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Ungefähr eine Stunde später kam dann auch ein Mann vom Bestattungsinstitut, welches wir ausgesucht hatten. Er zeigte uns Muster von den Trauerkarten, verschiedene Sprüche und fragte uns auch nach Blumen für die Beerdigung und, was das schwerste war, einen Katalog mit Särgen und Grabsteinen. Wir suchten Trauerkarten und das Blumenarrangement aus und vereinbarten für den nächsten Tag einen Termin vor Ort, um für Helen einen wunderschönen Sarg auszusuchen. Sie und auch das ungeborene Baby hatten es einfach verdient, auf ihrem letzten Weg so stilvoll wie möglich zu gehen. Das waren wir ihnen alle schuldig. Als wir fertig waren, nahm ich mein Handy in die Hand und rief Ria an. Sie wusste zwar inzwischen von Helen's Tod, Riku und auch ich hatten ihr geschrieben, aber wirklich gesprochen hatten wir danach noch nicht. Deshalb rief ich sie gleich von hier aus an. Ich suchte ihre Nummer aus meinen Kontakten heraus und schon tutete es in der Leitung.

„Anna? Hey, wie geht es dir?" „Hey Süße, es geht so. Wir sind gerade bei Riku und haben die Beerdigung für Helen organisiert." „Oh Mann, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich habe ihm die letzten Tage nicht mehr geschrieben, weil ich ihn in Ruhe lassen wollte. Ich war mir nicht sicher, ob er Kontakt wollte, oder nicht." „Er braucht dich Ria, und ich auch. Wir haben eben darüber geredet, dass er dich gern hier hätte. Es geht ihm wirklich nicht gut. Er kann den Schmerz und diese ganzen verwirrenden Gefühle kaum verarbeiten. Siehst du irgendeine Chance, in der nächsten Zeit bei der Arbeit frei zu bekommen und hierher zu fliegen?" Eine ganze Weile war es still in der Leitung. Ich wurde unsicher. War das zuviel verlangt? „Ria? Bist du noch da?" Endlich antwortete sie. „Ich...ich weiß nicht...was ist mit Samu? Ich bin mir nicht sicher, ob ich da jetzt nicht fehl am Platz bin." „Wir haben mit ihm geredet, er ist ok damit. Er versteht das. Bitte Ria, komm her. Gib dir einen Ruck. Du musst ja nicht mit zur Beerdigung gehen, aber es wäre so gut für Riku, wenn er dich bei sich hätte." Ria atmete einmal tief durch. „Ok", sagte sie schließlich. Riku schaute mich fragend an und streckte seine Hand nach dem Handy aus. „Ria? Hier möchte dich jemand sprechen, ich reiche dich mal weiter, ok?" „OK", flüsterte sie mit kratziger Stimme und ich merkte, dass sie kurz davor war zu weinen. Ich übergab das Handy an Riku, dem augenblicklich wieder die Tränen in den Augen standen, als er Ria's Stimme hörte. 

RIA

Ich hörte, wie Riku das Handy von Anna übernahm, es raschelte in der Leitung und ich hörte seinen Atem. „Riku?" „Ria? Moi", sagte er nur mit leiser Stimme. Deshalb ergriff ich das Wort, obwohl ich selbst einen Kloß im Hals hatte. Auf der einen Seite sehnte ich mich nach ihm. Ich liebte und vermisste ihn die ganze Zeit, jeden Tag, jede Sekunde, auf der anderen Seite fühlte ich mich mitschuldig an der ganzen Situation und ich traute mich nicht, ihn anzurufen. Ich war mir nicht sicher, ob er noch etwas mit mir zu tun haben wollte, nachdem er seine Frau und sein ungeborenes Kind verloren hatte. „Mitää kuuluu? Olen niin pahoillani Riku. En tieda mitä sanoa." „Ria, voitko tulla Helsingiin? Minä kaipaan sinua. Niin paljon." „Riku, ich vermisse dich auch, ich werde bei der Arbeit versuchen, zu klären, dass ich so bald wie möglich kommen kann, ok?" „Ok, bitte beeil dich. Ich werde verrückt. Anna und Samu versuchen für mich da zu sein, so gut es geht, aber ich fühle mich so schuldig. Es ist alles meine Schuld und jetzt sind sie tot." Bei den letzten Worten wurde seine Stimme immer lauter, weil er so verzweifelt war und schließlich brach er in Tränen aus. Er konnte nicht mehr sprechen und ich sah ihn förmlich vor mir, wie er unter Tränen zusammenbrach. Zum Glück nahm Anna ihm das Handy aus der Hand und meldete sich. Wir besprachen nochmal kurz alles und das ich sobald wie möglich nach Helsinki fliegen würde. Dann legte sie auf. Es war gut zu wissen, dass die beiden bei ihm waren. Sonst hätte ich hier zuhause in Deutschland keine ruhige Minute mehr gehabt. Ich war eben von der Arbeit erst nach Hause gekommen, wollte aber so schnell wie möglich alles klären und setzte mich deshalb wieder ins Auto, fuhr ins Büro und konnte zum Glück auch gleich mit meinem Chef sprechen. Ich erklärte ihm, dass ein guter Freund unbedingt meine Hilfe brauchte. Er wusste, dass ich Kontakt nach Finnland hatte, aber niemand bei der Arbeit wusste, wer meine Freunde dort waren und in welchem Verhältnis ich genau zu ihnen stand. Das ging schließlich niemanden etwas an und ich wie auch Anna wollten die Privatsphäre der Jungs schützen. Zum Glück fragte mein Chef nicht weiter nach, weil er offensichtlich merkte, wie sehr mir die Sache am Herzen lag und gab mir spontan für die nächsten 3 Wochen frei. Wieder zuhause angekommen, buchte ich mir einen Flieger für den nächsten Tag und begann, meine Sachen zusammenzupacken. Ich packte meine dicksten Sachen ein, schließlich war es noch tiefster Winter in Finnland. Paradoxerweise hatte ich so nun auch die Gelegenheit, an Anna's Geburtstag im Februar da zu sein, obwohl ich bezweifelte, dass sie angesichts der ganzen Umstände groß feiern würde. Ich schrieb Anna und Riku eine Nachricht, dass ich schon am nächsten Tag ankommen würde.Endlich war es Abend und ich packte mich ins Bett. Voller wirrer Gedanken und Gefühle in meinem Herzen schlief ich irgendwann ein. 

...save me once again... (Anna & Samu Teil 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt