotos, außer den Kinderfotos in der Kiste. Im Waisenhaus hatte keiner Zeit, Erinnerungen festzuhalten, geschweige denn die richtigen Hilfsmittel. Noch bevor ich die Kamera berühren konnte, war Harry mit ihr in meinem Zimmer verschwunden und ließ mich verwundert im Flur zurück.
"Kann ich jetzt reinkommen?", fragte ich und trat von einem Fuß auf den anderen.
Gespannt lauschte ich den Geräuschen hinter meiner Zimmertür, bis sich diese öffnete und Harry mich grinsend hereinbat. Auf dem Bett lagen drei verschiedene Outfit-Kombinationen, die Harry mir zusammengesucht hatte. Ein cooles, mit Lederjacke und Sonnenbrille. Ein elegantes, bestehend aus dem einzigen Kleid, das ich besaß. Und ein ... was war das? Das dritte Outfit bestand aus einer schwarzen Seidenstrumpfhose, einer weißen Latzhose und einem gemustertes T-Shirt.
"Willkommen! Treten Sie ein, Mademoiselle!" Seit wann hatte er diesen französischen Akzent? Echt zum Totlachen!
Ich kam mir vor wie in einer Pariser Modeboutique und prompt stellte ich mir genau das vor. Schnell schnappte ich mir das erste Outfit und probierte es an. Harry wartete währenddessen vor meinem Zimmer und schaute mich mit großen Augen an, wenn ich aus der Tür trat. Danach suchten wir uns passende Orte, oder "Locations", wie der Profifotograf es nannte und machten Fotos. Viele Fotos. Denn bei jedem zweiten hatte er etwas zu bemängeln und so mussten wir es erneut aufnehmen.
"Das Licht ist zu dunkel!"
"Mehr Lächeln, Hope!"
"Ein bisschen weiter nach links!"
Trotzdem machte mir das ganze ziemlich Spaß. Zwischendurch verschwand ich in mein Zimmer und zog ein anderes Outfit an. Nach getaner Arbeit schloss Harry die Kamera an den Computer an und wir konnten die Schnappschüsse begutachten.
"Wow! Das ist echt gut! Und das erst!" Stolz schauten wir uns die fertigen Fotos auf Harrys PC an. Während er weiter nach unten scrollte, wurde meine Aufmerksamkeit von etwas Anderem geweckt. Auf dem Schreibtisch des Lockenkopfs stand ein gerahmtes Bild von Liam. Auf dem trug er ebenfalls Lederjacke und Sonnenbrille, dazu schwarze Jeans und Stiefeletten. Ein Déjà-Vu Gefühl überkam mich. Warum kam es mir so bekannt vor?
Harry bemerkte meinen Blick, griff nach dem Rahmen und stellte ihn neben den Computer. Als hätte er meine Gedanken gelesen, öffnete er genau das Foto, welches die Verbindung zwischen meinen Gedanken und Liams Bild schaffte: auf dem Foto, (das wir vorhin gemacht hatten!), lehnte ich lässig an der Hauswand. Mit Lederjacke und Sonnenbrille. Ich schaute vom Bildschirm zum Rahmen und konnte es fast nicht glauben, wie ähnlich wir uns sahen.
"Zwei Jahre ist das Foto alt. Liam war gerade ein paar Monate in NY und hatte sich schon an das Leben hier gewöhnt", erzählte Harry.
"Und jetzt gibt es eine neue Version. Ich muss sagen, der coole Badgirl-Look steht dir." Schmunzelnd drehte er sich zu mir um. Kein Funkeln in den grünen Augen, nur ein ehrliches, warmes Lächeln. Ich wollte Harry nun allein lassen, doch er hielt mich auf.
"Wir haben ein Foto vergessen."
"Ach ja? Wir haben doch mindestens hundert-", doch weiter kam ich nicht, da er sein Handy aus der Hosentasche fischte und es hochhielt.
"Selfie-time!", riefen wir gleichzeitig und schauten uns verwundert an, dann mussten wir lachen. Während der Zeit mit den Jungs habe ich vieles über Technik und Social Media gelernt. Wir grinsten in die kleine Kamera und sofort erschien ein Spiegelbild der Wirklichkeit auf dem Display. Harry betätigte den Auslöser und kurze Zeit später befand sich das Bild in seiner Galerie.
"Okay, du bist entlassen", meinte Harry lachend, "Hattest du Spaß durch die verschiedenen Outfits in andere Rollen zu schlüpfen?"
"Oh, ja! Einmal war ich cool, einmal elegant und einmal, was war das letzte? Mit der Latzhose?"
"Einfach Hope", erklärte Harry mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht, das mich prompt ebenfalls lächeln ließ.
DU LIEST GERADE
Catch us if you can
Fanfiction"Wovor hast du Angst?" Genau das hatte sich in seinen Augen wiedergespiegelt. Angst. "Das hatten wir bereits, ich-" "Jaja, du nennst es Respekt", winkte ich ab, "Ich dachte, vielleicht hat sich deine Einstellung in der Zwischenzeit geändert ..." Er...