Kapitel 64 :
Papa machte ein paar Schritte in meine Richtung, blieb dann stehen und breitete auf einmal seine Arme aus. Oh mein Gott! Ich sprang auf und fiel ihm um den Hals. Die Tränen kamen automatisch.
„Falem Babi. (Verzeih mir Papa)“, schluchzte ich.
„Ne rregull esht, mos qaj.. (Es ist okay, wein nicht..)“, flüsterte er.Aber ich weinte. Ich weinte aus vollem Herzen und brauchte Minuten, um mich wieder einzukriegen. Dabei klammerte ich mich unaufhörlich an Papa Armen, während er mir versicherte, dass alles wieder gut werden würde. Dass ich nicht alleine war, dass sie alle hinter mir stehen und es tat so gut das zu hören! Wenn man in den dunkelsten Stunden des Lebens eine Familie hat, die einen unterstützt und liebt, dann ist das Balsam für die geschundene Seele! Es gibt solche Menschen im Leben eines jeden, bei denen man sich einfach nur wünscht, ihnen niemals begegnet zu sein. Kaan war so ein Mensch. Ich hatte monatelang gelitten und für ihn gekämpft. Ich hatte meine Familie aufgegeben für ihn, was wohl einer der größten Fehler meines Lebens gewesen war. Als er in mein Leben trat, war alles noch halb so schlimm. Ich war lediglich das Opfer der Missbrauchsattacken meines Schwagers, hatte gelernt damit zu leben und begann damals sogar mich gegen ihn zu wehren. Erfolgreich! Und nun? Verlassen, vergewaltigt, entehrt, geschändet. Ich wurde in eine Welt reingezogen, gegen die ich als angehende Richterin kämpfen sollte. Arjetas lebloser Körper, erschien vor meinem geistigen Auge und der Schmerz durchzuckte mich wie ein plötzlicher Blitzschlag. Ihr Kopf voller Blut, ihr Gesicht so kalt. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte die Bilder in meinem Kopf zu verscheuchen.
„Princesha e babit. (Papas Prinzessin.)“, sagte Papa und wollte mich gar nicht mehr loslassen.
Erst als Mama neben uns trat und an seinen Arm rüttelte, ließ er von mir. Schon warf ich mich in ihre Umarmung und drückte sie fest an mich. Mein Leben war wie eine Leiter, beim Versuch sie zu erklimmen bin ich immer wieder gescheitert und abgestürzt. Von anderen an den Beinen gezogen, damit ich möglichst tief und schmerzhaft falle. Ich hatte das Gefühl, dass ich an diesen Stürzen zerbrochen war und ich es nie mehr nach oben schaffen würde. Dass meine Familie zu mir stand und mich unterstützte war Gottes Geschenk! Es war mir ein bisschen unangenehm vor den Augen meiner Schwager, mitten im Wohnzimmer wie ein kleines Kind zu weinen. Deshalb löste ich mich von Mama und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich wollte mich wieder auf meine vorherigen Platz neben Teuta setzen, aber Mimoza klopfte neben sich auf die Couch.
„Komm her.“, sagte sie halb lächelnd halb weinend.
Das eben war wohl eine zu emotionale Szene für sie. Für uns alle .. Ich folgte ihrer Anweisung und kuschelte mich in ihre Arme, während ich kurz und knapp erklärte, dass es für Kaan und mich keine gemeinsame Zukunft geben würde. Alle hörten mir aufmerksam zu, stellten keine zusätzlichen Fragen, was mich sehr erleichterte. Zwar hatten die Nachricht die Stimmung getrübt, aber ich war froh, dass es endlich raus war, mir war wirklich ein Stein vom Herzen gefallen. Zumindest blieb mir die ganze Erklärung wegen Arjeta erspart. Ich bezweifelte, dass ich in der Lage war, überhaupt darüber zu reden. Alle sprachen mir ihren Beileid aus und damit war das Thema erledigt. Der Gedanke an ihr fühlte sich jedes mal so an, als ob mir jemand ein Messer in das Herz rammen würde. Schmerzen, unerträgliche Seelenschmerzen. Ob sie je ein Ende haben würden? Die ganze Zeit über spürte ich Agrons Blick auf mir haften und das war mir so unangenehm, dass ich nach einer Weile aufstand und mich entschuldigte.
„Ich geh kurz raus, frische Luft schnappen.“
Damit meinte ich in Wirklichkeit eine Rauchen und natürlich vor Agrons Blicken flüchten. Vor der Haustür sog ich erst mal die kalte Novemberluft in meine Lunge. Anschließend kramte ich in meiner Handtasche nach einer Zigarette und zündete diese an. Nach ein paar Zügen wurde mir plötzlich eine Jacke um die Schulter gelegt.

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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...