Kapitel 24✅

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Gestern Abend versuchte ich erneut, das Gedankenchaos in meinem Kopf zu sortieren, doch es wurden immer mehr Fragen, auf die ich keine Antworten hatte. Wenigstens ließen mich meine Gedanken in Ruhe, während ich im Bett lag. Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf meine Atmung und schlief schlussendlich ein.

Am nächsten Morgen stand ich vor meinem Schrank und stapelte die Klamotten auf mein Bett, die ich mitnehmen wollte. Komischerweise fiel mir das schwerer, als gedacht. Vermutlich lag es an all den Fragen, die mir durch den Kopf gingen und mich ablenkten. Wohin würden wir gehen? Wieder mitten ins Nirgendwo, damit uns niemand finden konnte?

Tief im Inneren sehnte ich mich nach sozialem Kontakt. Nach Gleichaltrigen. Nach Freunden. Vielleicht sogar nach der Schule. Doch war das überhaupt möglich? Konnte ich Freundschaften knüpfen, wenn wir auf der Flucht vor dem Gesetz waren? Würde es immer so weitergehen?

"Hey, Hope. Alles okay?", fragte Harry, der gerade in mein Zimmer gekommen war. Ich legte das T-Shirt, das ich kurz zuvor aus dem Schrank gezogen hatte, auf den vorgesehenen Stapel und nickte.

"Es gibt etwas Wichtiges zu besprechen, kommst du?"

Meine Gedanken von vorhin waren wie weggeblasen und ich folgte ihm aus dem Zimmer. Wie immer saßen alle im Wohnzimmer und ich trudelte als Letztes ein. Wobei, Louis fehlte noch. Ich setzte mich neben Niall aufs Sofa und verschränkte die Arme hinter meinem Kopf. Seit sie mich in ihren Plan eingeweiht hatten, verbrachten wir viel mehr Zeit miteinander, was ich total genoss. So konnte ich die Jungs näher kennenlernen.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ein gestresster Louis stand nun im Wohnzimmer.

"Bin schon da. Also-", begann er und holte eine Papiertüte hervor, dessen Inhalt er ausleerte. Auf dem Tisch lagen nun fünf schwarze Reisepässe. Ohne auf eine Aufforderung zu warten, griff ich nach einem und las verwirrt den Namen vor.

"Chris Cooper? Wer soll das sein?" Noch mehr verwirrte mich das Bild links daneben. Darauf war nämlich Niall zu sehen. Und dann ging mir ein Licht auf. Wenn wir unsere echten Namen verwenden würden, würde uns die Polizei sofort schnappen. Zum Glück machte Liam hier die Pläne und dachte für uns alle mit.

"Hope, das ist einer der schwierigsten Teile unseres Plans. Die neue Identität." Liam nahm mir den Pass aus der Hand und reichte ihn Niall.

"Darf ich vorstellen? Chris kennst du bereits. Das ist Jack Moore, er arbeitet als Anwalt", er reichte den nächsten Pass Harry, "Und nicht zu vergessen: Collin Flynn. Policeofficer" Den dritten Pass bekam Louis in die Hand gedrückt.

"Ich bin übrigens James. James Cooper."

Er hielt mir den letzten Pass vor die Nase. Ich griff aufgeregt danach und klappte das schwarze Mäppchen auf. Mein Blick fiel zuerst auf das Foto, das gar nicht so schlimm aussah, wie gedacht. Als ich den Namen las, klappte mir die Kinnlade runter.

"Ruby Cooper." Der Name, den ich mir vor ein paar Jahren ausgedacht hatte. Der Name der Hauptfigur aus meiner Geschichte. Ruby, die mutige Protagonistin, die alle Situationen zu meistern schien und doch lernen musste, mit ihren Fehlern zu leben. Meine Augen noch immer auf den Pass gerichtet, erhob ich mich langsam vom Sofa und stellte mich ans Fenster. Ich konnte die verwirrten Blicke der Jungs auf meinem Rücken spüren.

"Hast du meine Geschichte gelesen?", fragte ich plötzlich, als ich hörte, dass jemand aufgestanden war. Ich spürte eine warme Hand auf meiner Schulter und schaute in zwei braune Augen, die mich schuldig musterten. Ich starrte ihn abwartend an, sodass er seufzte und sich durch die Haare fuhr.

"Als ich die Sachen aus dem Waisenhaus geholt habe, lag dein Notizbuch zufällig ganz oben und ich habe ein wenig darin gelesen. Ich war erstaunt über deine Wortwahl und die Lebendigkeit der Geschichte. Bei Gelegenheit las ich ein Kapitel, bis ich das Notizbuch schlussendlich in den Karton zurück packte. Wenn ich mich dadurch zu sehr in deine Privatsphäre eingemischt habe, tut es mir leid."

"Nein. Ganz im Gegenteil. Du bist der erste, der die Geschichte gelesen hat. Ich hab' immer für mich selbst geschrieben. Keiner wusste es, obwohl es auch niemanden interessiert hat." Diese Erkenntnis versetzte mir einen Stich ins Herz. Früher war ich es nicht anders gewohnt gewesen, aber seit ich bei den Jungs war, wurde mir klar, wie wichtig Aufmerksamkeit und Fürsorge war.

"Wieso heißen du und Niall auch Cooper?", fragte ich, nachdem wir für einige Minuten einfach aus dem Fenster gestarrt hatten.

"Wundere dich nicht, es ist ein komisches Familienverhältnis. Also Chris ist dein Bruder und ich bin euer Cousin." Mein Dad war gleichzeitig mein Cousin? Das war in der Tat komisch, aber es entsprach ja auch nicht ganz der Wahrheit.

"Du bist jetzt nicht mehr Hope. Du bist jetzt Ruby Cooper", versuchte er klarzustellen.

"Aber morgen Trisha!", rief Harry dazwischen.

"Als könnte ich das vergessen!", gab ich augenrollend und kichernd zugleich zurück, dann wandte ich mich nochmal an Liam.

"Verstanden. Ich bin jetzt Ruby. Nett, dich kennenzulernen, James."

Nachdem wir noch mehr zur neuen Identität besprochen hatten, verkroch ich mich in meinem Zimmer und packte weiter. Irgendwann war der Koffer ziemlich voll, also machte ich mich auf die Suche nach Liam, damit er mir helfen konnte, den Koffer zu verschließen.

„Bist du hier?", fragte ich vorsichtig, als ich vor der Tür zu Liams Büro stand, die einen Spalt breit geöffnet war. Ich bekam keine Antwort, also trat ich kurzerhand ein. Im ersten Moment sah ich niemanden, dann erkannte ich Liam mit dem Rücken zu mir. Er stand vor der Wand, an der normalerweise ein Bild hing. Dieses hatte er abgehängt und es lehnte nun an einem Regal.

Doch das war es nicht, was mich störte. In der Wand prangte ein großes Loch. Bei genauerem Hinsehen verstand ich auch, wieso: aus welchen Grund auch immer fungierte diese Wand gleichzeitig als Tresor. Ganz richtig, in der Wand versteckten sich unzählige Geldbündel.

"Ach du Scheiße!", rief ich und hielt mir die Hand vor den Mund. Einerseits, wegen des Geldes, andererseits wegen meiner Ausdrucksweise. Liam drehte sich erschrocken um und starrte mich an.

"Ruby, was machst du hier?" Wir hatten ausgemacht, dass wir uns schon jetzt mit den neuen Namen ansprachen, um uns schneller umzugewöhnen.

"Naja, ich wollte fragen, ob du mir hilfst, meinen Koffer zu zumachen, aber was ist das?" Ich zeigte auf das Loch.

"Eigentlich ein Geheimnis. Aber naja, jetzt kennst du es. Es sind unsere Geldreserven, die wir noch nicht auf die Konten eingezahlt haben. Wäre doch komisch, wenn jemand plötzlich so viel Geld auf einmal zur Bank bringen würde, oder?" Er reichte mir ein Bündel, damit ich es begutachten konnte.

"Das ist alles vom letzten Mal?", fragte ich mit weit aufgerissenen Augen. Liam lachte kurz, dann antwortete er: "Nein. Aber das ist nur ein Bruchteil unserer Beute, soviel kann ich dir verraten." Mir war bewusst, dass sie schon länger in ihrem Business tätig waren, aber wenn das nur ein Bruchteil war, dann würde das bedeuten-

"Ich weiß, ne Menge Knete. Wie, glaubst du, haben wir dieses Haus und die Autos finanziert?", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen. Wow, das war irgendwie gruselig. 

"Bist du fertig mit packen? Alles klar wegen morgen?", fragte er, als ich ihm das Geld zurückgab.

"Ja, bin nur ein bisschen aufgeregt wegen morgen", gab ich zu und starrte auf meine Füße, die aus irgendeinem Grund interessant erschienen.

"Mach dir keine Sorgen. Ich glaub' an dich!" Er packte mich an meinen Schultern und lächelte.

Bei seinem Anblick huschte mir ebenfalls ein Lächeln übers Gesicht und seine Augen funkelten zufrieden.

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