Kapitel 9

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Kapitel 9 : 


Ich folgte ihrem Blick und hob überrascht meine Augenbrauen. 

„Heilige Mutter Gottes ..“, flüsterte Arjeta und starrte ihn wie in Trance an. 
„Hör auf wie eine Deutsche zu reden.“, grinste ich. 
„Okay, dann halt .. oh kuku bre, po i bukur koka! (Oh man, der ist ja hübsch!)“
„Der sieht echt Top aus, da muss ich dir Recht geben.“
„Den würde ich nicht von der Bettkante stoßen.“, schwärmte Arjeta. 

Ich musste ein Lachen unterdrücken und winkte Mergim zu, der sich gerade für die Verspätung entschuldigt hatte. Unauffällig zeigte ich auf den leeren Platz, links von mir und schon kam er auf uns zu. Sein entspannter Gesichtsausdruck, ließ mich wissen, dass wohl alles in Ordnung war. 

„Oh mein Gott! Er kommt hier her und er lächelt!“, flüsterte mir Arjeta ungläubig ins Ohr. 

Als Mergim uns erreicht hatte, stand ich kurz auf und umarmte ihn. 

„Alles okay? Wieso bist du nicht in Mannheim?“, fragte ich. 
„Ich erzähl es dir nachher, okay?“

Ich nickte einverstanden und setzte mich wieder. Arjeta saß mit leicht aufgeklappten Mund da und starrte mich entgeistert an. Ich konnte einfach nicht anders, als von einem Ohr zum anderen zu Grinsen. Die Situation war so amüsant! Den Rest der Vorlesung sagte sie kein Wort mehr und wich auch meinem Blick aus. Umso besser, so konnten wir wenigstens richtig zu hören und Notizen machen. Als der Dozent die Vorlesung dann beendete, leerte sich nach und nach der Hörsaal. 

„Was hockst du hier so rum? Lass uns was essen gehen, ich hab voll Hunger.“, nörgelte Mergim. 
„Ja, ja, wir gehen ja schon. Aber lass dich mir eine Freundin vorstellen. Gimi, das ist Arjeta. Arjet, das ist Mergim.“, sagte ich lächelnd. 

Die beiden reichten sich einander die Hand. Ich sah wie ihre Wangen sich röteten und musste mal wieder mein Lachen unterdrücken. Ich schickte Mergim vor und sagte, er solle uns die Plätze frei halten. Als er schließlich weg war, sprach Arjeta gleich darauf los. 

„Es tut mir leid, ich hatte keine Ahnung. Ich mein, ich hätte ja nicht ahnen können, dass er dein Freund ist. Also bitte denk nichts falsches von mir.“

Die Worte sprudelten ihr über die Lippen und für einen kurzen Augenblick war ich verwirrt. Sie dachte .. sie dachte also, dass er mein Freund ist! Mein fester Freund. Ich setzte eine undurchdringliche Miene auf und zuckte mit den Schultern. Die Arme litt gerade und ich wollte sie schnellstmöglich, von ihren Qualen erlösen. Aber ein bisschen Spaß musste sein .. 

„Hättest du ja nicht wissen können. Solange du dich nicht an ihn ran schmeißt, passt es.“, sagte ich. 
„Allahu na rujt! (Gott behüte uns!) Als ob ich sowas tun würde ..“

Bei ihrer aufgebrachten Miene konnte ich nichts anders, als los zu lachen. Sie setzte ein gequältes Lächeln auf und nun war sie diejenige, die verwirrt war. 

„Ich hab nichts mit Mergim. Er ist mein bester Freund, wie ein Bruder.“, erlöste ich sie schließlich. 
„Was?! Ist das dein ernst? Du bist scheisse!“
„Nur manchmal.“

Grinsend hakte ich mich bei ihr unter und zusammen verließen wir den Hörsaal.

Während dem kurzen Essen erzählte mir Mergim, dass es seinen Eltern schon viel besser ginge und sie darauf bestanden hätten, dass er die ersten Vorlesungen nicht verpasst. Er hatte eine Schwester und noch zwei andere Brüder, die sich um alles kümmern würden. Arjeta hörte schweigend zu und Mergim schien nichts dagegen zu haben. Meine Freunde, waren seine Freunde. Das hatte er mir oft genug gesagt. Nachdem wir uns die Bäuche voll geschlagen hatten, machten wir uns auf den Weg zu der zweiten Vorlesung des Tages. Danach hatte ich mir vorgenommen, gleich mal in der Bibliothek vorbei zu schauen, aber daraus sollte es nichts werden...

„Was willst du am ersten Tag in Bibliothek? Dafür wirst du noch genug Zeit haben.“ 

Arjeta wollte mich einfach nicht gehen lassen. Der Tag war ziemlich lang gewesen. Sowohl sie, als auch Mergim wirkten müde. Aber ich war so motiviert, vielleicht sogar ein bisschen über motiviert .. ich wollte mich direkt auf die Bücher stürzen und los lesen. Als Mergim, Arjeta schließlich recht gab, ließ ich letztendlich nach. 

„Ja, dann lerne ich halt zu Hause.“, sagte ich. 
„Ist sie immer so?“, fragte Arjeta an Mergim gewandt. 
„Eigentlich ja nicht.“, erklärte er. „Dafin, wie wäre es, wenn wir heute was trinken gehen? So zur Feier des Tages, da unser erster Tag so gut gelaufen ist?“

Mir war heute nicht nach ausgehen, aber die beiden sprachen solange auf mich ein, bis mir schließlich keine andere Wahl blieb, als nachzugeben. Wir hatten abgemacht, dass Mergim uns um 20 Uhr abholen kommt und wir uns anschließend einen gemütlichen Abend in der Shisha Bar Medina machten. Der Vorschlag mit der Bar kam von Arjeta. Grinsend gestand sie mir, dass sie sich schon nach schönen Plätzen umgeschaut habe. 

„Zum chillen, nach den anstrengenden Uni Tagen.“, meinte sie schmunzelnd. 
„Du weisst schon, was du mit dem Jura Studium auf dich genommen hast, oder? All zu viel Zeit zum chillen wirst du nicht haben.“, antwortete ich.

Sie tat das alles mit einer Handbewegung ab. Das erste Semester müsse man locker nehmen und so viel Feiern gehen wie nur möglich. Fürs Lernen würde in den nächsten Jahren sowieso genug Zeit bleiben. Ich dachte ich hör nicht richtig. Wie schaffte sie es nur, das alles auf die leichte Schulter zu nehmen? Ich fühlte mich so derbe unter Druck gesetzt, obwohl das Studium noch gar nicht richtig begonnen hatte. Vielleicht lag es ach einfach nur an meiner Lage? Teuta, die Lehrerin. Mimoza, die Journalistin. Dona, die Kinderärztin. Und ich? Das Nesthäkchen, mit dem sich meine Eltern Zeit gelassen hatten? Ich würde Richterin werden. 'Gjykatsja e babes. (Papas Richterin.)' So nannte mein Papa mich jetzt schon. Stellt euch das mal bitte vor! Es war nicht nur so, dass ich alles richtig machen wollte, nein! Ich musste alles richtig machen! Das wurde nun mal von mir erwartet... 

Nachdem ich mich fertig gemacht hatte, schlich ich mich aus der Wohnung und siehe da, weit und breit nichts vom Polizisten zu sehen. Geht doch, dachte ich mir. Ein Pärchen stand schon vor dem Aufzug, also gesellte ich mich zu ihnen. Lust auf small talk hatte ich nicht, deshalb tippte ich in meinem Handy herum. Als sich die Türen öffneten ließen wir erst mal die Frau heraus. Mir fielen sofort ihre aufgespritzten Lippen auf, aber es war nicht übertrieben und passte zu ihrem Gesicht. Die Schminke perfekt, die blonden Haare fielen ihr bis zu den Hüften. Sie war bildhübsch und ihr Körper war ein Traum. Schlagartig wurde ich eifersüchtig. Aber das wurde ich bei jedem, der so eine Figur hatte .. 

„Wohnt die hier?“, fragte ich das Pärchen, nachdem die Türen sich wieder geschlossen hatten. 
„Noch nie gesehen. Bestimmt besucht sie hier nur jemanden.“, antwortete das Mädchen. 

Ich machte bei Arjeta halt und musste noch ein paar Minuten warten, bis sie endlich fertig war. Unten angekommen stand Mergim schon mit seinem Wagen bereit. Ein schöner silberner Mercedes, die neueste E Klasse. 

„Wie kann der sich das leisten?“, flüsterte Arjeta mir zu. 
„Sein Vater ist Anwalt.“, erwiderte ich. 

Damit war auch schon alles erklärt. Sein Vater war sehr erfolgreich und Mergim würde in seine Fußstapfen treten. Sowas war bestimmt nicht leicht, aber er beteuerte mir, dass es seine Entscheidung war und ihn niemand unter Druck gesetzt hatte. Ich bewunderte ihn, denn Jura war nicht gerade der leichteste Studiengang... 

Der Abend verlief sehr angenehm und ich war froh, dass ich mitgekommen war. Ein wenig abschalten, bevor es ernst werden würde, tat gut. Mergim sah auch entspannt aus, immer wieder lächelte er mich an. Er trug ein enges Shirt, bei dem sich seine Muskeln abzeichneten. Seine Haare waren ordentlich gestylt, sein Geruch war himmlisch und schien den ganzen Raum einzunehmen. Immer wieder ertappte ich Arjeta dabei, wie sie ihn anstarrte. 

Kurz vor Mitternacht fuhr Mergim uns wieder zurück. Er bedankte sich für den Abend, reichte Arjeta höflich die Hand und drückte mich anschließend kurz an sich. 

„Gute Nacht Fina, bis dann.“, sagte er. 
„Fahr vorsichtig und schreib mir, wenn du in deiner Wohnung bist.“ 
„Sind doch nur 10 Minuten.“, grinste er. 
„Na und? Schreib mir, a more vesh? (hast du verstanden?)“, verlangte ich ernst.
„Zu Befehl.“

Er machte diesen Militärs Gruß und fuhr dann lachend los. Im Aufzug verabschiedete ich mich von Arjeta. Als ich endlich oben war und sich die Aufzugtüren erneut öffneten, traute ich meinen Augen nicht! Die Blondine von vorhin knutschte gerade wild mit dem Polizisten herum. Ich räusperte mich einmal, um ihre Aufmerksamkeit zu kriegen, denn sie schienen die Anwesenheit eines anderen gar nicht zu merken. 

„Für sowas gibt es auch geschlossene Räume.“, sagte ich ziemlich laut. 

Als die beiden sich endlich voneinander lösten, grinste die Frau mich an und entschuldigte sich. Kaan dagegen sah mich ein wenig schockiert an. Kopfschüttelnd ging ich in die Wohnung und knallte die Tür zu. Ich konnte gerade meine Gedanken nicht ordnen. Er hatte eine Freundin. Verdammt, was ging mich das an?! Es war komisch .. ein Gefühl machte sich in mir breit, aber ich wusste nicht, ob es Enttäuschung, oder Erleichterung war. Ich hoffte auf Letzteres.. 

Die nächsten Tage vergingen wie im Nu. Der Uni Alltag gefiel mir, in der Stadt kannte ich mich mittlerweile auch ein bisschen aus. Ich hatte zu Hause angerufen und ihnen gesagt, dass ich erst nächstes Wochenende vorbei kommen würde, da ich mich erst einleben musste. Sie waren ein wenig traurig, aber akzeptierten es, dass ich Zeit für mich brauchte. 


Am Samstag in der Früh, machte ich mir einen Kaffee und und setzte mich dann mit meinen Büchern in die Küche. Ich ging den Stoff, der letzten Vorlesung durch und las nebenbei Zeitung. Gut möglich, dass der Professor beim nächsten mal aktuelle Dinge ansprach und ich wollte da mitreden können. Ich stand auf und wollte meine Tasse nachfüllen, als es an der Tür läutete. Arjeta meinte, sie komme heute zum Lernen hoch, aber dass sie so früh kommen würde, hätte ich nicht gedacht. Doch als ich die Tür öffnete ohne durch den Spion zu gucken, stellte sich heraus, dass es gar nicht Arjeta war... 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt