Kapitel 79✅

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24. November

Ach du meine Güte! Der gestrige Tag war definitiv zu viel für meine Nerven.

Izzy hatte natürlich mitbekommen, dass ich aus dem Gerichtssaal gestürmt war und folgte mir bis zu den Toiletten. Doch anstatt zurück hinein zu gehen, schnappte sie sich meine Hand und zerrte mich aus dem Gebäude.

"Was soll das?!", protestierte ich lautstark, sodass einige Leute sich zu uns umdrehten.

"Wir gehen jetzt zu Starbucks. Du musst wieder auf klare Gedanken kommen, okay?"

Was sollte ich erwidern? Zurück wollte ich ganz sicher nicht, da schien Izzy das geringere Übel zu sein.

"Ich glaube, wir sollten reden", meinte Izzy, als der Becher Chai Tea vor mir stand und vor sich hin dampfte.

"Du erinnerst dich an den inoffiziellen Deal zwischen den Jungs und dem FBI?"

Ich nickte nur langsam.

"Daher kam Louis' Aussage. Sobald sich herausstellt, dass du ihnen doch wichtiger warst, als angenommen, werden Fragen gestellt. Diese Fragen könnten den Deal auffliegen lassen. Also versteh' es nicht falsch, was sie da von sich geben. Wenn du nur ein 'Hilfsmittel' wärst, würden sie sich dann so für dich einsetzen?"

"Wohl kaum." Ich nahm einen Schluck von meinem Tee. Die Milch schmeckte luftig und die orientalische Gewürzmischung des Chai in Kombination mit Zimt ließ mich wahrhaftig ein kleines Bisschen entspannen.

"Schön, dass du das einsiehst."

Mit Izzy zu reden war komisch. Sie war so vertraut und irgendwie doch ganz weit entfernt. Eines war klar, die Freundschaft von früher war das hier nicht mehr. Zwischen uns war ziemlich viel vorgefallen und das Vertrauen, die Basis jeder Freundschaft, war in tausend Teile zersplittert worden.

"Hope, ich schätze, ich kann das Vertrauen zwischen uns nicht einfach zurückholen", begann sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen, "aber ich kann während der schweren Zeit für dich da sein. Sofern du das willst, versteht sich."

Erneut konnte ich nichts erwidern. Ich schaute sie einfach nur an, musterte ihre blauen Augen und die Sommersprossen. Izzy, das Mädchen, das ich ehemals als beste Freundin bezeichnet hatte. Das Mädchen, das sich offen gegenüber ihrer neuen Nachbarin gezeigt hatte und sie in ihre Clique eingegliedert hatte. Das Mädchen, das mich von Anfang an unterstützt hatte und mir half, mich einzuleben.

Ich stand also auf und tat das Einzige, was mir in diesem Moment als richtig erschien: ich umarmte sie. Ganz fest. So wie Niall es immer tat. Ich umarmte das Mädchen, das eine zweite Chance verdient hatte.

"Danke, Hope." Izzy lächelte.

"Nichts zu danken." Ich kopierte ihr Lächeln. Wir redeten noch eine ganze Weile über alle Dinge, die in den letzten Wochen passiert waren, hielten aber eine gewisse Distanz ein. Als der Tee leergetrunken war, musste ich mir eingestehen, dass Izzy mich wirklich abgelenkt hatte. Ich sprach es zwar nicht aus, aber ich war ihr sehr dankbar dafür.

Am nächsten Tag wurde die Verhandlung fortgesetzt und Shawn nahm mich dieses Mal offiziell mit. Janice riet mir davon ab, aber ich nannte ihr Izzy als Begleitung und damit war die Sache gegessen.

Auch Shawn und Janice erklärten mir gestern, dass die harte Aussage von Louis nicht ernst gemeint war. Wieso hatten mich seine Worte dann so getroffen? Ich schob es auf das Gefühlschaos und den Stress der letzten Wochen. Die Jungs hatten sich sehr geändert in der Zeit, in der wir uns kannten, also hätte ich einfach eins und eins zusammenzählen müssen.

Leider hatte sich heute die ganze Welt gegen uns verschworen. Als wir gegen Mittag aufbrechen wollten, konnte ich meinen Augen nicht trauen: es schneite dicke weiße Flocken! Ich kannte die Winter in New York gut genug, um zu wissen, dass gleich der ganze Verkehr stillstehen würde. Wir brauchten ganze zwei Stunden durch das Schneechaos, denn die Flocken wurden dichter und der Verkehr auch. Als wir den Gerichtssaal betraten, sah es so aus, als wären wir zu spät, denn er war so gut wie leer.

"Die Geschworenen haben sich zur Urteilsbesprechung zurückgezogen", erklärte Shawn, der die Information von einem Kollegen bekommen hatte.

"Was?! Jetzt schon?" Ich konnte es kaum glauben.

"Wie es aussieht, ist alles geklärt." Janice zuckte etwas ratlos mit den Schultern.

"Und, wie sieht es aus? Also zu welchen Gunsten werden die-"

"Pst, sie kommen!" Janice ließ meinen Redefluss verstummen, denn die ganzen Leute strömten zurück in den Saal. Die Jungs wurden ebenfalls hereingebracht.

Immer noch wirkten sie alle ziemlich erschöpft und Niall war nervöser als zuvor. Er spielte mit seinen Händen herum und schaute sich andauernd hektisch um, so als würde er versuchen, irgendwo Halt zu finden. Zum Schluss erschien der Richter hinter seinem Pult und verkündete das Urteil. Meine Hände begannen zu zittern, weshalb Izzy sich meine Hand schnappte und sie fest drückte.

"Angesichts der erdrückenden Beweislast und den Geständnissen der Täter, befinden Sie die Geschworenen schuldig, gemäß-" Dann rasselte der Richter eine Liste an Straftaten herunter, die die Jungs begangen haben sollen.

"Im Namen des Staates New York verurteile ich Sie alle zu einer unbedingten Haftstrafe von acht Jahren im Staatsgefängnis. Der Haftantritt erfolgt ab sofort. Damit ist die Verhandlung beendet."

Mein Herz setzte für einen Moment aus. Acht Jahre. Das war verdammt nochmal die Hälfte meines Lebens. Ich bemerkte, dass Nialls Gesichtsfarbe der weißen Wandfarbe ziemlich nahe kam, während die anderen eher erleichtert wirkten. Sie schüttelten Hände mit dem Pflichtverteidiger und ich bemerkte, dass Liam Niall stützen musste, als sie aufstanden. Neben mir grinste Shawn zufrieden und Janice wirkte ausdruckslos.

"Für das Ausmaß an Vorwürfen klingt das Urteil relativ mild", flüsterte Izzy und sorgte dafür, dass ich sie mit großen Augen anstarrte.

"Im Ernst, sie könnten dreimal so lange sitzen!"

Das wären dann-

Scheiße.

Nun setzte die Erleichterung auch bei mir ein. Die Menschen stürmten aus dem Saal und auch die Jungs verschwanden. Nun waren sie also weg. Für acht lange Jahre.

Wie hypnotisiert ließ ich mich von Izzy zum Ausgang begleiten und stieg dann in Shawns Auto. Während der ganzen Fahrt starrte ich aus dem Fenster und ließ meinen Blick ins Leere wandern. Meine Gedanken brauchten erst einmal Zeit, um alles zu verarbeiten, vermutlich um die acht Jahre.

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