Kapitel 76✅

31 2 0
                                    

14. November

19:38 Uhr

Geräuschvoll ließ ich die Tür meines Zimmers zufallen und warf mich aufs Bett. Es war einfach schrecklich! Nichts passte mehr zusammen; alles drohte auseinander zu fallen. Den Tränen nahe vergrub ich meinen Kopf im Kissen und blieb dann erschöpft liegen.

Leises Klopfen drang zu mir hinüber und ich setzte mich auf. Janice trat in den Raum und musterte mich besorgt.

"Hope, wir müssen reden. Und zwar jetzt." Sie ließ sich auf dem Schreibtischstuhl nieder. Natürlich wollte sie reden und wissen, was los war. In meiner momentanen Verfassung fühlte ich mich jedoch nicht dazu in der Lage.

"Es gibt viele Dinge, die du vielleicht nicht weißt und deshalb werde ich nun Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht siehst du die Welt dann mit anderen Augen", begann sie ruhig und sachlich, "Zuallererst solltest du Shawns Aussagen nicht zu ernst nehmen. Er meint das nicht so."

Ich schnaubte verächtlich.

"Wirklich", beteuerte sie mir. Ich schwieg erneut und sie fuhr fort: "Ich deute das mal als 'angekommen'. Okay, nun zum wichtigeren Teil: weißt du, wieso du hier bei uns bleiben darfst und nicht im Gefängnis gelandet bist?"

Zögernd änderte ich meine Sitzposition.

"Keine Ahnung, ehrlich gesagt." Es machte nicht viel Sinn, egal wie ich es drehte. Liam faselte etwas von "du hast es nicht verdient, eingesperrt zu werden", aber er schon, oder was?
Außerdem, wieso sollte er die Leute vom FBI überzeugen, mich freizulassen, nach all den Sachen, die sie angestellt hatten?

"Liam hat einen Deal ausgehandelt, um dich sozusagen 'freizukaufen'", klärte Janice mich auf.

Moment, wie bitte?!

"Es klingt verrückt und zugegeben ist es nicht ganz offiziell, aber es hat funktioniert", führte sie weiter aus, während sie meinen verwirrten Gesichtsausdruck musterte, "Liam und die Jungs haben dem FBI angeboten, deine Strafe auf sich zu nehmen, da es 'auf die paar Jahre auch nicht ankommen würde'. Außerdem gibt es uns mehr Absicherung, dass die Black Panthers sicher verwahrt werden. Für beide Seiten ein fairer Deal."

Okay, das musste ich erst einmal sacken lassen. Waren die Jungs komplett bescheuert? Sie konnten doch nicht einfach-

"Du scheinst ihnen unglaublich viel zu bedeuten, Hope", sprach Janice, als hätte sie meine Gedanken gelesen, "Sie wollen nicht, dass du wegen einer Jugendsünde deine Zukunft verbaut hast. Um ganz sicher zu sein, dass es dir gut geht, bist du bei uns untergekommen."

"Und das nehmt ihr so an? Ihr verhandelt mit Verbrechern, die euch solche Schwierigkeiten gemacht haben?" Wieso sollte sie das tun? Ich sah ihren Nutzen hinter alldem nicht.

"Ich weiß, dass es nun vorbei ist. Und sie wissen das auch. Sobald die Verhandlung beendet wurde, werden sie-", Janice stoppte und seufzte tief, "-ihre Strafe absitzen. Und das für lange Zeit. Somit ist der Fall auch für mich abgeschlossen."

"Du hast meine Frage nicht beantwortet", stellte ich nüchtern fest. Janice konnte gut um den heißen Brei herumreden. Genau wie Niall. Im Moment nervte mich es jedoch mehr, als dass ich mich über die Ähnlichkeit freuen konnte.

"Ich war dabei, also als sie den Deal ausgehandelt haben. Ich habe sie gesehen. Ich habe gesehen, wie sie über dich geredet haben; von dir erzählt haben. Du bist ihnen allen wichtig, sonst hätten sie die Strafe nicht untereinander aufgeteilt. Mich hat es verwundert, dass sie auch eine andere Seite haben. Ich dachte immer an rücksichtslose Verbrecher, die alles für Geld tun würden. Und dann wurde ich eines Besseren belehrt. Sie haben Einiges im Leben falsch gemacht, aber trotzdem etwas richtig", Janice lächelte mich an, "Ich habe auch etwas falsch gemacht, deshalb will ich wenigstens etwas richtigmachen."

Wow, das hatte ich nicht erwartet.

"Außerdem, Hope, wenn du uns irgendetwas mitteilen willst, mach' es ruhig. Wir haben eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben, die uns untersagt, dich nach Informationen über die Jungs auszuhorchen. Wenn du willst, gebe ich es dir schriftlich. Ich-"

"Danke", unterbrach ich ihren Redefluss und spürte, wie meine Mundwinkel sich leicht hoben. Eine komische Stille machte sich zwischen uns breit. Keiner von uns sagte auch nur ein Wort. Es schien alles gesagt worden zu sein.

"Ist das deine?", fragte Janice plötzlich und zeigte auf Nialls Gitarrenkoffer. Etwas irritiert stand ich auf und legte den Koffer aufs Bett, um ihn zu öffnen.

"Nein, die gehört Niall." Vorsichtig strich ich über die Saiten und betrachtete das Instrument. Sofort tauchten die Momente, an denen er darauf gespielt hatte, vor meinem geistigen Auge auf.

"Darf ich-" Janice wollte nach der Gitarre greifen, doch ich kam ihr zuvor und reichte sie ihr. Etwas überrumpelt nahm sie das Instrument entgegen. Sie schlug die Saiten an und ein schreckliches Geräusch zerschnitt die Luft.

"Die ist total verstimmt. Wegen des Fluges wahrscheinlich."

Wenig später saß ich neben ihr auf dem Bett und schaute ihr dabei zu, wie sie Nialls Gitarre wieder richtig stimmte. Sie, Janice, die monatelang nach den Jungs gesucht hatte. Sie saß neben mir, Hope, die monatelang bei den Jungs gelebt hatte. Ausgerechnet wir beide saßen hier, als hätten wir nie etwas anderes getan.

Catch us if you canWo Geschichten leben. Entdecke jetzt