Kapitel 50

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Kapitel 50 : 

Was zum Teufel hatte das ganze zu bedeuten? War das seine Frauensammlung? Die Weiber, die er erobert und flachgelegt hatte? Er sammelte sie wie Trophäen. Zitternd breitete ich die Blätter im Bett aus. Über 20. Über 20 verschiedene Frauen. Blondinen, Brünetten. Blauäugige, Grünäugige. Eine Türkin. Eine Russin. Eine Rumänin. Von jedem was dabei. Verschiedene Haarfarbe, verschiedene Augenfarbe, verschieden Nationalitäten. Und doch hatten sie alle was gemeinsam. Sie waren hübsch und jung. Keine von ihnen war älter, als fünfundzwanzig. Und dann sah ich sie und wusste, dass ich Recht hatte. Kaans Ex. Die Blondine, der ich begegnet war. Fassungslos sammelte ich die Blätter wieder ein und verstaute sie in der Mappe. Großer Gott. Mein ganzer Körper zitterte. Ich ließ mich am Bettrand nieder und rang nach Luft. Es war offensichtlich. Diese Frauen waren allesamt Kaan Ex Freundinnen. Wenn ich in dieser Mappe gelandet war, dann hieß es, dass ich nicht besser war als die anderen. Dass ich nichts besonderes war. Dass ich nicht die Frau seines Lebens war, sondern einfach nur ein Teil seiner Sammlung. Einer Sammlung, die größer werden würde, und das bedeutete, dass ich früher oder später, ersetzt werde, wenn er sein Ziel erreicht hatte. Er hatte doch ein Ziel? Nur wusste ich nicht genau, welches er verfolgte. Er hatte noch nicht mit mir geschlafen, er bestand nicht einmal darauf, was irgendwie unlogisch war. Ich musste dieser Sache auf den Grund gehen. Ihn zur Rede stellen und ihn mit meinem Verdacht konfrontieren. Dass hinter dieser Mappe ein viel größeres, düstereres Geheimnis steckte, hätte ich im Traum nicht gedacht. 

Ich hatte eine unruhige Nacht. Mehrmals fuhr ich aus meinem Schlaf hoch, da mich üble Träume heimsuchten. Einmal musste ich sogar aufstehen und mein Top wechseln, da es schweißgebadet war. Das hatte ich schon lange nicht mehr gehabt. Das komische an der Sache war, dass ich mich nicht erinnern konnte, um was es in meinen Träumen ging. Vielleicht war es auch besser so. Die Mappe hatte ich übrigens wieder zurück gelegt. Ich brauchte Zeit um das zu verdauen. Vor allem aber hatte ich Angst, Kaan darauf anzusprechen und zu realisieren, dass alles nur ein Spiel war. Noch bevor er von der Arbeit kam, machte ich mich auf den Weg zur Uni. Unterwegs machte ich noch einen Stopp bei Arjeta. Leise klopfte ich an ihrer Tür. Nichts tat sich. Entweder schlief sie tief und fest, oder aber sie war noch immer auf der Arbeit. Mit ihr hatte ich noch ein Wörtchen zu reden, aber das musste leider warten.... 

Stundenlang, wirklich Stundenlang saß ich in der Bibliothek. Eigentlich müsste ich mich für die letzten Klausuren des Semesters vorbereiten, aber irgendwie erschien mir alles was in diesen dicken Büchern stand, unlogisch. Und trotzdem saß ich mir den Hintern wund, nippte immer mal wieder an meinem Wasser und biss in mein Sandwich. Kaan hatte mich unterdessen angerufen und nach mir gefragt. Ich sagte ihm, dass ich ein bisschen Lernen wollte, und es spät werden würde. Keine Einwände von ihm. Wahrscheinlich hatte er so den gewünschten Freiraum, um noch den ein oder anderen Joint zu rauchen. Beim Gedanken daran packte mich die Wut. War all das Gerede, von der großen Liebe, wirklich nur Fassade gewesen? Lügen, nichts als Lügen? 

12 Stunden Bibliothek Marathon. Das hatte ich bislang noch nicht geschafft. Als ich endlich von diesem unbequemen Stuhl aufstand, streckte ich mich erst einmal, hörte zu wie dabei meine Knochen knackten und fühlte mich schlagartig, wie ein 70 Jähriger Opa, der unter Dauergelenkschmerzen litt. Oder wie eine dieser Omas, die bei jeder noch so kleinen Bewegung das Gesicht verziehen und dabei ein 'a' oder ein 'o' aus ihren Mund kommt. Dieser Vergleich, brachte mich zum Lachen. Krass. Jetzt lachte ich schon mit mir selbst, obwohl ich eigentlich nichts zum Lachen hatte. Klapsenreif, ich sag's euch.

„Hey Dafina.“ 

Ich sah zur Seite und sah zwei Mädels, die neben meinem Tisch halt gemacht hatten. 

„Hast du Lust mitzukommen? Shisha Bar Neueröffnung, in der Innenstadt.“

Ich sah zur Uhr und dann wieder zu ihnen. Die beiden waren zwar zwei Semester vor mir, aber ich kannte sie ganz gut, und da ich sowieso auf andere Gedanken kommen wollte, kam das Angebot gerade Recht. Ich glaube, ich versuchte so, die Begegnung mit Kaan noch weiter zu Verzögern... 

Und doch war es zwecklos. So sehr ich mich den heutigen Tag auch versteckt hatte, am Ende stand ich doch vor der Wohnungstür. Mittlerweile war es kurz vor Mitternacht. Ich hatte Kaan eine Nachricht geschrieben und ihm erneut gesagt, dass es spät werden würde. Die Zeit in der Shisha Bar flog förmlich dahin und auch wenn alles ganz cool gewesen war, schaffte ich es nicht, meine Gedanken abzuschalten. Vielleicht hatte ich ja Glück und Kaan schlief schon. Obwohl .. wäre es nicht eher Pech, wenn er wirklich schon schlief? Schließlich wollte ich ihn zur Rede stellen. Wie auch immer. Ich steckte den Schlüssel in den Schloss, pumpte meine Lunge mit Sauerstoff und machte die Tür auf. Der Lärm des Fernsehers drang in meine Ohren und ich wusste, dass Kaan noch wach war. Okay, alles easy. Er würde mir bestimmt eine plausible Erklärung für diese Mappe abliefern und alles wäre wieder gut. Und ich wäre glücklich. Wunschlos glücklich. Ich hörte schon die Stimmen in meinem Kopf, die mich auslachten. 

'Ha Ha, das hättest du wohl gerne.', verhöhnten sie mich. 

Ganz kurz hielt ich mir die Ohren zu und schüttelte dabei meinen Kopf. Weg waren sie. Während ich durch den Flur Richtung Wohnzimmer lief, formten sich meine Lippen zu einem stummen Gebet. Kaan lag auf der Couch und schaute Southpark. 

„Endlich. Wo warst du solange?“ 

Er setzte sich auf und rieb sich den Nacken. 

„Hab ich dir doch schon geschrieben.“, antwortete ich und warf meine Tasche auf den Sessel. „Wenn du es vergessen hast, kannst du ja wieder in dein Handy schauen.“

Woho, sehr provokante Antwort. Ich glaub er merkte, dass ich auf Stress aus war, den sein Gesichtsausdruck änderte sich. Er stand auf und trat mir gegenüber. 

„Ist was passiert?“, wollte er wissen. 
„Ja.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust, Kaan sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und ich versuchte unterdessen meine Beherrschung nicht zu verlieren. 

„Hast du auch vor mir zu erzählen was passiert ist, oder muss ich raten?“, fragte Kaan. 

Wortlos stampfte ich aus dem Raum. Kaan folgte mir ins Schlafzimmer. Ohne mich umzudrehen öffnete ich die Schranktür, kniete mich zu Boden und suchte nach der Mappe. Weg. Das konnte nicht sein. Das war unmöglich! Ich hatte sie doch wieder zurück gelegt?! Mühevoll stand ich auf, schwankte dabei zur Seite und hielt mich an der Schranktür fest. Kaan stand da. Ein ratloser und überraschter Blick lag auf seinem Gesicht. Verdammt, wie gut er schauspielern konnte! 

„Wo ist sie?“, fragte ich mit klopfendem Herzen. 
„Was?“

Er wirkte irritiert und das verunsicherte mich noch mehr. Ich wurde wütend. Sehr wütend. 

„Wo ist sie?!“, schrie ich nun.
„Was meinst du?!“, brüllte er zurück. 
„Die Mappe! Wo ist die scheiß Mappe?“
„Wovon redest du?“
„Macht es dir Spaß mich zu verarschen? Ich hab vorhin deine Mappe gefunden, in denen du deine Eroberungen einsammelst. Wie fühlt sich das an Frauen flachzulegen und sie weiter zu schicken?!“
„Hast du heute deine Zigarette mit meinem Joint vertauscht, oder was zu Teufel redest du da?“
„Willst du mir sagen, dass ich mir das eingebildet hab? Du scheiß Arschloch, wie ..“

Klatsch! Ehe ich mich versah, holte Kaan aus und schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Der Schlag kam so unerwartet und stark, dass ich das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Er hatte mich geschlagen. Er hatte mich .. allen ernstes geschlagen! 

„Du bist nicht bei klarem Verstand!“, brüllte er an mir herab. „Du hast Halluzinationen! Kommt die mir ernsthaft mit flachlegen an. Hab ich dich denn schon flachgelegt?!“ 

Seine laute Stimme jagte mir eine Gänsehaut ein. Ein paar Sekunden herrschte Stille, dann hielt er mir plötzlich die Hand hin. Ich schlug diese weg, rappelte mich auf und spuckte ihm vor die Füße. Auf zittrigen Beinen schwankte ich aus dem Schlafzimmer. 

„Wohin willst Dafina?“, rief Kaan mir hinterher. 

Ich ignorierte ihn, stieg in meine Pumps und verließ wortlos die Wohnung. Meine Wange pulsierte, es tat wo weh. Nicht nur der Schlag, nein. Auch die Tatsache, dass er mir vorwarf, ich hätte den Verstand verloren. Was wahrscheinlich der Realität entsprach. Gottes Willen! War es wirklich möglich, dass ich mir das eingebildet hatte? War es vielleicht ein Teil meines Traumes gewesen, dass sich einfach nur erschreckend real angefühlt hatte? Ich hatte keinen Kopf um weiter darüber nachzudenken. Arjeta war wohl arbeiten, denn sie ging nicht an die Tür. Wohin sollte ich nun? Nach Hause oder zu meinen Schwestern, konnte ich sowieso nicht. Da blieb nur eine Option.

Wenig später stand ich vor Mergims Tür und betätigte die Klingel. Es war schon spät, dementsprechend dauerte es eine Weile, bis er endlich öffnete. Seine Verblüffung war nicht zu übersehen, wortlos trat ich an ihn vorbei in Wohnung. 

„Kann ich heute hier bleiben?“, fragte ich bebender Stimme. 
„Hat er dir was getan?“
„Nein.“

Instinktiv sah ich an ihn vorbei.

„Er hat dich geschlagen, oder?“
„Nein.“, sagte ich erneut, klang dabei jedoch nicht gerade überzeugend. 

Mergim kam plötzlich auf mich zu, fasste mir ans Kinn und hob mein Gesicht an. Und dann fing er an zu fluchen. Er nannte Kaan einen Ehrenlosen Bastard und einen scheiß Frauenschläger. 

„Wenn ich diesen miesen Hund in die Finger kriege, dann ..“ 

Er biss die Zähne zusammen und schlug gegen die Wand. Ich begann zu weinen. Total unerwartet, denn bis gerade, hatte ich keine einzige Träne vergossen. Mergim hörte auf zu fluchen, stattdessen nahm er mich in den Arm und drückte mich fest an sich. 

„Du brauchst keine Angst zu haben. Bei mir bist du in Sicherheit.“, sprach er auf mich ein. „Er wird seine gerechte Strafe bekommen, dafür werde ich sorgen.“

Ich klammerte mich an seine Schultern, während er mir behutsam über den Rücken strich. Keine Minute standen wir so da, als es wie aus heiterem Himmel klingelte und ich mich schlagartig aus Mergim Umarmung losmachte. Unsere Blicke trafen sich. Wir wussten beide, wer vor der Tür stand... 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt