Kapitel 32 :
Er beugte sich weit in meine Sitzhälfte, kam mir ganz nahe, aber berührte mich nicht. Das Pochen meines Herzens, dröhnte in meinen Ohren. Panik machte sich in mir breit. Panik und ein riesiges Angstgefühl. Seine blauen Augen glänzten in der Abenddämmerung.
„Ich .. wie .. was meinst du?“, stotterte ich nervös.
„Dass ich dir nichts mehr tun kann.“, antwortete er.
Wie naiv ich doch gewesen war! Wie konnte ich seinen Worten glauben? Von wegen es tue ihm leid und er lässt mich ab sofort in Ruhe. So sehr hatte ich mich daran geklammert! So sehr hatte ich gehofft, dass seine Worte aufrichtig waren. Aber mal wieder wurde mir klar, dass es ein Wunschdenken war. Ich würde ihn nicht loswerden. Ich hatte mich schon darauf vorbereitet ihm ins Gesicht zu spucken, als er sich plötzlich wieder zurück lehnte. Er hielt kurz inne und fing an zu Lachen. Das war aber kein freudiges oder gehässiges Lachen. Es war ein Lachen, das mir Angst einjagte. Ich spürte wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Da war so ein komisches Gefühl in meinem Bauch ..
„Alles okay Dafina?“, sagte er.
Ich konnte nicht antworten, er schien auch keine Antwort zu erwarten. Während er einfach weiterfuhr, als wäre gerade nichts gewesen, schluckte ich meine Wut herunter. Meine Wut auf diesen Mann. Meine Wut auf diese gottverdammte Welt, die so unfair war! Die 15 Minuten Fahrt benötigte ich, um mich zu beruhigen. Agron fuhr seelenruhig und wechselte kein weiteres Wort mit mir. Sein Verhalten verwirrte mich nur noch mehr. Diese Provokation bedeutete nichts gutes, das sagte mir zumindest mein Gefühl. Wie sehr ich hoffte, dass ich mich einfach nur täuschte. Noch bevor ich richtig ausstieg, kam Teuta schon auf mich zu und fiel mir um den Hals.
„Hallo mein Schatz. Schön, dass du da bist.“, sagte sie so fröhlich wie immer.
Ihre Umarmung tat gut, ich hielt sie lange fest. Vielleicht einen Tick zu lange. Unbewusst kullerten mir Tränen über die Wangen. Der Versuch sie zurückzuhalten, war zwecklos.
„Oh, sieht so aus, als habe mich jemand vermisst.“, neckte sie mich. „Wieso weinst du denn?“
Wie dumm ich war! Das war der falsche Zeitpunkt um sentimental zu werden! Ich wischte mir schnell die Tränen aus meinem Gesicht und setzte ein zerknirschtes Lächeln auf.
„Bin mal wieder emotional unterwegs. Erdbeerwoche.“, flüsterte ich ihr zu.
Sie nickte wissend. Lächelnd hackte sie sich bei mir unter und zog mich ins Haus, wo die anderen schon warteten. Na toll, was war heute nur mit mir los? Beim Anblick meiner Eltern und meiner Oma, brach ich erneut in Tränen aus. Man hätte meinen können, dass es wirklich nur an meiner Periode lag. Doch ich wusste es besser...
Die Atmosphäre war ganz okay, wir freuten uns alle für meine Schwester Mimoza. Ich hatte großen Hunger und da das Essen so lecker war, aß ich dementsprechend ziemlich viel. Unter den wachsamen Augen von Agron, stopfte ich mich förmlich voll. Frustessen a la Dafina .. Das würde nicht gut enden, das wusste ich jetzt schon. Nachdem ich Teuta geholfen hatte, den Tisch abzuräumen setzte sie den Tee auf und telefonierte dann in der Küche mit Mimoza. Die anderen saßen wieder im großen Wohnzimmer. Ich nutzte die Gelegenheit und suchte das Bad im zweiten Stock auf. Leise machte ich die Tür zu und sah mich erst mal um. Alles blitzblank sauber, nicht anders von Teuta zu erwarten. Manchmal frag ich mich, wie sie es schaffte das große Haus so sauber zu halten. In Gedanken versunken, nahm ich meinen Haargummi aus der Hosentasche und band meine Haare zu einem Dutt. Mir war so übel und ich war so voll. Das musste alles raus. Irgendwo in meinen Kopf schrie eine Stimme, dass es falsch ist, was ich tat. Doch ich verdrängte das und hob den Klodeckel. Nach dem ich mich übergeben hatte, spülte ich erst mal ordentlich meinen Mund aus. Meine Augen waren rot unterlaufen, aber ich fühlte mich etwas besser. Ich öffnete die kleine Schranktür und griff nach dem Mundwasser, das da zu finden war. Ein Glück, dass Teuta sowas schon seit Jahren benutzte. Unerwartet klopfte es an der Badezimmertür. Mir fiel vor Schreck die Flasche aus der Hand und landete im Waschbecken.
„Dafina? Bist du da drinnen?“, hörte ich Teuta rufen.
Scheiße! Panisch legte ich das Mundwasser zurück und schloss die Schranktür.
„Ja, ich bin gleich soweit.“, rief ich ihr zu.
Noch einmal ließ ich das Wasser laufen, wusch mir die Hände. Verdammt, meine Augen waren noch immer so rot, sie würde das merken! Ich ließ mir ein paar Sekunden Zeit, doch es klopfte erneut an der Tür. Diesmal lauter. Ich war so dumm!
„Dafina! Mach sofort die Tür auf!“, verlangte Teuta.
Tief nahm ich Luft und öffnete anschließen die Tür. Erwischt. Das ließ mich Teutas geschockter Gesichtsausdruck wissen. Statt mich durchzulassen, drückte sie mich wieder ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab.
„Was tust du da Dafin?!“
„Was .. wie meinst du das? Ich .. ich war nur auf der Toilette ..“, stammelte ich verunsichert.
„Du hast nicht ernsthaft vor zu leugnen, dass du dich gerade übergeben hast?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und erwartete eine Antwort von mir. Ja, super. Sie hatte mich in der Hand. Auf frischer Tat ertappt. Selbst wenn ich lügen würde, würde sie mir nicht glauben. Jetzt war improvisieren angesagt!
„He? Wieso sollte ich das leugnen? Hab zu viel gegessen, was übrigens deine Schuld ist! Wieso musst du so gut kochen?“, antwortete ich lächelnd. „Außerdem hatte ich schon den ganzen Tag dieses übel Gefühl wegen meiner Periode. Kam halt eben wieder raus und ..“
„Ungewollt?“, fiel sie mir ins Wort.
„Natürlich ungewollt, oder denkst du ich stecke mir den Finger in den Hals? Stell dir vor, Dafina hat Bulimie. Das ist doch ekelhaft.“
Ich fing an zu Lachen, um so meine Unsicherheit zu verbergen. Und es gelang mir! Teutas Miene wurde weicher, aber sie schien noch immer skeptisch. Ich kniff ihr in die Wangen und zog dabei eine Grimasse, die ihr ein Lachen entlockte.
„Ist ja süß, wie du dir Sorgen machst. Ist aber nicht nötig.“, beteuerte ich ihr.
„Das will ich doch hoffen.“, erwiderte sie und schloss die Tür wieder auf.
„Komm jetzt runter, Tee ist gleich fertig und Kuchen gibt es auch. Den kriegst du jetzt sicher runter, da dein Magen leer ist.“
Ich folgte ihr nur widerstrebend, da ich jetzt keine Lust hatte Agrons Antlitz zu sehen. Nur leider hatte ich keine andere Wahl. Das würde noch ein langer Abend werden ..
Knapp eine Stunde später war ich total am Ende. Unerträgliche Schmerzen hatten sich in meinem Körper ausgebreitet. Wie ich die Periode hasste! Dieses Ziehen im Unterleib war so schlimm! Die Schmerzen wanderten zu meinem Rücken und ließen mich kaum richtig Atmen. Als ob es nicht schon genug war, die Anwesenheit dieses Monsters ertragen zu müssen! Oma warf mir immer wieder einen besorgten Blick zu, den ich mit einem schwachen Lächeln quittierte. Wo waren meine Tabletten, wenn ich sie brauchte? So ein Mist. Ah, schon wieder dieses Ziehen! Schmerzerfüllt, verzog ich das Gesicht und dann endlich fand ich Erlösung von diesem grauenhaften Abend!
„Wir fahren nach Hause, ich bin müde.“, sagte Oma und keine 5 Minuten später waren wir auch schon auf dem Weg ..
Kaum hatte ich unser Haus betreten, wünschte ich allen eine gute Nacht und verschwand in meinem Zimmer. Ich brauchte gar nicht in den Spiegel zu schauen, um zu wissen, dass ich wie eine Leiche aussah. Jegliche Farbe war mir aus dem Gesicht gewichen. Dunkle Schatten hatten sich unter meinen Augen gelegt. Ich schluckte zwei Schmerztabletten und machte mich Bettfertig. Fix und fertig lag ich anschließend da. Mein Handy vibrierte, eine Audionachricht von Kaan. Ich stopfte mir meine Kopfhörer ins Ohr und ließ die Nachricht laufen.
'Hallo mein Engel, ich hoffe du hattest einen schönen Tag. Ich geh jetzt arbeiten, wollte dir davor aber noch eine gute Nacht wünschen. Träum von mir, ich liebe dich.'
Eine Nachricht, die mir nach diesem schrecklichen Abend ein Lächeln ins Gesicht zauberte...
Es war ein ruhiger Samstag zu Hause gewesen, wir hatten noch einmal Mimoza besucht, die erst Morgen aus dem Krankenhaus entlassen werden sollte. Kaum hatte ich mich versehen, schon war es Sonntag. Die Zugfahrt zurück nach Köln verging erschreckend langsam. Ich versuchte mich mit meinen Handy abzulenken. Immerhin würde ich Kaan gleich wieder sehen. Ich grinste bei dem Gedanken wie eine Idiotin vor mich hin. Er tat mir so gut ..
Nach einer gefühlten Ewigkeit, stand ich endlich im Aufzug. Ich stoppte bei Arjeta und klingelte. Nichts. Sie war noch nicht wieder da. Sie antwortete mir auch nicht auf Whatsapp und meine Anrufe nahm sie ebenfalls nicht entgegen. Zwar hatte sie gesagt, dass sie ihre Ruhe braucht, aber trotzdem machte ich mir Sorgen. Ein wenig enttäuscht machte ich mich auf den Weg nach oben. Von Mergim hatte ich auch kaum was gehört. Ich hatte Angst, dass der Kontakt so langsam aber sicher ganz abbrach. Kopfschüttelnd verdrängte ich den Gedanken. Das würde nicht passieren. Ich würde es nicht zu lassen! Oben angekommen schloss ich nur kurz meine Tür auf, warf meine Sachen in den Flur und klingelte dann bei Kaan. Es dauerte nicht lange bis er vor mir stand.
„Endlich! Hab dich bereits erwartet.“, stieß er freudig hervor.
Er drückte mir einen langen Kuss auf den Mund und umarmte mich. Am liebsten würde ich in aller Ewigkeit hier so herum stehen. Hauptsache in seinen Armen! Als er mich loslassen wollte, klammerte ich mich wie ein Baby an ihn.
„Mein Engel .. ich hab dich auch vermisst. Aber unser Tisch wartet.“, grinste er mich an.
Wie versprochen führte er mich zum Essen aus. Ich hatte nur ein paar Minuten gebraucht um mich fertig zu machen. Kurz mein Make Up aufgefrischt, in frische Jeans gehüpft und fertig. Es war ziemlich kalt, aber für Anfang Februar nicht anders zu erwarten. Angenehme Wärme schlug mir entgegen, als wir Hand in Hand das volle Restaurant betraten. Wir wurden zu unserem Tisch geführt. Die ganze Zeit über hatte ich dieses fette Grinsen im Gesicht gehabt, das bei diesem Anblick, der sich mir dort erbot, schlagartig verschwand. Das dürfte doch nicht wahr sein. Ratet mal, wer am Nebentisch saß ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...