Kapitel 18 :
„Rein kommen? Nein.“, antwortete ich.
„Wieso denn?“
„Weil .. ich mein, ich kenne dich gar nicht und ..“
„Schon verstanden.“, grinste Kaan. „Du bist nicht so eine, richtig?“
„Das gestern war .. was anderes halt. Wenn ich bei klarem Verstand wäre ..“
„Okay, okay. Warte kurz.“, unterbrach er mich.
Er verschwand in der Wohnung und ließ die Tür dabei weit offen stehen. Ich war ein wenig verwirrt und spielte mit dem Gedanken einfach wieder zu gehen, rührte mich jedoch nicht vom Fleck. Ich spähte in den Flur, aber erkannte nichts, bis Kaan wieder aus der Küche kam. Mit zwei Stühlen in den Händen. Ich verstand nicht wirklich, was das werden sollte. Er lächelte breit und stellte dann einen Stuhl vor meine Wohnungstür und einen vor seiner. Die ganze Zeit über, summte er gut gelaunt vor sich hin.
„So.“, meinte er. „Du willst nicht reinkommen, deshalb quatschen wir hier. Weil irgendwie bezweifle ich, dass du mich zu dir einlädst.“
Lächelnd setzte er sich auf den Stuhl und zeigt mit der Hand auf den anderen. Ich fand das alles ein bisschen komisch und kam mir verarscht vor, aber er schien es wirklich ernst zu meinen. Sein erwartungsvoller Blick, ließ mich letztendlich Platz nehmen und sogar meine Mundwinkel zogen sich in die Höhe. Alles ganz unbewusst.
„Der Kaffee ist auch gleich fertig.“, grinste er.
„Du bist irgendwie unberechenbar.“
„Ich improvisiere Frau Asllani.“
„Das können sie ziemlich gut Herr Arslan.“
„Nicht nur das.“
Seine Worte klangen absolut nicht arrogant. Vielmehr merkte man, dass er ein gesundes Selbstbewusstsein besaß. Und das gefiel mir ..
Wir redeten und redeten, bis in die Nacht hinein. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren und war wie gebannt in einem Gespräch mit ihm verwickelt. Wir sprachen über alles mögliche und trotzdem gingen uns die Themen nicht aus. Ich fand raus, dass er 25 war, früher in Berlin gelebt hat und ursprünglich aus Istanbul kam. Seine Eltern und seine drei jüngeren Brüder, lebten noch immer in Berlin. Wir lachten über unseren ähnlich klingenden Nachnamen, tranken Kaffee und Tee, und rissen den ein oder anderen Witz. An Humor schien es ihm definitiv nicht zu mangeln. Intelligent war er übrigens auch. Nach seinem Abi wollten seine Eltern, dass er studiert, aber er hatte sich für eine Laufbahn bei der Polizei entschieden.
„Ich bin ein Sturkopf, ich lasse andere nicht für mich entscheiden. Ist schließlich mein Leben. Ich muss glücklich werden mit meinem Beruf, nicht meine Eltern.“, sagte er entschlossen.
„Ja da hast du Recht .. ich glaube es hätte nichts gebracht, wenn du deinen Eltern zu liebe studiert hättest. Wenn man was macht, dann für sich und für niemand anderen.“, antwortete ich.
„Wie sieht es mit dir aus? Jura .. Vernunftentscheidung?“
„Nein, ich will schon lange Richterin werden. Das ist mein Ziel ..“
„Das du erreichen wirst.“, lächelte er.
„Inshallah. (So Gott will.)“, lächelte ich zurück und trank dann den letzten Schluck meines Tees.
Ich warf einen kurzen Blick auf mein Handy. Es war schon weit nach Mitternacht und ich fand, dass es besser war jetzt schlafen zu gehen. Als ich aufstand und ihm das leere Teegläschen reichte, setzte er einen Schmollmund auf.
„Morgen wieder?“, fragte er total niedlich.
„Was sagt dann deine Freundin dazu, wenn du jeden Abend mit der Nachbarin quatscht?“
„Ich habe keine Freundin ..“, antwortete er und wich meinem Blick aus.
„Aber .. die Blondine?“, fragte ich verwirrt.
„Die Schlampe hat mich betrogen. Auf ihrer Couch, mit ihrem Ex.“, meinte er tonlos. „Schon dumm das Weib, wie konnte die vergessen, dass ich den Schlüssel zu ihrer Wohnung hatte?“
„Oh man .. das tut mir leid .. ich ..“
Ich war gerade total schockiert und wusste nicht, was ich sagen sollte. Das wäre mir niemals in den Sinn gekommen ..
„Wie auch immer, will nicht über die reden. Sie ist es nicht wert.“, sagte er und schüttelte kurz mit dem Kopf, als würde er sie damit aus seinen Gedanken fegen.
„Also, Morgen wieder?“, fragte er erneut.
„Mal schauen ..“, antwortete ich zurückhaltend.
Keine Frage, die letzten Stunden hatten mir sehr gefallen. Auf irgendeine Weise, tat es so gut mit ihm zu reden. Jedoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass es falsch war. Daran änderte auch nichts die Tatsache, dass er keine Freundin mehr hatte. Obwohl ich eigentlich nichts tat .. zumindest noch nicht.
„Meine Tasse will ich immer noch.“, grinste er, als ich gerade meine Tür öffnete.
„Eine Schachtel Marlboro. Immer noch.“, grinste ich ebenfalls und ging dann hinein ..
Lernen, Lernen, Lernen. So vergingen die nächsten Wochen. Aber da war noch was. Etwas, das mir so gut tat, obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte. Kaan. Wir hatten es uns zur Gewohnheit gemacht, vor unseren Türen zu sitzen und zu reden. Stundenlang! Die Leute, die auf unserer Etage wohnten, warfen uns manchmal komische Blicke zu. Wahrscheinlich hielten die uns für verrückt. Verübeln konnte man es ihnen nicht, schließlich sollte man bei der Kälte in den warmen, beheizten Wohnzimmer sitzen. Wir jedoch saßen im Gang, in dicken Jacken eingewickelt und tranken Tee. Manchmal teilten wir uns eine Schokolade oder eine Tüte Chips. Kaan liebte es zu naschen, genauso wie ich. Dass ich das meiste davon später wieder auskotzen würde, konnte er nicht wissen. Aber es war die bessere Alternative. Ich konnte auch am Druck zusammenbrechen und mich dann wieder ritzen. Stattdessen aß ich fiel und kotze das dann wieder raus. Falsch war natürlich beides .. aber das viele Lernen forderte seinen Tribut. Ich saß manchmal von Morgens bis Abends an meinen Lehrbüchern. Das doofe war, dass die guten Bücher einfach viel zu teuer waren und ich deshalb mit der Bibliothek vorlieb nehmen musste. Außerdem besuchte ich viele Vorlesungen und arbeitete dort auch aktiv mit. Zu Hause versuchte ich dann Beispielfälle zu lösen und arbeitete den Stoff aus den Vorlesungen nach. Irgendwie drehte sich bei mir im Moment alles ums Lernen. Die Angst vor dem nicht bestehen der Klausuren war einfach zu groß. Ich bekam Panik, wenn ich daran dachte, dass ich versagen würde...
Ich lag auf meiner Couch und massierte mir die Schläfen. Mein Kopf pochte und meine Augen brannten vom vielen Lesen. Ich gönnte ihnen eine kleine Erholungspause und summte vor mich hin, um auf andere Gedanken zu kommen. Meine Laune hatte einen Tiefpunkt erreicht. Dafür waren übrigens nicht nur die ganzen Gesetzte Schuld, die durch meinen Kopf schwammen, nein. Vielmehr war ich enttäuscht, dass heute von Kaan nichts kam. Er meinte, dass er um 22 Uhr bei mir klingelt. Wie immer halt. Aber heute kam nichts. Mittlerweile war es kurz nach 23 Uhr und am liebsten würde ich mich einfach schlafen legen .. aber irgendwas hinderte mich daran. Mein Handy vibrierte. Arjeta und Mergim hatten mir geschrieben, außerdem war da eine Nachricht von Teuta, aber ich hatte jetzt keine Lust. Auf keinen von ihnen! Ich setzte mich auf, nippte an meinem Glas Wasser und klappte dann meinen Laptop auf. Nach kurzen gelangweilten scrollen auf Facebook, loggte ich mich aus und bloggte ein paar neue Sprüche auf Tumblr. Mittlerweile hatte ich über 10.000 Follower, was schon ziemlich viel war. Eigentlich war das Nebensache für mich, denn ich schrieb in aller erster Linie für mich. Jedoch war das schön anzusehen, dass so viele mir folgten und sich für meine Texte interessierten. Als ich fertig war, sah ich mir meine Nachrichten auf dem Handy doch kurz durch. Teuta hatte mich wieder daran erinnert, dass wir Freitag Abend losfahren. Die paar Tage Kosovo über den Jahreswechsel kamen gerade richtig! Endlich ein bisschen chillen, mit Familie und Verwandten. Jedoch hielt meine Freude sich in Grenzen, denn Agron und Teuta würden bei uns schlafen, da sie kein eigenes Haus im Kosovo hatten...
Kurz vor Mitternacht wollte ich schließlich ins Bett. Wahrscheinlich würde ich sowieso noch Stunden wach liegen, aber ich hatte genug vom Lernen. Ich putzte mir gerade die Zähne, als es plötzlich an der Tür klopfte. Da ich dachte ich hätte mir das nur eingebildet, hielt ich kurz inne und spitzte die Ohren. Aber dann klopfte es wieder und schnell spülte ich mir den Mund aus. Leise schlich ich vor die Tür und sah durch den Spion .. Kaan. Genauso wie ich es erwartet hatte. Ich zögerte keine Sekunde, sondern öffnete sofort. Meine Wut und Enttäuschung von vorhin verflog, als er so lächelnd vor mir stand.
„Tut mir leid, mir ist was dazwischen gekommen.“, meinte er und hob dabei seine Hand.
Mein Herzschlag setzte für einen Moment aus, als ich eine große Wunde in seiner Handinnenfläche sah. Das Blut war mittlerweile getrocknet, aber es sah so schlimm aus!
„Was ist denn passiert!?“, fragte ich entsetzt.
„Ach, kleine Rauferei, mit ein paar Betrunkenen.“, antwortete er unbeeindruckt.
„Klein?! Das sieht nicht gerade klein aus! Warst du im Krankenhaus?“
Er schüttelte nur mit dem Kopf , als wäre dieser lange Schnitt eine Kleinigkeit.
„Das muss gesäubert und verbunden werden!“, sagte ich. „Komm rein.“
Ich trat zur Seite und machte Platz, aber er stand mit leicht aufgeklappten Mund im Gang herum und starrte mich entgeistert an, als hätte ich gerade etwas total unlogischen gesagt. Seine Reaktion brachte mich zum Grinsen.
„Du hast schon richtig gehört. Komm rein.“, sagte ich erneut und ging schon vor raus.
Ich ging direkt ins Bad und holte die Notwendigen Sachen. Kaan hatte sich unterdessen ins Wohnzimmer gesetzt und sah sich um. Sein Gesichtsausdruck sagte mir, dass er beeindruckt war.
„Sieht toll aus hier. Passt perfekt zu dir.“, meinte er.
Ich bedankte mich lächelnd und setzte mich dann neben ihn. Er hielt mir seine verwundete Hand hin, die ich vorsichtig in meine nahm. Langsam tupfte ich die Wunde sauber. Ich war so konzentriert bei der Sache, dass ich gar merkte wie Kaans Gesicht immer näher kam. Nachdem ich fertig war, hob ich meinen Kopf und sofort erschienen seine wunderschönen Augen in mein Blickfeld. Ein paar Sekunden lang, sahen wir uns schweigend an. Ein intensiver und schöner Augenblick, bis auf einmal seine gesunde Hand auf mein Gesicht zusteuerte ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...