Kapitel 48

5.8K 293 2
                                    

Kapitel 48 : 

Die Ohrfeige kam unerwartet, aber wohl auch berechtigt. Vielleicht war es nicht in Ordnung, Dona in Anwesenheit der anderen, auf Fatih anzusprechen. Aber mal im ernst, genau das war der Grund, wieso sie mich so scheiße behandelte. 4 Jahre. Ganze 4 Jahre, war sie mit ihm zusammen gewesen. Er hatte sie vergöttert und ihr jeden Wunsch von den Lippen gelesen. Dann kam die Anfrage von Gents Familie, bei der schon Mimoza eingeheiratet hatte. Nächtelang hatte sich Dona bei mir ausgeheult. Immer wieder sprach sie davon, wie sie mit Fatih durchbrennen würde. Doch es ist nie passiert. Warum, weiß ich auch nicht genau. Ich denke sie hatte zu große Angst, vor den Konsequenzen. Mit meinen 15 Jahren war ich damals noch ziemlich jung, hatte mit meinen eigenen Problemen zu kämpfen, mit Agron, mit dem Ritzen .. und doch, war ich für sie da gewesen. Ein weiterer Grund, wieso ich so enttäuscht von ihr war. Gent ist ein toller Typ, keine Frage. Und vielleicht, ja vielleicht liebte sie ihn mittlerweile. Aber ich weiß zu 100 Prozent, dass es am Anfang nicht so war. Sie wurde auch nicht gezwungen Gent zu heiraten, es war schlicht und ergreifend eine arrangierte Ehe.

„Wie kannst du nur?!“, zischte Dona, und riss mich so, aus meinen Gedanken. 

Mama und Mimoza hatten sich wieder auf die Couch fallen lassen und starrten in die Luft. Ich spürte Papas Blick auf mir haften und wandte mich zu ihm. Das mit Dona reichte, ich hatte ihr genug Salz in die Wunde gestreut. 

„Ich werde euch das nie verzeihen, dass ihr mich nicht zu Oma gelassen habt.“, sagte ich. 

So ein Mist. Wieso zitterte mein Körper und meine Stimme plötzlich? Und wieso füllten sich meine Augen mit Tränen?! Ich wollte nicht weinen! Ich kämpfte dagegen an und fuhr fort. 

„Ihr habt Entscheidungen getroffen, die ich kampflos akzeptieren musste. Kaan ist Türke, ja. Er ist Moslem, er liebt mich, er beschützt mich und ist für mich da, während mir meine Familie, den Rücken zugekehrt hat. Es heißt immer, wie kann man seine Familie für einen Mann verlassen.“

Ich hielt inne und schluckte den Kloß herunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. 

„Aber das hab ich nicht getan! Ihr seid diejenigen, die sich gegen mich entschieden habt!“
„Es reicht.“, fiel Papa mir ins Wort. 
„Nein, es reicht nicht! Ich bin noch nicht fertig.“

Als ich merkte wie Mama sich einmischen wollte, hob ich meine Hand um sie zum Schweigen zu bringen. Ich war dran mit reden, ich war dran den Frust rauszulassen.

„Ich wollte nie einen Albaner. Nie! Sagt mir, welcher Albaner würde jemanden akzeptieren, der voller Narben mit sich trägt. Narben, auf der Haut und auf der Seele. Jeder würde ein Riesen Skandal daraus machen, wie kaputt die Tochter von Abedin doch ist.“ 
„Dafina, was soll das heißen!?“, meldete sich Teuta zu Wort. 

Ihre Stimme klang entsetzt, aber mein Blick war immer noch auf Papa gerichtet, der sich an die Schulter griff und das Gesicht verzog. Mama eilte zu ihm und sah ihn besorgt an. 

„Deshalb habe ich mich für Kaan entschieden. Der keine Fragen stellt oder mich unter Druck setzt. Selbst das ist in euren Augen ein Skandal gewesen, weil er Türke ist. Aber ich habe gedacht, dass euch das Glück eures Kindes, wichtiger ist, als die Worte der anderen.“
„Macht sie hier einen auf Emo, um Mitleid zu kriegen.“, sagte Dona auf einmal. 

Ich fing an zu Lachen und das war der Augenblick, in dem man wirklich meinen könnte, ich hätte den Verstand verloren. Dabei war dieses Lachen nur eine Art Schutz, um nicht in Tränen auszubrechen. Papa hatte wohl genug, denn er verließ mit stampfenden Schritten das Zimmer. 

„Einen auf Emo machen a?“, sagte ich und legte meine Handtasche auf die Couch. 

Und dann tat ich etwas, dass ich nie von mir erwartet hätte. Ich knöpfte meine Hose auf und zog diese bis zu den Knien nach unten. Diese Entsetzten Gesichter, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Die Spannung im Raum, war mit den Händen zu greifen. Eine gefühlte Ewigkeit starrten sie auf meine Narben überzogenen Oberschenkel. Ein schriller Schrei betäubte für einige Sekunden meine Ohren. Er kam von Mama und schien uns alle aus unserer Trance zu holen. Mimoza legte eine Hand auf den Mund, um ihren Schluchzer zu unterdrücken, Dona lehnte sich zurück und sah auf ihren Schoß. Ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbildete, aber ihre Augen glänzten. Das waren aber Tränen, die mich kein Stück berührten. 

„Versteht ihr jetzt?“, fragte ich leise. 

Ich zog meine Hose wieder hoch und spürte plötzlich zwei Hände, die sich um meine Oberarme schlossen. Teuta. Voller Bestürzung sah sie mich an und schüttelte dabei ungläubig mit den Kopf. 

„Wie lang machst du das schon?“, wollte sie wissen. „Wieso tust du das?“
„Was spielst das für eine Rolle?“, erwiderte ich.

Himmel, ich war die Ruhe in Person. Was war nur los mit mir? Ich hatte gedacht, dass ich zusammen brechen würde, verheult und kaputt, aber das war nicht der Fall! Mein Herz schlug gleichmäßig in meiner Brust. Mein Körper zitterte auch nicht mehr. 

„Das kann nicht dein ernst sein? Ich will das wissen!“, brüllte mich Teuta nun an. 

Ich machte mich von ihr los und trat einen Schritt zurück. Mama Weinen drang in meine Ohren. Sie verfluchte das Leben, die Welt und auch sich selbst. Ein Wirrwarr von Albanischen Worten kam aus ihrem Mund und ich verstand das meiste gar nicht, da in meinem Kopf zu viele Sachen auf einmal waren. Teuta fuhr sich mit den Händen einmal übers Gesicht und lief im Zimmer auf und ab. 

„Ich fasse es nicht. Ich kann nicht glauben, dass ..“

Sie brach mitten im Satz ab und biss sich auf die Lippe. 

„Dass ihr nie etwas gemerkt habt?“, beendete ich ihre Worte. „Macht euch deswegen keine Vorwürfe. Wenn ich gewollt hätte, dass ihr es merkt, dann wäre das passiert. Aber ich wollte es nie. Und auch jetzt .. das ändert trotzdem nichts an dieser .. beschissenen Situation.“, fuhr ich fort und zuckte dabei mit den Schultern. 
„Ein Schulterzucken? So einfach?“
„So einfach.“

Sie trat erneut vor mir, berührte mich diesmal jedoch nicht, da sie merkte, dass ich zurückwich. 

„Wieso?“
„Schule, Stress, Druck.“

Halbe Wahrheit, ist keine Lüge, dachte ich mir. 

„Mehr nicht?“
„Mehr nicht. Reicht doch schon, wie du siehst.“
„Ich glaube dir nicht Dafin!“, sagte Mimoza auf einmal. 

Ich warf ihr einen kurzen Blick zu und sah, wie sie sich gerade die Tränen wegwischte. 

„Ist da noch irgendwas anderes?“, ergriff Teuta wieder das Wort 
„Sollte es denn irgendwas anderes geben?“, tat ich einen auf verwirrt. 
„Das musst du mir sagen.“ 
„Es gibt aber nichts mehr zu sagen.“ 

Schlusswort. Ich nahm meine Tasche und wollte das Haus verlassen, als Mama aufsprang und mir um den Hals fiel. Erst dieser klammernde Griff, ließ meine Fassade bröckeln. 

„Falem qika jem. (Verzeih mir meine Tochter.)“, sagte sie immer wieder. 

Tränen traten mir in die Augen. Ich musste hier weg und zwar schnell. Ich wollte jetzt keine Schwäche zeigen. Vorsichtig machte ich mich von Mama los und ging ohne nochmal nach hinten zu schauen nach draußen. Ich rannte förmlich zum Wagen, kramte unterdessen die Schlüssel aus der Handtasche und presste die Lippen aufeinander. Nicht weinen, bitte nicht weinen. Endlich saß ich im Wagen. Ich ließ den Motor an und fuhr davon .. 

Ich schaffte es gerade noch aus der Innenstadt, als ich schließlich anfing zu weinen. Die Sicht vor mir verschwamm. Ich fuhr rechts an, um keinen Unfall zu bauen. Oh mein Gott. Erst jetzt wurde mir richtig bewusst, was ich getan hatte. Mama Schreie klingelte immer noch in meinen Ohren nach. Trotz der Hitze, die am Nachmittag herrschte, kroch Kälte in meinen Körper und breitete sich langsam und schmerzhaft aus. Es war ein intensives Gefühl im mir, nach diesem .. Halbgeständnis. Es war nicht einmal geplant. Meine Reaktion auf Donas Worte kam instinktiv. Und jetzt .. scheiße. Alles scheiße. Mein Handy klingelte. Es war Kaan. Ich drückte den Anruf weg, und stellte auf Ruhemodus. Ich konnte gerade nicht reden. Ich lehnte meine Stirn gegen das Lenkrad und brauchte ein paar Minuten, bis ich mich beruhigt hatte und endlich weiter fahren konnte... 

Nach einer Fahrt, die mir endlos lang vorkam, stand ich endlich vor der Tür. Von drinnen war Gelächter zu hören, das sich mit lauter Hip Hop Musik vermischte. Ich schloss die Tür auf und folgten dem Lärm. Kujtim und Kaan saßen da und rauchten. Einen Joint. 

„Kiffer Versammlung, oder was?“

Ich musste meinen Satz drei mal Wiederholen, ehe sie mich überhaupt hörten. Kaan stand auf und kam auf mich zu. Kichernd. High. Wo war nur der verantwortungsvolle Polizist geblieben? Er wollte mich küssen, jedoch wich ich zurück. Am liebsten würde ich die beiden aus der Wohnung schmeißen, aber dann fiel mir ein, dass es nicht einmal meine Wohnung war. Ich schloss mich im Schlafzimmer ein, warf mich aufs Bett, und fragte mich, was nur aus meinem Leben geworden war... 

Nur eine halbe Stunde später, war es still in der Wohnung. Wie es aussah, hatten Kaan und Kujtim sich auf den Weg gemacht. Ich raffte mich also auf, um eine Kopfschmerztablette aus der Küche zu holen, als es an der Tür läutete. Super. Kaan war sicher so bekifft gewesen, dass er die Schlüssel vergessen hatte. Doch als ich die Tür öffnete, stand auf einmal Teuta vor mir. 

„Wir müssen reden.“, sagte sie und trat einfach an mir vorbei in die Wohnung. 
„Ich hab doch schon gesagt, dass es ..“
„Nicht deshalb Dafina! So sehr ich auch geschockt und wütend auf mich selbst bin, dass ich nie etwas gemerkt habe. Ich kann dich nicht zwingen darüber zu reden. Ich will einfach nur erklären, wieso ich mich in den letzten Monaten, nicht gemeldet hab.“ 

Ich ließ die Tür hinter mir ins Schloss fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. 

„Dafür gibt es also eine Erklärung? Da bin ich mal gespannt.“
„Gibt es tatsächlich.“, antwortete sie und folgte mir ins Wohnzimmer. 

Sie setzte sich und schaute sich erst mal um. 

„Lebst du hier mit .. Kaan?“, fragte sie. 

Wow, ein Fortschritt. Sie nannte ihn nicht, den Türken. Ich nickte stumm und sah sie abwartend an. 

„Ich weiß nicht wo ich anfangen soll .. es waren nicht nur für dich harte Monate. Die kleine von Mimoza, lag Wochenlang im Krankenhaus, wir haben kurzzeitig sogar um sie gebangt.“

Ich spürte wie sich etwas in mir zusammen zog, während sie weiter sprach. 

„Ich war schwanger, hatte eine Krise mit Agron und ..“
„Moment mal, stopp, stopp!“, fiel ich ihr ins Wort. 

Es war nicht ihre Krise mit Agron, die mich bestürzte, sondern dieses 'Ich war schwanger' .. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt