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Auf der Rückfahrt saß Ria wie ein Häufchen Elend auf dem Beifahrersitz. Ich hatte ihr angeboten zu fahren, da sie nicht so aussah, als sei sie in der Lage Auto zu fahren. Sie starrte mir leerem Blick auf den grauen Asphalt und hatte feuchte Augen. Ria tat mir richtig leid, ich konnte sie auf der einen Seite gut verstehen. Auf der anderen Seite war ich auch mit Helen befreundet und fand es absolut nicht richtig, was Riku da hinter ihrem Rücken trieb. Ich nahm ihre Hand und drückte sie fest. „Hey", sagte ich sanft, „kann ich irgendetwas für dich tun?" Ria's Antwort war ein herzzerreißendes Schluchzen. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, Anna", weinte sie, „ich weiß, dass es nicht richtig ist, aber ich liebe ihn, verstehst du? Es ist nicht bloß irgendso eine Schwärmerei. Und Riku fühlt genauso, aber er kann sich auch nicht einfach von Helen trennen. Stell dir nur vor, das kommt an die Öffentlichkeit, was er da so hinter dem Rücken seiner Frau macht, der Imageschaden für Sunrise Avenue wäre zu groß." Sie kramte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich die Tränen weg. Ich verstand sie nur zu gut. Gerade heute morgen hatte mir Mikko ja eindrucksvoll klar gemacht, dass es nicht so einfach ist, mit einem von den Jungs zusammen zu sein. Man steht automatisch irgendwie so halb mit in der Öffentlichkeit und alle Augen sind darauf gerichtet, was sie in ihrem Privatleben so treiben. Ich versuchte, ihr so sanft wie möglich klar zu machen, sich Riku am besten aus dem Kopf zu schlagen, denn das würde nur mit Schmerz und Liebeskummer für einen von beiden enden und der bzw. diejenige wäre mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wohl sie. 

Als sie sich zum Glück ein wenig beruhigt hatte, schaute sie mich prüfend von der Seite an. Ich schaute zurück. „Was ist Ria, was siehst du mich so an?" „Und? Wann ziehst du zu Samu nach Helsinki?" wollte sie wissen. Für einen Moment war ich sprachlos. „Woher....?" Aber weiter kam ich nicht. „Anna, es war doch klar, dass es über kurz oder lang so kommen musste. Was glaubst du, warum Riku und ich euch beiden in Berlin zusammengebracht haben. Du hast gelitten. Samu hat gelitten. Ihr könnt nicht ohne einander sein. Du hast versucht, deine Sehnsucht so gut es ging zu verstecken, aber glaubst du, ich habe es nicht bemerkt? Ich kenne dich, Anna, und das schon ziemlich lang und ziemlich gut. Und bei Riku und Samu war es genauso. Samu hat funktioniert auf der Bühne, aber die Sehnsucht nach dir hat ihn fertig gemacht. Das wollten wir uns einfach nicht länger mit ansehen." Ich war echt ein wenig platt. Da machte ich mir die ganze Zeit einen Kopf, wie ich es ihr möglichst schonend beibringe, dass ich Deutschland verlassen werde und dabei hat sie das alles mit Riku längst geplant. Ich atmete tief durch. Dann musste ich lachen. „Ihr beiden seid echt unmöglich", sagte ich und buffte sie liebevoll an die Schulter. „Wir wollten es eigentlich alles zusammen beim Frühstück sagen, aber dann kam erst Mikko dazwischen und dann habe ich Samu davon abgehalten, weil ich zuerst in Ruhe mit dir allein reden wollte. Ich dachte, du bist vielleicht böse auf mich." Ria sah mich ganz lieb an. „Nein, Anna, du bist meine beste Freundin, ich werde dich schrecklich vermissen, aber Helsinki ist nicht aus der Welt und wenigstens eine von uns beiden sollte glücklich sein, oder? Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich keine Sekunde zögern, Samu ist ein toller Mann und er liebt dich von Herzen." Inzwischen waren wir vor Ria's Haustür angekommen und ich hatte das Auto auf dem Seitenstreifen geparkt. Ich nahm Ria ganz fest in den Arm und drückte sie an mich. „Danke", flüsterte ich. „Du bist die tollste Freundin, die man sich nur vorstellen kann", und drückte ihr einen dicken Kuss auf die Wange.

Den Weg zu mir nach Hause ging ich mit meinem kleinen Koffer zu Fuß. Meine Wohnung war nur 10 Gehminuten von Ria entfernt und der kleine Spaziergang an der frischen Luft tat mir nach der langen Autofahrt gut. Ich ließ mir die letzten 2 Tage nochmal durch den Kopf gehen und dachte über Ria und Riku nach. Doch ich fand keine Lösung. Riku würde sich, zumindest vorerst, nicht von Helen trennen. Ausserdem mochte ich Helen sehr, sie war eine so liebe Person und immer für Samu da und für mich auch, wenn ich in Helsinki war. Ich fühlte mich wie eine Verräterin, aber ich konnte und wollte mich da einfach nicht einmischen. Ich hoffte einfach, die beiden würden mit der Zeit merken, dass ihre Liebe keine Zukunft hatte. Ich schwor mir, so gut es ging für Ria da zu sein und sie mit ihrem Kummer nicht allein zu lassen. Eine ganze Weile wäre ich ja sowieso noch in Deutschland, bis ich in Finnland einen Job gefunden hatte. Denn eins stand für mich fest. Ich wollte auf gar keinen Fall auf Samu's Kosten leben, auch wenn ihm das egal gewesen wäre, aber in der Hinsicht ließ ich einfach nicht mit mir reden. Ich beschloss, gleich zuhause mal im Internet auf die Suche zu gehen und mich über die sonstigen Auswanderungsmodalitäten zu informieren. Schließlich war es mit einem Job nicht getan. Ich musste checken, ob mein Führerschein im Ausland überhaupt gültig war, ob ich ein Visum brauchen würde, eine Arbeitserlaubnis und sonstige Dinge. So sehr ich mich nach Samu sehnte, aber in solchen Dingen war ich einfach ein Kopf – und Vernunftsmensch. Alles andere war mir einfach zu unsicher. Und für den Fall aller Fälle, wenn das mit Samu und mir doch nicht gutgehen sollte, wovon ich nicht ausging, aber trotzdem, wollte ich nicht völlig unvorbereitet und mittellos auf der Straße in einem fremden Land stehen. Ich war zuhause angekommen und schloss die Wohnungstür auf. Ein bischen wehmütig ließ ich meinen Blick schweifen. Dies hier war mein kleiner Zufluchtsort geworden nach den schrecklichen Erlebnissen mit Tim und ich fühlte mich hier inzwischen wirklich zuhause. Aber ich wusste, dass ich mich bei Samu in seinem Haus genauso wohl fühlen würde. Und was gab es schöneres, als mit dem Mann zusammenzuleben, den man über alles liebte und von dem man so geliebt wurde? 

Als hätte er es gefühlt, klingelte in dem Moment mein Handy und Samu's Bild blinkte im Display auf. Mein Herz machte einen kleinen Freudensprung. „Hei sydämeni, ich habe gerade an dich gedacht", meldete ich mich glücklich. „Anna", hauchte er mit seiner tiefen Stimme ins Telefon und mir lief ein Schauer über den Rücken. Gott, wie ich diesen Mann liebte. „Bist du gut zuhause angekommen?" erkundigte er sich besorgt. „Ja, Samu, mach dir keine Sorgen, es ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Ich bin gerade zur Tür reingekommen und wollte mich gleich sofort an den PC setzen, um mal nach Stellen in Helsinki zu schauen." „Ich hoffe, du findest schnell etwas, ich kann es nicht erwarten, dich endlich bei mir zu haben, meine kleine süße Lady." Ich lächelte. Es war so süß, wenn er mich so nannte. Es schwang jedes Mal so viel Liebe und Gefühl in seiner Stimme mit. „Wo seid ihr heute Abend?" wollte ich wissen. „Wir sind jetzt in Leipzig und danach geht es weiter in Richtung Prag. Danach haben wir 2 Tage off und dann wieder zurück in Richtung Finnland. Den Rest des Tourplans habe ich nicht im Kopf. Da musst du Mikko fragen." Er lachte. „Oh nein, den frage ich lieber nicht. Der ist glaub ich nicht so gut auf mich zu sprechen. Was ist denn aus den Interviewanfragen geworden", wollte ich wissen, denn schließlich betraf mich das Ganze ja auch irgendwie. Samu seufzte. „Wir haben sie bestätigt. Eins ist in 2 Wochen in Deutschland. Ich würde mich freuen, wenn wir uns sehen, Anna, du musst auch nicht am Interview teilnehmen. Du kannst einfach nur dasitzen und zuhören." Ich überlegte hin und her. „Ok", hörte ich mich plötzlich selbst sagen. „Ich komme mit. Ich kann dich doch nicht hängen lassen. Wir schaffen das zusammen. Wo ist das Interview denn?" „Es ist ein Radiointerview in Köln. Wenn du willst, kann ich uns ein Hotel dort buchen." Ich überlegte. Die Strecke könnten wir auch gut bis zu mir fahren. „Du kannst doch auch bei mir schlafen", schlug ich ihm vor. Samu freute sich. „Das klingt natürlich noch besser. Ich hab dich ganz für mich allein", raunte er verführerisch. „An was du schon wieder denkst", grinste ich ins Telefon. „Bei einer so schönen Frau kann ich nur an das eine denken", säuselte er. „Quatschkopf", schimpfte ich. Im Hintergrund hörte ich Mikko's Stimme. „Sorry, ich muss zum Soundcheck. Rakastan sinua." „Ich dich auch, Samu." Dann legten wir beide auf. Ich atmete einmal tief durch. 

Ich zog erstmal meine Jacke aus, denn nichtmal dazu war ich gekommen. Dann setzte ich mich gleich mit einem Kaffee und meinem PC auf's Sofa. Ich googelte nach Jobs in Finnland, nach den Auswanderungsbedingungen und stellte fest, dass es scheinbar gar nicht so kompliziert war, wie ich anfangs gedacht hatte. Das größte Hindernis war eigentlich die Sprache, die ich zwar schon etwas beherrschte, aber für den alltag mit den Finnen wohl noch lange nicht ausreichend wäre. Ich musste unbedingt mit Samu reden, zum Einen würde er mir bestimmt bei dem ein oder anderen Behördenkram helfen müssen und zum anderen würde er mir noch mehr Finnisch beibringen müssen. Es war zwar süß, dass er immer Deutsch und Englisch mit mir sprach, aber auf die Dauer würde mir das nicht helfen. Ich schaute die Listen mit den Jobangeboten durch und entdeckte sogar zwei, auf die mein Profil passen würde. Und das Beste war, die Firmen waren international und die Konzernsprache Englisch. Ich verfasste also 2 Bewerbungen und gab mir alle Mühe. Zwei Stunden später rauchte mir der Kopf vom Englisch schreiben, aber ich war zufrieden und stolz auf mich. Erschöpft klappte ich den Laptop zu und schaltete zur Entspannung den Fernseher an und ließ mich berieseln. Ich war so kaputt und müde von der Fahrt, von der Recherche und allem anderen, dass ich gar nicht merkte, dass ich auf dem Sofa eingeschlafen war. Als ich hochschreckte und auf mein Handy schaute, war es 2 Uhr nachts. Ausserdem hatte Samu ein Foto geschickt von den Jungs und sich. Sie waren wohl nach dem Konzert noch ausgiebig feiern. Ganz nüchtern wirkten sie zumindest nicht mehr. Ausserdem waren auf dem Foto noch 2 junge hübsche Frauen zu sehen. Die eine hatte ihren Arm um Samu's Schulter gelegt. Sofort war ich wach. Was sollte das denn jetzt? In mir schrillten alle Alarmglocken. Ging er mir etwa fremd, jetzt, und überhaupt und gerade, als wir beschlossen haben, dass ich zu ihm nach Helsinki kommen sollte? Die Eifersucht kochte in mir hoch. Ich konnte es überhaupt nicht kontrollieren. Aber anrufen wollte ich ihn auch nicht. Die Blöße würde ich mir nicht geben. Also blieb mir nichts anderes übrig, als mit meinen schweren Gedanken ins Bett zu gehen. Ich wälzte mich unruhig von einer auf die andere Seite und schlief schließlich 1,5 Stunden, bevor mein Wecker klingelte endlich ein. 

...save me once again... (Anna & Samu Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt