Kapitel 35✅

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Und schon brach der nächste Tag an. Gestern war ich gelassen und mit Gedanken an die wunderschöne Nacht eingeschlafen. Leider hielt meine Gelassenheit nicht mal bis zum Frühstück an. Morgens hatte ich Mühe, die Schlafmütze neben mir wachzubekommen. Keine Ahnung, wie er das anstellte, aber er schlief wie ein Stein.

Schlussendlich war Niall wach und ich um eine Erkenntnis reicher: Versuche nie, ihn mit Wasser aufzuwecken. Fairerweise warf ich ihm kurz darauf ein Handtuch zu, damit er sich abtrocknen konnte. Trotzdem war er sichtlich sauer als wir uns auf den Weg nach unten machten. Da das Zimmer keinen Fön hatte, waren seine blonden Haare immer noch feucht und standen wirr vom Kopf ab. Natürlich konnten sich die Jungs, vor allem Louis, ein paar bescheuerte Kommentare nicht verkneifen.

("Muss ich dir erst erklären, wie ein Handtuch funktioniert?" - "Schnauze!")

Später schlenderten wir durch die Straßen der französischen Hauptstadt und mit einem Mal fiel mir der besondere Charme von Paris auf. Hier war es ganz anders als in Barcelona, nicht so heiß und ein anderer Stil beherrschte die Fassaden und Gebäude. Es machte immerhin einen Unterschied, ob man ich an einem spanischen Strand oder in einer französischen Metropole befand. Mir kam das Lied "Paris" in den Sinn und ich fing leise an, die Melodie zu summen.

Wir spazierten am Fluss entlang und erreichten endlich einen großen Park und den noch größeren Eiffelturm. Harry hatte eine ganz besondere Foto-Idee: wir brachten ein bisschen Abstand zwischen uns und den Eiffelturm und posierten so, dass wir auf dem Foto gleich groß waren, wie die beeindruckende Stahlkonstruktion. Zugegeben, es entstanden ein paar wirklich gute Aufnahmen und ich staunte über die Geduld des Lockenkopfs. (Ja, er war immer noch ein Lockenkopf, auch mit kurzen Haaren.)

Die Stadt mit den Jungs zu erkunden machte Spaß, aber gleichzeitig echt hungrig. Als wir uns abends in einem Restaurant ausruhten, begutachtete ich die Fotos auf Harrys Kamera und lauschte den Unterhaltungen in der fremden Sprache. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es möglich sein sollte, diese Sprache zu erlernen. Die redeten schneller als ein Gepard laufen konnte! Meine Laune sank ein wenig, als ich feststellte, dass ich etwas Falsches bestellt hatte. Dieser Meeresfrüchteteller traf nicht ganz meinen Geschmack. Glücklicherweise bot Niall mir an, zu tauschen. Begeistert stürzte ich mich auf seine pikanten Crêpes.

Als ich meinen Rucksack im Hotelzimmer auspackte, stellte ich fest, wie energiegeladen ich war. Von mir aus könnte ich die ganze Nacht auf dem Bett herumhüpfen!

"Ich geh' runter in die Hotelbar. James meinte, du könntest mitkommen, wenn du Lust hast", holte Niall mich zurück ins Hier und Jetzt. Vielleicht konnte ich dort meine überschüssige Energie ein wenig abbauen, also stimmte ich zu.

Neben der Bar befand sich eine Art Lobby mit vielen Sitzmöglichkeiten und einem großen Aquarium. Zuerst saß ich bei den Jungs und lauschte ihren Gesprächen, doch das wurde schnell langweilig und ich beobachtete die anderen Hotelgäste. Langsam nippte ich an meinem Eistee, dann fasste ich einen Entschluss. Da die Jungs so sehr in ihr Gespräch vertieft waren, bemerkten sie nicht, wie ich langsam vom Hocker glitt und mich dem Aquarium näherte. Unzählige bunte Fische tummelten sich im klaren Wasser und es machte Spaß, sie zu beobachten.

Plötzlich spiegelte sich eine Silhouette einer zweiten Person in der Glasscheibe und ich drehte mich erschrocken zur Seite. Neben mir stand ein schlanker, braunhaariger Junge und musterte mich von oben bis unten.

"Je m'appelle Pascal", plapperte er auf mich ein und ich lächelte nervös. Immerhin verstand ich kein Wort. Als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte, schüttelte er grinsend den Kopf, dann sprach er mit starkem Akzent: "Verstehe, du kannst kein Fransösisch."

"Aber du dafür Englisch", stellte ich schmunzelnd fest.

"Also nosch mal, isch bin Pascal. Was treibt ein Mädchen wie disch 'ier'er?" Ich zögerte. In meinem Kopf ging ich Rubys Lebenslauf noch einmal durch.

"Urlaub", antwortete ich knapp und setzte hinzu: "Ich bin Ruby. Nett, dich kennenzulernen." Jetzt fing er an zu grinsen und ich bekam freie Sicht auf strahlend weiße Zähne.

"Lust zu spielen?", fragte er und deutete auf einen großen, mit grünem Fließ bespannten Tisch. Ein Billardtisch.

"Naja, ich habe noch nie gespielt, also erhoff' dir nicht allzu viel."

"Pas de problème. Isch kann es dir zeigen!" Sofort sprang er los und ich folgte ihm in den anderen Teil der Lobby. Interessant, ich schien den Jungs noch nicht abzugehen. Pascal legte die bunten Kugeln in ein dreieckiges Plastikgestell und brachte sie so in Form. Dann drückte er mir einen langen Holzstab in die Hand. Er zeigte mir, wie ich ihn richtig halten sollte und schon bald hatte ich den Bogen raus. Es machte echt Spaß, mit ihm Billard zu spielen und die Kugeln nach und nach zu versenken. Wir redeten ein bisschen und ich erfuhr, dass Pascal in diesem Hotel als Aushilfskraft arbeitete. Sein Onkel leitete den Laden und bot ihm einen Ferienjob an.

"Ja! Alle versenkt!", rief ich und fuchtelte mit dem Stock in der Luft herum, sodass ich beinahe die Lampe an der Decke traf. Pascal kicherte und legte seinen Stock auf den Tisch.

"Anfängerglück!"

"Von wegen! Du kannst es nur nicht glauben, gegen ein Mädchen verloren zu haben!"

"Isch habe drei Schwestern, so etwas bin isch gewohnt", erklärte er mir und zwinkerte. Gerade, als ich mich bei Pascal bedanken wollte, hörte ich Liams Stimme hinter mir. Er klang nicht wirklich glücklich.

"Ruby! Wo warst du? Du kannst nicht einfach ohne ein Wort verschwinden!"

"Sorry, ich war die ganze Zeit hier, bei-"

Er war ziemlich sauer, weshalb er mich nicht einmal aussprechen ließ.

"Sag deinem Freund auf Wiedersehen, du gehst jetzt nach oben!", sprach er streng und sein wütender Gesichtsausdruck sprach Bände. Geschlagen nickte ich, dann wandte ich mich im Gehen an Pascal: "Danke für den tollen Abend. Man sieht sich!"

"Bis bald, Ruby! Toujours reste une rebelle!", hörte ich ihn rufen. Die letzten Worte hinterließen ein großes Fragezeichen in meinem Kopf. Bei Gelegenheit sollte ich mir ein Französisch-Wörterbuch zulegen.

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