Kapitel 2

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Kapitel 2 : 

Wieso nannte er mich so? Vielleicht um mich noch mehr zu quälen. Klar, was denn sonst? Er wusste, dass ich es hasste, wenn er mich so nannte. Ohne auf seine ausgestreckte Hand zu achten, lief ich an ihn vorbei. Teuta stand noch am Wagen und sprach auf die Kinder ein, die wohl nicht aussteigen wollten. Ein wenig überfordert lächelte sie mich an und umarmte mich dann lange. 

„Hallo Schwesterherz.“, sagte ich. 
„Hab dich vermisst mein Schatz. Du kommst mich gar nicht mehr besuchen.“, antwortete Teuta. 

Ihre Stimme war so herzlich wie immer, aber das schien eher eine Art Vorwurf zu sein. Recht hatte sie ja, meine Besuche wurden mit der Zeit immer seltener. Ich schob es immer auf den Abi Stress und der Wohnungssuche, denn den wahren Grund kannte sie ja nicht .. 

„War total stressig Teut. Hab nach der Zusage, erst mal eine Wohnung gesucht. Dann musste alles renoviert und eingerichtet werden. Das übliche halt .. sorry.“, versuchte ich mich raus zureden. 
„Ich verzeih dir .. unter einer Bedingung. Nein, zwei!“ 
„So, so. Und die wären?“ 

Lächelnd verschränkte ich die Arme vor der Brust und legte meinen Kopf schief. Teuta verdrehte leichte genervt die Augen und zeigte mit einer Kopfbewegung ins Auto, wo Flamur und Besa saßen. Die beiden hatten wohl nicht vor auszusteigen. Die 6 Jährige Besa, verlangte nach ihre Puppe und beharrte darauf zurück zu fahren, während Flamur sie unterstützte. 

„Ich will mein Handy!“, meckerte er. 
„Du kriegst es erst Morgen, du weisst wieso.“, antwortete Teuta. 
„Ich hab die scheiss Puppe nicht versteckt!“, brüllte er auf einmal. 
„Nicht so frech Flamur! Steig jetzt aus, oder ich hol deinen Vater!“ 

Ein offener Schlagabtausch zwischen Mutter und Sohn, und ich stand hilflos daneben. Teuta warf mir einen hilfesuchenden Blick zu. Irgendwie musste ich eingreifen. 

„Flamur, du darfst mit meinem spielen, okay? Komm jetzt raus.“, sagte ich. 
„Ich will nicht damit spielen.“
„Was willst du dann damit?“, fragte ich ein wenig verwirrt. 
„Facebook.“ 

Was zum?! Was hatte ein 8 Jähriges Kind auf so einer Plattform zu suchen? Wo tagtäglich, irgendwelche perversen Videos und Bilder geteilt werden! Teuta zuckte nur mit den Schultern. 

„Agrons Schuld.“, sagte sie nur. 

Als sein Name fiel, wurde ich irgendwie wütend. Wie ich diesen Mann hasste .. 

„Du steigst jetzt aus, oder ich sperr dich für den Rest des Abends im Wagen ein. Ohne Essen. Ohne Trinken. Ohne Handy .. a more vesh? (hast du verstanden?)“ 
„Amo teze une .. (Aber Tante ich ..)“ 
„Nichts aber.“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Raus jetzt.“

Natürlich war es nicht in Ordnung, meine Wut an ihn raus zu lassen. Ich liebte meine Neffen und meine Nichte, aber meine Schwestern waren zu gutmütige Wesen. Das hatten sie eindeutig von Papa. Ich dagegen kam mehr nach Mama, die man fast schon als streng bezeichnen konnte. Mit gesenktem Kopf stieg Flamur aus, Besa folgte ihm. Wortlos verschwanden sie Richtung Haustür. 

„Du wirst eine gute Mutter Dafin.“, lachte Teuta und schloss den Wagen ab. 
„Du bist schon eine. Dein Mann hat Schuld, er verwöhnt die Kinder zu sehr ..“
„Vielleicht hast du Recht. Nejse (Wie auch immer), kommen wir zu Bedingung zwei.“
„Bin ganz Ohr.“, grinste ich und hakte mich bei ihr unter. 
„Also .. am Montag hat Flamur Geburtstag, wie du weisst. Wir wollen das Feiern und ich will, dass du dabei bist.“
„Aber Teut ich muss am Montag schon in Köln sein ..“ 
„Wirst du auch! Agron kann dich hinfahren, es wird nicht sehr spät werden. Bitte Dafin!“ 

Agron mich hinfahren!? Niemals! Ich setzte ein Lächeln auf und nickte meiner großen Schwester zu. Ihren Wunsch konnte ich nicht einfach abschlagen. Während wir ins Haus gingen, feilte ich schon nach einer Notlösung. Entweder würde ich bis Dienstag in Mannheim bleiben, oder aber ich fand jemand anderen, der mich hinfährt. Erleichterung machte sich in meinen Körper breit. Genau, das war die Lösung und die passende Person hatte ich auch schon parat. 

Der Abend verlief recht harmonisch. Nach den Kaffee, gab es erst mal Abendessen, wo alle kräftig rein hauten. Mamas Essen schmeckte besser, als in jedem noch so teuren Restaurant und die Komplimente ihrer Schwiegersöhne fanden kein Ende. Besonders Agron lobte sie mal wieder in den höchsten Tönen. Auch ich blieb nicht verschont, nachdem Mama erwähnte, dass ich geholfen hatte. 

„Kunata jem (Meine Schwägerin), macht die besten Pites.“, schwärmte er. 
„Das war wohl vorerst das letzte mal, dass du Pite von ihr isst. Unsere Streberin wird jetzt noch mehr büffeln müssen. Aber sie wird uns stolz machen.“, sagte Teuta. 

Sie lächelte mich an und erneut musste ich mir eingestehen, dass sie meine Lieblingsschwester war. Ich wusste, dass man zwischen den Geschwistern keine Unterschiede machen sollte, und es war nicht so, dass ich mich mit Mimoza und Dona nicht verstand. Aber eine richtig enge Bindung hatte ich nie zu ihnen. Zum größten Teil war es natürlich meine Schuld, da ich niemanden an mich ran ließ. Aber mit Teuta war das anders. Mit ihren 30 Jahren, war sie um einiges älter als ich und hatte mich von klein auf beschützt. Sie war immer für mich da gewesen, auch nach ihrer Hochzeit und genau das war einer der Gründe, wieso ich nie etwas sagen konnte. Sie schien mit Agron immer so überglücklich zu sein, was sie auch sehr oft erwähnte. Wie sollte ich das zerstören!? Wie sollte ich damals zu meiner schwangeren Lieblingsschwester sagen, dass ihr Mann mich .. missbraucht?! Außerdem war da noch diese Angst, dass mir niemand glauben würde. Diese Angst, die mich auch heute noch beherrschte, sollte ich jemals den Mut finden zu reden. Es würde mir niemand glauben. Nicht jetzt. Nicht, nach all den Jahren. Diese Erkenntnis tat weh. Sehr weh sogar...

„Fina wieso willst du eigentlich Richterin werden und nicht Anwältin?“, fragte Agron mich. 
„Weil ich als Anwältin keine Menschen bestrafen kann.“ 
„Achso, du bestrafst lieber, als zu beschützen?“, lachte er. 
„Exakt. Mein größter Traum ist es, Menschen zu bestrafen. Böse Menschen.“, gab ich zurück. 

Wie auf Stichwort fingen alle am Tisch an zu Lachen, als hätte ich gerade etwas besonders witziges gesagt. Auch ich setzte ein strahlendes Lächeln auf und sah aus den Augenwinkeln, dass Agron mich vergnügt musterte. Dreckskerl! Aber was er konnte, konnte ich schon lange. Ich sah in seine Richtung und erwiderte seinen Blick. Kurz darauf, brach er den Augenkontakt ab und ich dachte für eine Sekunde, ich hätte gewonnen. Doch ich täuschte mich. Sein Blick wanderte zu meinem Dekollte, blieben nur einen Augenblick darauf haften und dann sah er mich wieder an. Anschließend fuhr er sich mit der Zunge über die Lippen. Dieser kleiner Moment reichte aus, um mich auf der Fassung zu bringen. Er hat das Spiel gewonnen. Mal wieder. Purer Hass und Ekel packten mich. Dieser Mann war so widerlich! Mir war plötzlich übel und ich war mir sicher, dass ich heute mal ausnahmsweise nicht meinen Finger zum Kotzen brauchen würde. Mit einem Lächeln im Gesicht, so wie ich es gelernt hatte, leerte ich mühevoll meinen Teller und mied seinen Blick. 

Nach dem Essen tranken wir wie üblich Tee und spielten Karten. Papa unterhielt sich währenddessen angeregt mit Agron, seinem Lieblingsschwiegersohn. Dieser Anblick war so schwer zu ertragen, das glaubt ihr mir gar nicht. Eins musste man ihm lassen. Nicht nur ich konnte gut schauspielern, dieser Mann schaffte es alle um den Finger zu wickeln. 

Als es kurz nach Mitternacht war, waren sie endlich alle weg. Erleichtert stellte ich fest, dass er es heute nicht geschafft hatte, mich auch nur einmal anzufassen. Jede noch so kleine Berührung von ihm war eine Qual. Natürlich ließ ich mir nichts anmerken, wenn er mir mal einen brüderlichen kniff in die Wange gab. Vor den anderen, versteht sich. Oder, wenn er beim Karten spielen ein High Five von mir wollte. Oder aber, wenn er mir den Arm tätschelte. Diese kleinen, selbstverständlichen Berührungen, bei denen keiner Verdacht schöpfen konnte. Heftig, oder? Ich hatte gelernt, damit umzugehen. Ich hatte gelernt, meine Show abzuziehen, solange ich von anderen umgeben war. Aber jetzt stand ich in meinem Badezimmer, und betrachtete angewidert mein Spiegelbild. Mir war so elend zumute. Das Gefühl meiner Kotze, klebte noch immer an meinem Hals, ich spülte mir erneut meinen Mund aus und legte meine Zahnbürste zurück. Auch diesmal hatte ich meinen Finger gebraucht. Es war eklig und wahrscheinlich auch falsch, keine Frage. Diese Fressattacken, vor lauter Frust, auf denen dann meine Kotz Orgie folgte. Danach fühlte ich mich komischerweise besser. Fragt nicht wieso, ich wusste es selbst nicht. Fakt war einfach, dass es etwas sehr befreiendes an sich hatte. Ich hatte ohnehin nicht die beste Figur. Meine Oberschenkel waren meiner Meinung nach viel zu dick. Mein Bauch war alles andere als flach, und auch meine Arme hasste ich. Meine breiten Hüften und meine große Oberweite, nicht zu vergessen. Wenn ich mich dick nannte, schüttelten die anderen jedoch verständnislos den Kopf. Für meine 1,70 seien 70 Kilo normal. 

'Du hast einen Traumkörper, mit den perfekten Kurven!'

Ein Satz, den ich sehr oft hören musste. Und ja, vielleicht hatten sie Recht. Aber für mich war er kein Traum, und perfekt schon gar nicht. Mein Körper spiegelte all die dunklen Erinnerungen wieder. Jedes mal musste ich daran denken, wie seine Hände mich berührten. Wie er Dinge mit mir machte, die ich gar nicht wollte. Und deshalb hasste ich meinen Körper, aber noch mehr hasste ich mich selbst. Ich hasste mich, da ich nie den Mut fand, dem ganzen ein Ende zu setzten. Ich hätte mich gegen ihn wehren müssen. Aber jedes mal, wenn ich alleine mit ihm war, war ich wie betäubt. Vor Angst, vor Scham. Es war immer wie eine Trance, aus der ich erst im Nachhinein erwachte. War es nun zu spät? 

„Nein! Irgendwann .. irgendwann ..“, flüsterte ich meinem Spiegelbild entgegen. 

Ich hätte ja nicht ahnen können, dass es schon am Montag soweit sein würde. Müde griff ich zum Handtuch und trocknete mein nasses Gesicht ab. Anschließend legte ich mich in mein Bett und fiel in einen traumlosen Schlaf .. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt