Augenblicklich ließ ich die Einkaufstaschen zu Boden fallen, die ich bis dahin noch immer in den Händen trug. Tränen schossen mir in die Augen und ich sah schockiert in Samu's Gesicht. Nie zuvor hatte er mich so angesehen und in diesem Ton mit mir gesprochen. Noch nie hatte er mich angeschrien oder sonst ein böses Wort mir gegenüber verloren. Alles zerbrach in mir in diesem einen Moment und ich wusste überhaupt nicht, über was ich zuerst traurig sein sollte. Helen's Tod oder Samu's ungerechtfertigte Vorwürfe mir gegenüber. Ich verstand die Welt nicht mehr. Jetzt regte sich auch Riku endlich und stand vom Sofa auf. „Nein Samu", weinte er verzweifelt. „Tu das nicht. Tu euch das nicht an. Es ist nicht Anna's und Ria's Schuld und das weißt du auch. Scheiße Samu", er wurde immer lauter und brach erneut in Tränen aus. In dem Moment wurde Samu wohl bewusst, was für eine riesengroße Scheiße er da gebaut hatte und streckte den Arm nach mir aus. „Anna.......fuck ...ich....." „Fass mich nicht an, Samu", rief ich und stürmte die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Ich warf die Tür hinter mir zu, drehte den Schlüssel herum und warf mich auf's Bett. Hemmungslos schluchzte ich in die Kissen. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz. Es fühlte sich an, als würde mein Herz in 1000 Teile zerspringen, als würde es mir jemand aus der Brust herausreißen und erbarmungslos darauf herumtrampeln. Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade aus Samu's Mund gehört hatte, ich konnte nicht glauben, was passiert war. Er hatte es nicht mal für nötig gehalten, mir zu sagen, was genau passiert war, bevor er mir diese haltlosen Vorwürfe gemacht hatte und somit mit einem Schlag mein ganzes Vertrauen in ihn zunichte gemacht hatte. Ich überlegte, was ich jetzt tun konnte. Ich setzte mich auf, trocknete meine Tränen und versuchte, meine Gedanken zu sortieren. Mir fiel eigentlich nur eine Option ein. Ich holte mein Handy aus der Hosentasche und wählte Osmo's Nummer. Nach ein paar Mal Klingeln ging er auch ran. „Anna, hey, schön, dass du anrufst, was gibt's?" Schon bei seiner Frage fing ich wieder an zu schluchzen. „Hey Kleine, beruhig dich, was ist denn los?" Unter Tränen erzählte ich ihm alles, nur das mit der Schwangerschaft ließ ich aus. „Kann ich zu dir kommen? Bitte?" fragte ich ihn schließlich. Osmo bot mir an, mich abzuholen, da er wusste, dass ich kein Auto hatte. Dankend nahm ich an. Ich zog meine Tasche unter dem Bett hervor und fing an, Klamotten für ein paar Tage einzupacken. Von außen hämmerte jemand gegen die Tür. „Anna? Mach auf bitte, lass uns reden. Ich war nicht bei mir...bitte, lass mich zu dir." Ich antwortete nicht und packte weiter. In dem Moment hörte ich die Türklingel, die zum Glück so laut war, dass man sie im ganzen Haus hören konnte. Ich öffnete die Schlafzimmertür, davor stand ein verzweifelter Samu. Als ich rauskommen wollte, packte er mich am Arm, um mich aufzuhalten. „Anna, bitte....." Tränen liefen ihm die Wangen herunter. „Lass mich los, Samu" forderte ich und versuchte, ihm meinen Arm zu entziehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Griff zu lockern. Ohne mich noch einmal umzudrehen, ging ich die Treppe herunter, in Richtung Haustür. Ich öffnete sie, davor stand Osmo und nahm mich gleich in den Arm. Das tat gut. Er nahm mir die Tasche ab. Samu kam die Treppe herunter gestürmt und stand schwer atmend im Flur. „Pass gut auf sie auf, Osmo", flüsterte er mit rauher Stimme. „Du bist echt manchmal ein Vollidiot, Hapa", sagte Osmo, nahm meine Hand und begleitete mich zum Auto.
Ich saß wie ein Häufchen Elend auf Osmo's Beifahrersitz und schluchzte leise vor mich hin. Er sagte nichts und versuchte auch gar nicht, die Situation in irgendeiner Form schön zu reden, wie auch? Es gab schlichtweg nichts Positives, was er mir hätte sagen können. Als wir bei ihm angekommen waren, nahm er meine Tasche vom Rücksitz und hielt mir die Tür auf. Seine Wohnung war typisch männlich eingerichtet. Schlicht, dezente Farben, wenig Deko, aber trotzdem schön und stilvoll. In dem sehr großen Wohnzimmer stand natürlich ein Piano. Was sonst? Er stellte meine Tasche im Flur ab. „Möchtest du etwas trinken? Ein Glas Wein vielleicht?" fragte er mich warmherzig. Voller Dankbarkeit, dass er sich um mich kümmerte, sah ich ihn an. „Ja, das wäre toll, danke." „Setz dich doch, wenn du magst, du kannst dich auch umschauen, was dir lieber ist....", unsicher fuhr er sich durch die blonden Haare. Herrje, das hatten sie irgendwie alle drauf, oder? Ich setzte mich auf's Sofa und ließ meinen Blick schweifen. Osmo kam mit zwei Gläsern Wein in der Hand zurück. „Kippis....mir fällt leider nichts ein, worauf wir trinken könnten, aber ich möchte dir sagen, dass du hier willkommen bist und bleiben kannst, solange du magst und es nötig ist, ok?" Ich kämpfte bei seinen lieben Worten schon wieder mit den Tränen und versuchte, die aufkommenden Tränen wegzublinzeln. „Danke Osmo, ich weiß das zu schätzen." Wir stießen an und tranken einen Schluck. Ich merkte zunehmend, wie ich müde wurde....auf einmal fiel mir siedendheiß ein, dass ich ja schwanger war und gar keinen Alkohol trinken sollte...ach herrje......das hatte ich bei all der ganzen Aufregung, Trauer, Wut und Enttäuschung komplett vergessen...ich wollte es Samu ja eigentlich an dem Abend sagen, hatte extra eingekauft und...ach scheiße...Ich fing an zu schluchzen, stellte mein Weinglas ab und legte die Hände vor mein Gesicht. Osmo nahm mich in den Arm und streichelte mir sanft über den Rücken. „Ach fuck, Anna, was soll ich nur machen? Ich möchte dir so gern helfen, aber wie?" „Ich darf den Wein gar nicht trinken", schniefte ich. Osmo rückte ein Stückchen zurück und sah mich verwirrt an. „Ich bin schwanger, ich weiß es seit heute Mittag. Hatte es gerade ganz vergessen wegen der ganzen Situation." Osmo kniff ungläubig die Augen zusammen. „Wow, jetzt verstehe ich Samu erst Recht nicht, warum er dich so behandelt." „Er weiß es noch gar nicht, Osmo, ich wollte es ihm beim Abendessen sagen. Aber als ich nach Hause kam, saß da Riku und dann.." weiter konnte ich nicht sprechen, weil sich neue Tränen ihren Weg über meine Wangen suchten. „Oh, shit, ich sehe ihn morgen, wir haben einen Bandtermin im Studio", erklärte er mir. „Bitte sag ihm nichts, ok?" Flehend sah ich in Osmo's hellblaue Augen. Er holte tief Luft und seufzte. „OK, versprochen, aber du musst mit ihm reden, Anna. Oh Man, Hapa wird Vater, ich kann es noch gar nicht glauben."
Ich hätte mir auch nicht träumen lassen, dass ausgerechnet Osmo der erste sein würde, der es mal erfährt, wenn ich schwanger bin. Aber das hier waren andere Umstände, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich brauchte jemanden zum Reden, jemanden, der mir zuhörte und mich verstand. Ausserdem vertraute ich ihm und wusste, dass ich mich auf ihn verlassen konnte und er es nicht weitererzählen würde. Ich wusste, dass ich es Samu sagen musste, doch er hatte mir so wehgetan. Er wusste ganz genau, wieviel Helen mir bedeutet, wie sehr mich ihr Tod auch treffen würde. Wir hatten uns so gut angefreundet, seit dem ersten Moment, als wir uns kennenlernten, mochten wir uns und waren gute Freundinnen geworden. Er war doch damals derjenige, der wollte, dass ich nochmal zu seinem Konzert komme. Es war doch klar, dass ich da nicht allein aufkreuzen würde. Ausserdem, was hätte ich Tim erzählen sollen? Dass ich allein nach Hamburg zum Konzert fahre? Ich weiß wirklich nicht, was durch Samu's Kopf ging, als er mir diese Dinge an den Kopf warf. Ich saß da und schaute mit verweinten Augen und gedankenverloren ins Leere. Osmo hob mein Kinn ein wenig an. „Hey Süße, du weißt, dass Samu sich dir gegenüber unfair verhalten hat, oder? Ich weiß nicht, was er sich dabei gedacht hat oder ob er überhaupt gedacht hat, als er dir das an den Kopf geworfen hat. Ich glaube, er hat in seiner Trauer einfach wild um sich geschlagen." „Osmo, ich versuche die ganze Zeit, irgendeinen Schlüssel zu der ganzen Sache zu finden. Ich verstehe, dass er traurig ist, dass er den Schmerz fühlt, er war auch mit Helen befreundet und sie kannten sich lang, aber ich verstehe nicht, warum er sich so extrem verhält. Er hat schon vorher so komisch auf die ganze Sache mit Ria und Riku reagiert." Ich sah ihn ratlos an und zuckte mit den Schultern. Osmo atmete tief durch und ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Nervös knetete er seine Finger. „Weißt du Anna", stammelte er, „da gibt es etwas, was du noch nicht weißt, oder zumindest denke ich, dass du es nicht weißt." Oh nein, nicht noch eine schlechte Nachricht, davon hatte ich heute ich heute wirklich mehr als genug. „Sag es mir Osmo", sagte ich fordernd. „Samu und Helen...die beiden...naja, sie waren mal zusammen...nicht lang, irgendwie haben sie relativ schnell gemerkt, dass sie nicht zusammenpassen, aber Samu hatte Helen immer ziemlich gern. Es war purer Zufall, dass sie dann ausgerechnet später auf Riku getroffen ist. Samu und Helen haben Riku dann auch sofort davon erzählt, als klar war, wie Riku und Samu zueinander stehen. Riku kam damit ganz gut klar und die beiden haben sich auch wirklich geliebt...also Riku und Helen mein ich jetzt." Meine Augen wurden immer größer und jetzt wurde mir auch einiges klar. Samu's Reaktion, warum er so für Helen kämpfte und Angst hatte, dass sie verletzt wird. Puh....das war echt harter Tobak und ich schluckte hart.
„Das hat er mir nie erzählt", brachte ich mit rauher Stimme hervor. Osmo nickte. „Hab ich mir schon gedacht, aber ich finde, du solltest es wissen, um die ganze Sache besser zu verstehen. Bestimmt bekomme ich jetzt richtig Stress mit den Jungs." „Sie wissen alle davon?" fragte ich entsetzt. Wieder nickte Osmo. „Ja, alle, weißt du, die Band, das ist sowas wie eine zweite Familie und wir haben schnell gemerkt, dass, wenn wir nicht alle ehrlich zueinander sind, wir nicht zusammen auf der Bühne und auch nicht im Studio funktionieren. Deshalb haben wir uns geschworen uns alles, was die Band betreffen kann, und diese Dreiergeschichte mit Helen, Riku und Samu gehörte dazu, gegenseitig zu erzählen und immer für klare Verhältnisse zu sorgen." „Aber warum hat Samu mir das nie erzählt?" „Ich denke, er wollte nicht, dass du dir unnötig Gedanken machst, dass da noch alte Gefühle sein könnten und deshalb nicht vernünftig mit Helen umgehen kannst." „Das ist doch Blödsinn", schimpfte ich. „Ich habe doch auch eine Vergangenheit. Das hatte doch überhaupt nichts mit ihm und mir zu tun. Was noch Osmo? Sollte ich sonst noch irgendetwas wissen? Sag es mir, jetzt ist sowieso alles verloren. Raus damit." Erwartungsvoll und auch ein wenig ängstlich sah ich ihn an. „Sonst gibt es da nichts, Anna, zumindest nichts, von dem ich weiß, ich schwöre es." Osmo sah mich so ehrlich mit seinen schönen blauen Augen an, dass ich ihm glauben musste. „Und deshalb musst du möglichst schnell mit Samu reden, bitte Anna. Ich komm in Teufel's Küche, je länger ich das Wissen, dass du schwanger bist, mit mir rumschleppen muss. Ich kann die Jungs, und besonders Samu, nicht lange anlügen. Bitte tu mir das nicht an." Ich schluchzte. „Ich weiß, Osmo, es tut mir leid, aber im Moment kann ich nicht mit ihm reden, dafür hat er mir zu sehr weh getan." „Tiedän", Osmo nahm mich in den Arm und drückte mich fest. Meine Tränen liefen auf sein T-Shirt, das er unter dem offenen Hemd anhatte und ich spürte seinen Herzschlag. Ich fühlte mich so geborgen bei ihm. Seine Nähe beruhigte mich und ich fühlte mich unendlich müde, was ich ihm auch sagte. „Du kannst in meinem Bett schlafen, Anna. Ich gehe auf das Sofa." „Nein, Osmo, bitte, ich kann nicht allein sein. Bitte, kannst du bei mir schlafen?" Ich sah ihn mit großen Augen an, sodass er mir den Wunsch nicht abschlagen konnte.
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...save me once again... (Anna & Samu Teil 1)
RomanceDiese Geschichte nimmt an den Wattys2021 teil in der Kategorie Fanfiction. Wer sie mag, lässt gern ein Sternchen da. Vielleicht hilft es ja. Vielen Dank im Voraus für Eure Unterstützung. :))) Eure Sunriserfinnlove ___________ Anna ist in einer gewal...