Kapitel 63 :
Nach wie vor standen wir da, Zentimeter voneinander entfernt und irgendwie schaffte es meine Lunge wieder zu arbeiten. Trotz allem fühlte sich das Luft nehmen so schmerzhaft an, nach jeden Atemzug verspürte ich einen kleinen Stich im Brustbereich. Mergim zögerte. Es sah so aus, als ob er gerade einen kleinen Kampf mit sich führte. Und ich? Ich tat nichts, außer zu warten. Worauf eigentlich? Worauf wartete ich? Na ja, es schien offensichtlich, aber ich wollte es mir nicht eingestehen, weil es doch falsch war so zu denken. Das war es doch? Ich mein, nach alldem was passiert war, hatte ich kein Recht darauf .. kein Recht auf .. Liebe? Auf wahre Liebe. Mergim hob mit seinem Zeigefinger mein Kinn an und sah mich an. Ich verspürte ein Ziehen im Bauch, ein Kribbeln, als ich zu ihm hoch sah und seinen Blick erwiderte. Die braunen Augen leuchtete und schienen mich um Erlaubnis zu bitten und mein nichts tun, mein nichts sagen, war wohl Antwort genug, denn er kam näher und dann küsste er mich. Bei mir brannten alle Sicherungen durch, in mir drinnen herrschte eine große Aufregung. Wie ein Ofen, den man einschaltete, stieg meine Temperatur. Es war ein Gefühl zwischen Verlangen und Angst, wobei das erste dann doch überwog. Seine Lippen waren sanft, liebevoll und auf irgendeine Art und Weise auch zurückhaltend. Und dann war es auch schon wieder vorbei.
„Es .. es tut mir leid.“, stotterte Mergim und machte ein paar Schritte zurück.
Seine Augen waren nun weit aufgerissen, er schien schockiert über sein Tun.
„Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“, versuchter er zu erklären. „Ich hätte das nicht machen dürfen, aber ..“
Er hielt inne und suchte nach den richtigen Worten.
„Aber?“, hakte ich mit bebender Stimme nach.
„Ich musste es tun. Nach dem was ich dir erzählt habe, willst du eh nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich hab dich verloren, ohne dich je gehabt zu haben. Und dieser Kuss ..“
„Soll eine Art Abschied sein? Du verabschiedest dich von mir, mit einem Kuss?“Er zuckte mit den Schultern, sah kurz zu Boden und ging dann an mir vorbei zur Tür.
„Danke, dass du mir glaubst.“, sagte er leise und ging dann.
Einfach so. Weg. Die Tür fiel ins Schloss, meine Finger legten sich instinktiv auf meine Lippen, die noch immer brannten und kribbelten, genauso wie mein Körper. Ich stand unter Strom. Dieses Gefühl war anders als bei Kaan .. es war intensiver, realer. Realer als alles andere. Mergim wusste nicht wie man das nannte, aber ich wusste es. Das war Liebe. Liebe, die vom Herzen kommt. Arjeta hatte Recht gehabt. Ich wollte es einfach nie sehen, hab die Gefühle ganz weit weg geschoben, einfach aus Angst diese Freundschaft kaputt zu machen. Mergim war der einzige Mann, neben Papa, dem ich absolut vertraute. Blind vertraute. Er war der einzige, den ich hatte und nun wurde mir bewusst, dass er auch der einzige war, den ich brauchte und den ich wollte. Aber es war doch zu spät. Gab es denn überhaupt eine Zukunft für uns beiden? Eine möglichst schmerzfreie, glücklich Zukunft? Es war doch zu viel passiert, oder? Zu schlimmes, schreckliches, grauenhaftes. Während die Sekunden mit meinen endloses Gedanken verstrichen, war Mergim gerade dabei zu gehen. Ich wollte ihn aber nicht gehen lassen! Deshalb riss ich die Wohnungstür auf und sprintete die 2 Etagen nach unten.
„Gimi!“, schrie ich in die Abenddämmerung hinaus.
Mergim überquerte gerade die Straße, wirbelte nach meinem Schrei jedoch herum und blieb wie angewurzelt auf der Fahrbahn stehen. Ich rannte zu ihm und hatte ihn fast erreicht, als plötzlich ein Auto angerast kam. Diese milisekunde Todesangst, die gerade durch meinen Körper schoss, war Gott sei Dank gleich wieder vorbei. Der Wagen zischte an uns vorbei, nicht ohne vorher kräftig zu hupen. Ich warf mich in Mergim Arme, ließ mich von der Straße ziehen und rang nach Atem.
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...