Kapitel 71 :
Mergims ganze Familie stand vor mir. Seine Eltern, seine beiden Brüder und seine kleine Schwester. Mein Puls schon von null auf 100, die Tasse mit dem heißen Kaffee glitt mir aus der Hand und krachte auf den Parkettboden. Der Blick der Mutter wanderte über meinen Körper. Kein Wunder .. ich trug die Klamotten ihres Sohnes! Um Gottes Willen.
„Guten Morgen Dafina.“, grinste Mergims kleine Schwester mich an.
„Gut .. ehm guten Morgen.“, antwortete ich stotternd.
Ich blickte nach unten zu dem Chaos, das ich angerichtet hatte. Röte schoss mir ins Gesicht.
„Tut mir leid. Ich putze das eben weg, kommt schon mal rein.“
Ein Weltwunder, dass meine Stimme soweit funkte. Ich trat zur Seite und ließ alle über die kleine Pfütze .. springen. Anschließend verschwand ich im Bad und holte was zum aufwischen. Die Tasse, die komischerweise heile geblieben war, brachte ich in die Küche. Von Mergim war keine Spur, er war wohl schon zu den anderen gestoßen. Ich hörte leises Gemurmel aus dem Wohnzimmer, das meinen Herzschlag den Rest gab. Mit zitternden Knien schlich ich ins Schlafzimmer, zog mich um und setzte mich auf das Bett. Ich stützte meine Ellenbogen auf den Knien ab und legte mein Gesicht in meine zitternden Hände. Todes peinlich, einfach Todes peinlich war das. Gott alleine wusste, was Mergims Eltern nun von mir dachten. Ich mein, die Situation sah viel zu deutlich aus, als das man etwas anderes denken konnte. Wieso konnte das nicht einfach einer meiner Albträume sein?
„Dafina?“
Ich fuhr hoch und sah Zana, Mergims 16 Jährige Schwester, an der Tür stehen. So sehr war ich in meinen Gedanken versunken, dass ich nicht einmal gemerkt hatte, wie sie ins Zimmer kam. Mühevoll hievte ich meinen schlappen Körper vom Bett und versuchte ihr zauberhaftes Lächeln zu erwidern. Vergeblich, denn mir war wirklich nicht nach Lachen.
„Mergim ruft dich.“, fuhr Zana fort.
„Erdha. (Ich komme.)“, antwortete ich.
Grinsend verschwand sie wieder und ließ mich mit pochendem Herzen zurück. Oh Gott, und was jetzt? Dumme Frage, als ob ich eine andere Wahl hätte, als da rein zu gehen. Ich warf einen schnellen Blick in den Spiegel, strich meine Haare glatt und nahm meinen ganzen Mut zusammen. Als ich das Wohnzimmer betrat rutschte mir vor Angst und Scham das Herz in die Hose. Ich reichte allen der Reihe nach die Hand, murmelte dabei ein leises 'Hallo, wie geht’s?', auf Albanisch natürlich, und blieb anschließend wie eine Idioten im Zimmer stehen. Neben Mergim war der Platz frei, aber ganz ehrlich .. ich schämte mich. Erneut spürte ich den Blick von Mergims Mutter auf mir haften und mein Körper versteifte sich augenblicklich. Eine elegante Frau Anfang vierzig. Sie trug ein schwarzes Kostüm, bestimmt maßgeschneidert, und eine Sonnenbrille hing ihr lässig in den kirschroten Haaren. Totale Businessfrau, mit diesen durchbohrenden Blick, den man nur als Jurist haben kann. Wisst ihr, was ich mir in diesem Moment wünschte? Im Erdboden zu versinken, oder noch besser, unsichtbar zu werden.
„Dafina ..“, flüsterte Mergim und riss mich so auf meiner Trance.
Er saß noch auf der Couch und hielt mir jetzt die Hand hin. Oh mein Gott, oh mein Gott! Hilfe! Ich war wie versteinert. Tu was! Tu was, du dummes Nuss! Mein Unterbewusstsein verhöhnte mich aufs übelste. Irgendwie schaffte ich es dann doch Mergims Hand zu ergreifen und mich neben ihn zu setzten. War ja jetzt nicht so, als hätte ich eine andere Wahl gehabt.
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...