Kapitel 53 :
„Wir müssen reden.“, sagte Kaan.
Drei Wörter. Drei kleine Wörter, die meistens eine große Bedeutung hatten und nichts gutes verhießen. Und auch in diesem Fall, ahnte ich schlimmes ..
„Worum geht es denn?“, fragte ich vorsichtig.
Kaan fuhr sich einmal durchs Haar, während ich mitten im Wohnzimmer stand und versuchte mein Zittern zu unterdrücken.
„Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.“, erwiderte er und steckte die Hände in die Hosentaschen.
Ich glaube, ich hatte mittlerweile aufgehört zu Atmen. Ein schrecklicher Gedanke machte sich in mir breit und ich hoffte so sehr, dass mein Gefühl mich täuschte.
„Ich glaube es ist besser, wenn wir hier Schluss machen. Ich sehe keinen Sinn mehr in dieser Beziehung. Vielleicht war es von Anfang an falsch.“
Mir klappte die Kinnlade herunter. Seine Worte waren schlimmer als die Ohrfeige, die er mir damals verpasst hatte. Mein erster Gedanke war eigentlich, dass er mich betrogen hatte. Ich dachte, er wolle mir seinen Fehltritt beichten und mich um Verzeihung bitten. Selbst das wäre schon der pure Horror gewesen, aber wahrscheinlich hätte ich ihm in dieser Situation trotzdem verziehen, wenn das wirklich der Fall gewesen wäre. Dass es sogar schlimmer kommen würde ..
„Das kann nicht dein ernst sein?“, flüsterte ich.
Er wollte die Beziehung beenden. Einfach so. Ich konnte es nicht glauben, ich wollte es nicht wahr haben! Was war denn plötzlich los? Das kam gerade einfach so unerwartet, ich war völlig von der Rolle! Hatte ich irgendwas falsch gemacht? Ich ging gerade geistig die letzten Wochen durch, und suchte nach einen Fehler. Nach meinem Fehler, denn ich war mir plötzlich so sicher, dass es meine Schuld war. Irgendwas musste ich falsch gemacht haben. Kaan sagte nichts, sondern sah mich einfach nur an. Abwartend. Aber auf was wartete er? Dass ich in Tränen ausbrach? Nun, so weit hatte er mich gleich. Ich spürte förmlich wie meine Tränendrüsen darauf warteten, in Aktion zu treten. Außerdem hämmerte da etwas in meinem Kopf .. wie eine Warnung, dass es gleich los geht.
„Bitte sag mir, dass das ein Witz ist.“
Oh Gott, wie jämmerlich ich mich anhörte.
„Es ist besser so Dafina, glaub mir.“
„Es ist besser so?“, wiederholte ich ungläubig seine Worte. „Es ist besser so?!“, schrie ich nun.
Ich ging auf ihn zu und stand nun unmittelbar vor ihm. Wo war Glanz seiner Augen hin? Oder hatte ich mir das die ganze Zeit über eingebildet? Diese Liebe in seinen Augen, war sie nie da gewesen?
„Ich hab für diese Beziehung gekämpft! Bin gegen den Willen meiner Eltern bei dir geblieben und hab Monate mit einer Leere in mir gelebt! Für dich! Und jetzt kommst du an und sagst, dass es besser so ist? Für wen ist es besser Kaan? Für dich?!! Denn für mich ganz bestimmt nicht!“
„Dafina es ist zu deinem Besten! Du musst mir glauben ..“
Genug mit dem Scheiß! Weshalb taten die Leute um mich herum immer so, als wissen sie, was das Beste für mich ist? Wieso ließen sie mich das nicht selbst entscheiden?!
„Wieso sagst du mir nicht einfach die Wahrheit?“, brüllte ich wütend. „Wieso sagst du mir nicht, dass du mich nie geliebt hast? Wieso gibst du nicht einfach zu, dass es diese Mappe doch gegeben hat und ich nur ein weiterer Teil deiner Sammlung bin?“
Ich griff mit beiden Händen nach seinem Shirt, zerrte verzweifelt daran und konnte nun auch meine Tränen nicht mehr zurück halten. Der Schock saß einfach zu tief, es schmerzte.
„Wer ist die nächste? Hast du sie schon getroffen? Hast du ihr die selben Versprechen wie mir gemacht? Wieso tut man sowas? Sag es mir bitte, ich versteh es nämlich nicht.“, schluchzte ich.
„Ja, es stimmt.“
Autsch. Das .. das tat weh ..
„Ich habe dich nie geliebt, es war alles ein Spiel. Zufrieden?“
Ich fing an, mit meinen Fäusten auf ihn einzuschlagen und brüllte ihn an. Dabei weiß ich nicht einmal, was da aus meinem Mund kam. Er griff nach meinen Handgelenken und sah mich an.
„Es ist besser so.“
Ich riss mich von ihm los und griff mir mit meinen zitternden Händen an den Kopf. Ich fing an zu Lachen. Intensiv, hysterisch. Ich schnappte verzweifelt nach Luft, Tränen kullerten mir über die Wangen und mein Bauch tat weh. Ich schien die Kontrolle über meinen Körper zu verlieren, meine Gedanken waren ebenfalls ein reines Chaos. Und dann ganz plötzlich hörte es auf. Ich presste meine Handfläche gegen den Mund, um den nachfolgenden Schluchzer zu ersticken. Meine Knie zitterten, es war nur eine Frage der Zeit, bis sie nachgaben.
„Der Mietvertrag ist bereits gekündigt, die Wohnung muss in den nächsten zehn Tagen geräumt werden. Ich glaube die Zeit reicht, damit du deine Sachen packen kannst. Ich werde meine holen lassen .. in den nächsten Tagen.“
„So einfach?“
„Es tut mir leid.“
Er lief er an mir vorbei und wenige Augenblicke später, hörte ich die Tür ins Schloss fallen. Es tut ihm leid. So ein Quatsch. Das war eine Lüge, alles war eine Lüge gewesen! Ich sackte zu Boden. Es war, als habe mir jemand eine Faust in den Magen gerammt. Tränen liefen mir endlos über mein Gesicht, während ich nicht fassen konnte, was gerade passiert war. Es war aus. Die Gefühlslosigkeit in seinem Gesicht und die Kälte seiner Stimme, ließen mich realisieren, dass es wirklich aus war. Er meinte es ernst. Irgendwas in mir drinnen brach gerade in tausend Stücke. So einfach .. ja, es war so einfach für ihn gewesen ..
Drei Tage waren vergangen. Ich hatte mich in der Wohnung verkrochen, heulte ununterbrochen, und zerbrach mir die ganze Zeit den Kopf darüber, wie es nun weiter gehen sollte. Wie sollte ich das meinen Eltern erklären? Wo sie sich doch gerade an ihn gewöhnt hatten und sogar anfingen, ihn zu mögen. Ich Idiotin hatte allen ernstes geglaubt, dass ich jemanden gefunden hatte, für den sich all der Schmerz lohnen würde. Die letzten Monaten, voller Trauer, Tränen und Leid. Umsonst, alles war umsonst gewesen. Es war alles nur Gerede. Vorgegaukelte Gefühle. Er hatte mich nie geliebt. Nur gab es da trotzdem etwas, das ich nicht ganz verstand. Er hat nie mit mir geschlafen. Welches Ziel verfolgte er also? Diese Frage verfolgte mich und ließ mir keine Ruhe. Irgendwas stimmte nicht, ein Puzzelteil fehlte...
Am Abend des vierten Tages nach Kaans Weggang, rief ich zu Hause an und sagte ihnen, dass wir dieses Wochenende nicht kommen würden. Ich brauchte noch etwas Zeit, um mit der Sache fertig zu werden. Nur hatte ich diese leider nicht. Zumindest hier nicht. In den letzten Tagen hatte ich das komische Gefühl, dass ich beobachtet wurde. Sowohl in der Wohnung, als auch außerhalb. Bevor es so klingt, als sei ich paranoid geworden, was vielleicht sogar zutrifft, lasst mich erzählen. Gestern war ich kurz in der Uni gewesen und in der Zwischenzeit hatte Kaan seine Sachen geholt. Als ich wieder zurück war, stand kaum noch etwas in der Wohnung, das ihm gehörte. Es war, als hätte er einen Detektiv angeheuert, der ihm Bescheid gibt, sobald ich die Wohnung verlasse. Hinzu kommt, dass ich im Kiosk nebenan, zwei mal Zigaretten holen war, und beide male ein Mann mit Mantel und Sonnenbrille, vor dem Gebäude stand. An sich ja nichts ungewöhnliches, auch wenn das Wetter nicht gerade Sonnenbrillen tauglich war. Aber ich schwöre, ich hatte diesen Mann noch nie zuvor in dieser Gegend gesehen! Paradox, ich weiß. Wie auch immer, ich musste langsam hier weg. Zu Mergim konnte ich nicht. Er hatte sich seit dem Vorfall mit Kaan, nicht mehr bei mir gemeldet. Was ich ihm nicht einmal verübeln konnte. Ich vermisste ihn. Ich vermisste ihn mehr, als ich mir eingestehen wollte. Arjeta war bei Kujtim, wie schon so oft in letzter Zeit. Ich nahm also meine zwei großen Koffer, ließ mich vor dem Schrank nieder und packte meine Habseligkeiten zusammen. Drei mal dürft ihr raten, was ich da fand. Bingo! Die gelbe Mappe. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er das mit Absicht hier gelassen hatte. Wie dumm ich doch gewesen war, ich könnte mir glatt eine Ohrfeige verpassen! Trotz allem reagierte ich relativ gefasst. Keine Tränen, keine Heulerei. Einfach nur Wut. Blanke Wut, die sich wie ein Virus in meinen Körper ausbreitete. Ich öffnete die Mappe und sah mir die „Opfer“, mich eingeschlossen, erneut an. Beim Gedanken, was Kaan alles mit diesen Frauen gemacht hatte, wurde mir schlagartig übel. Angewidert verzog ich das Gesicht, und wollte die Mappe schon zurück legen, als mir ein zerrissenes Blatt Papier auffiel, das zwischen den ganzen anderen Blättern lag. Ich zog es heraus und sah es mir genauer an. Es war eine Adresse, oder eher eine Art Wegbeschreibung draufgekritzelt, die ich nur mit Mühe entziffern konnte. Ich verstand nicht, was das ganze sollte. Zumal ich hätte schwören können, dass dieses Stück Papier beim Ersten mal nicht hier war. Eigentlich hatte ich vor gehabt, mit dem Wagen, den Papa mir erst vor drei Wochen gekauft hatte, zu einer Uni Freundin zu fahren. Route geändert! Ich suchte nach Antworten, auf meine endlosen Fragen und diese Adresse kam mir gerade gelegen. Im Flur warf ich mir meine Lederjacke über, stieg in meine Vans und machte einen Fehler, den ich den Rest meines Lebens bereuen sollte. Aber sagt, woher hätte ich wissen sollen, dass ich mit meiner Entscheidung, diesem Stück Papier zu folgen, eine Einladung angenommen hatte? Eine Einladung, in die Hölle ..
Ich fuhr seit zirka einer Stunde. So langsam aber sicher, verschwand die Sonne hinter dem Horizont und es begann zu dämmern. Je weiter ich aus der Stadt fuhr, desto dunkler wurde es. Auch die Beleuchtungen auf der Straße wurden schwächer. Ich warf noch einmal einen kurzen Blick auf die Wegbeschreibung und vergewisserte mich, dass ich in die richtige Richtung fuhr. Ich hielt an einer Kreuzung und sah mir das Schild, das nach rechts zeigte, genauer an. Dann verglich ich die Namen und nickte stumm vor mich hin. Das stimmte so. Ich war hier richtig. Mehrmals nahm ich tief Luft, bog ein und fuhr weiter. Unzählige Maisfelder ließ ich hinter mir. Ich glaube, ich hatte mein Ziel erreicht, denn zirka 20 Meter vor mir, lag ein großes Haus. Ich fuhr nun im Schritttempo und begutachtete meine Umgebung. Es schien alles erschreckend ruhig. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit. Vielleicht sollte ich umkehren und jemanden mitnehmen? Kopfschüttelnd verdrängte ich den Gedanken wieder, als mir bewusst wurde, dass ich niemanden hatte. Licht brannte. Sowohl im Hausinneren, als auch vor der Tür. Außerdem standen mehrere Autos da. Ich parkte und schaltete den Motor aus. Ein kräftiger Wind wehte, mir war kalt und trotzdem schwitzten meine Hände. Vor Angst? Vor Nervosität? Ich wusste es nicht. Mit kleinen Schritten näherte ich mich der Haustür und stellte überraschend fest, dass diese nur angelehnt war. Komisch .. sehr komisch. Ich schloss ganz kurz meine Augen und befeuchtete meine Lippen. Gott, wie mein Herz raste! Was zum Teufel hatte ich mir nur dabei gedacht? Ich hätte umkehren müssen. Ich hätte nach Hause fahren sollen. Zu Arjeta, zu Mergim, oder wieder in die Wohnung, aber ich tat es nicht. Und das war ein Fehler. So ein großer Fehler! Ich trat ein und ließ meinen Blick schweifen. Das Haus war eher spärlich möbliert, außerdem war es leise hier drinnen. Viel zu leise! Statt nach jemanden zu rufen, stieg ich die Treppen hoch. Keine Ahnung wieso, aber meine Beine zogen mich dahin. Ich nahm die letzte Stufe und hielt inne. Noch immer war es mucksmäuschenstill. Entweder war hier alles schallisoliert, oder aber es war keiner da, was ich mir beim Besten Willen nicht vorstellen konnte, wo doch so viele Autos draußen standen. Links und Rechts von mir, gab es jeweils drei Türen. Ich entschied mich für die Linke Seite und fluchte leise vor mich hin, als die erste Tür verschlossen war. Auch die zweite ließ sich nicht öffnen. Ich näherte mich der dritten Tür, legte mein Ohr dicht daran und hörte trotzdem nichts. Mein Atem ging nun schwer, ich zögerte einen Moment, drückte dann jedoch die Türklinke langsam nach unten. Die Geräusche, die nun in mein Ohr drangen, gefielen mir ganz und gar nicht. Ich riss die Tür auf und erstarrte. Da lag .. da lag ein Mann auf einem Mädchen und .. ich .. ich glaube sie war nicht bei Bewusstsein .. und er .. Panik überkam mich. Mir wurde schlecht und ich begann zu zittern. Meine Augen waren vor Schock geweitet, mein Mund zu einem stummen Schrei geöffnet. Ich musste hier weg! Raus von hier! Plötzlich vernahm ich Schritte hinter mir. Dicht hinter mir, und nun wusste ich, dass meine Erkenntnis zu spät kam. Das Letzte was ich sah, war ein Schatten, der unmittelbar hinter mir stand. Irgendwas .. hartes, knallte gegen meinen Hinterkopf. Ich hörte einen Schrei. Ich glaube, es war mein eigener ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...