Kapitel 3

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Kapitel 3 : 

Den nächsten Morgen verbrachte ich damit, meine letzten Klamotten zu packen. Zwei volle Koffer standen in der Ecke meines Zimmers. Den Rest hatte ich schon rüber gebracht. Irgendwie konnte ich es kaum glauben, dass ich bald schon auf mich allein gestellt war. Gegen Mittag klingelte mein Handy. Es war Elvana, eine meiner besten Freundinnen. 

„Dafin, vergiss nicht wir treffen uns um 20 Uhr.“, erinnerte sie mich. 

„Passt, ich werde da sein. Hat sich Mergim gemeldet? Ich erreiche ihn irgendwie nicht.“

„Ich auch nicht, aber der Penner wird schon kommen.“, lachte Elvana. 

„Der kann was erleben, wenn er nicht kommt.“ 

Ein wenig verzweifelt legte ich anschließend auf. Ich hatte gehofft, dass wenigstens sie was von Mergim gehört hatte. Seit Jahren war er mein bester Freund, mein Seelenverwandter. Nicht einmal Elvana konnte ihm was Wasser reichen. Als ich aufs Gymnasium gekommen war, kannte ich niemanden. Es war eine schlimme Zeit gewesen, die Schule zu wechseln, direkt nach dem Agron mich zum ersten mal .. so berührt hatte. Ich war sehr verwirrt, wusste nicht wieso das ganze passierte und vertraute keinem. Es hatte Wochen gedauert bis ich mich mit jemanden anfreunden konnte, und das war dann ausgerechnet ein Junge gewesen. Mergim, der dicke Gimi, wie ich ihn liebevoll nannte. Wir waren ein Herz und eine Seele, so wie Bruder und Schwester. Er wusste mehr von mir, als alle andere und mein Vertrauen in ihn war grenzenlos. Trotz allem reichte es nicht um ihm von Agron zu erzählen. Dazu war meine Angst und meine Scham zu groß. Das war mein dunkles Geheimnis, und ich befürchtete, dass ich dieses mit ins Grab nehmen würde. Das dachte ich zu dem Zeitpunkt zumindest. Es war irgendwie ungewöhnlich, dass Mergim sich nicht meldete. Das passte nicht zu ihm und deshalb fing ich an mir Sorgen zu machen. War ihm etwa irgendwas zugestoßen? Nein. Schlechte Nachrichten machten schnell die Runde, deshalb verdrängte ich den Gedanken und versuchte mich abzulenken.

Ich nahm meinen Laptop und loggte mich bei Facebook ein. Ein paar neue Benachrichtigungen aus der Abi Gruppe blinkten auf. Außerdem wurde ich von einer Freundin in eine Albanische Studentengruppe eingeladen. Da ich gerade nichts besseres zu tun hatte, schaute ich mir das ganze mal an. Mehrmals blinzelte ich verdutzt, als ich den gepinnten Beitrag sah. Das Bild eines hübschen Mädchens war dort zu sehen und die Kommentare waren ja mal abartig. Von 'Hure' bis 'Schande für die Albaner' war dort echt alles zu lesen. Und das alles, weil sie einen Deutschen geheiratet hatte. Ich verstand das ganze Theater nicht. Leben und Leben lassen. Aber mal wieder typisch Albaner, konnten sich nicht um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Ich schaltete die Benachrichtigungen für diese Gruppe aus und wandte mich meinen Neuigkeiten zu. Gelangweilt scrollte ich ein paar Minuten runter und loggte mich anschließend aus. Facebook wurde auch immer unnötiger. Über all gestörte Kinder, die mit verrückten und widerlichen Videos nach Aufmerksamkeit bettelten. Man merkte immer mehr, dass das Leben für viele mittlerweile nur noch online stattfand. Ich öffnete mein Tumblr und schrieb ein paar Zeilen. Es tat so gut. Das Schreiben war neben Mergim mein bester Freund. Ich konnte meinen Gefühlen freien Lauf lassen, mir den Frust und den Schmerz von der Seele schreiben, ohne das jemand fragen konnte: 'Wieso, Weshalb, Warum?' Anonymität war schon was tolles und ich genoss es zu schreiben, ohne mir Sorgen auf unangenehme Fragen machen zu müssen. 

Die Zeit verflog und schon war es kurz vor 20 Uhr. Ich stand fertig angezogen und geschminkt in meinem Zimmer und versuchte noch einmal Mergim anzurufen. Mailbox! Am liebsten würde ich mein Handy gegen die Wand schleudern, aber dafür war mir meine Pll Hülle zu schade. Dieser Samstag Abend würde langweilig werden, sollte er nicht kommen, das wusste ich jetzt schon. Gimi und Fina, die Spaßvögel die für Unterhaltung sorgten. Lustlos griff ich nach meiner Handtasche und ging ins Wohnzimmer, wo Mama, Papa und Oma Fern sahen. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt