Kapitel 66 :
Mein Gesicht war trocken. Ich weinte nicht. Vielleicht stand ich unter zu großen Schock.
„Erzähl.“, verlangte ich schließlich.
„Es war im September letzten Jahres. Ich bekam einen Anruf und sollte .. mal wieder ein Mädchen besorgen.“
Angewidert verzog ich das Gesicht.
„Ja, ich weiß. Aber ich mach das nicht zum Spaß! Ich brauch das Geld, weil ..“
„Red weiter!“, fiel ich ihm ins Wort.
„Tut mir leid.“, entschuldigte er sich. „Diesmal sollte der Auftrag ein wenig anders sein als sonst. Ich hatte eigentlich kein Bock darauf, aber als er mir die Summe nannte .. da wurde ich schwach.“
„Anders als sonst?“, fragte ich. #
„Ja .. also, ich sollte nicht wie üblich mit dir schlafen und dich dann überreden, damit du .. also, du weißt schon ..“
„Ja, ich weiß.“
Kaan presste kurz die Lippen aufeinander und fuhr dann fort.
„Ich sollte dafür sorgen, dass du Stress mit deinen Eltern bekommst. Du solltest weinen, du solltest leiden ..“
„Ziel erreicht, nehme ich an.“, stellte ich voller Bitterkeit fest.
„Das wichtigste war, dass ich dich unter keinen Umständen anfassen durfte. Selbst wenn du es gewollt hättest. Das war nicht immer einfach, du bist schließlich hübsch und ich ..“
„Lass es!“, zischte ich.
„Sorry.“
Er ließ sich wieder gegen die cremefarbende Couch sinken und befeuchtete mit der Zunge seinen Lippen. Die Enthüllung schien ihm Kraft zu kosten.
„Wie konnte er so sicher sein, dass ich mich auf dich einlasse?“, wollte ich wissen.
„Das war er nicht. Ich hatte vier Monate Zeit. Wenn es nicht geklappt hätte, dann wäre der nächste gekommen und immer so weiter.“
Fassungslos schüttelte ich den Kopf.
„Purer Zufall, dass du dich in mich verliebt hast. Oder Können. Oer Schicksal.“
„Das ist krank.“, sagte ich leise.
„Mag sein ..“
„Gehört ihm .. dieses Bordell, oder was auch immer es ist?“
„Ich glaube er ist Teilinhaber .. ich weiß es nicht genau. Genauso wenig weiß ich, wozu der Ganze Aufwand nötig war. Wieso er sich so viel Mühe gegeben hat, dein Leben zu zerstören.“
Ich erinnerte mich an Agrons Worte, als er mir einmal sagte, dass ich meinen Widerstand bereuen würde, dass ich ihn niemals loswerden würde. Er hatte damals wohl schon alles geplant. Er konnte nie weiter gehen mit seinen Fummeleien, das hätte er nicht gewagt. Also musste er zu anderen Mitteln greifen, um mir das zu nehmen, was mir geblieben war. Er wollte mich leiden sehen, am Ende meiner Kräfte, am Boden. Ein zerstörtes Leben wollte er mir geben und das hatte er geschafft. Er war die leitende Figur, obwohl ich dachte, er hätte sich ein für alle mal zurück gezogen. Ich weiß nicht wieso, aber ich habe bis vor ein paar Minuten nicht einmal an ihn gedacht, geschweige denn ihn verdächtig. Vielleicht war ich zu blauäugig. Vielleicht sollte ich aufhören zu denken, dass sich Menschen ändern konnten und dass in jedem etwas gutes steckt. Es gibt böse Menschen, das ist Fakt und so langsam sollte ich das akzeptieren. Es gibt Menschen, die kein Gewissen haben, keine Skrupel kennen. Ihre Seelen sind schwarz, so schwarz, sie werden nie mehr Licht sehen. Sie sind verdorben und verloren und wollen andere mit ins Verderben stürzen. Der Panikanfall von gerade, ebbte langsam ab. Das Geständnis hatte mir ein Loch in die Seele gebohrt, das sich nun mit Hass füllte. Hass, unbändiger Hass. Hass, den man nicht in Worte fassen konnte. Wo ich vor ein paar Wochen noch daran dachte, mir die Pulsadern aufzuschneiden oder eine Handvoll Schlaftabletten zu schlucken, um in den Tod zu schlummern, wollte ich nun nur eines. Rache! Ich wollte ihm am Abgrund stehen sehen, ihn dann gnadenlos schubsen und ihm dann hinterher rufen, er möge in der Hölle schmoren. Ich schwor mir gerade hoch und heilig, meine Gedanken in die Tat um zusetzten. Kann fuhr sich einmal durch die Haare und sprach dann weiter.
„Er hat mich immer wieder angerufen, wollte jedes mal auf dem neuesten Stand sein. Er hat mir Anweisungen gegeben und ich hab sie ausgeführt. Ich musste es tun, verstehst du?“
„Man muss nur sterben. Nur sterben muss man.“, erwiderte ich.
„Dafina ..“
„Nimm meinen Namen nicht in deinen dreckigen Mund.“
Ich wollte böse klingen, wütend, hasserfüllt, aber meine Stimme machte mir einen Strich durch die Rechnung. Sie war ein Verräter und klang so leise, so schwach, so verletzlich. Wie ein verwundetes Tier, das am Boden liegt und vor Schmerzen wimmert.
„Meine Mutter ist seit Jahren, durch einen Autounfall, querschnittgelähmt. Mein Vater ist damals vor Ort gestorben.“
Womöglich wäre es jetzt menschlich gewesen, ihm meinen Beileid auszusprechen, ihm zu sagen, dass es mir leid tut. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte einfach nicht!
„Ihre Pflege kostet, sie kostet viel. Sie ist meine Mutter, verstehst du? Ich kann sie nicht links liegen lassen oder sie ins Altersheim schicken. Ich kann sie nicht im Stich lassen.“
„Du zerstörst das Leben junger, unschuldiger Frauen, sowas kann man nicht rechtfertigen!“
„Ja, vielleicht hast du Recht. Ich ..“
„Warte mal.“, unterbrach ich ihn.
Mir schoss ein Gedanke durch den Kopf, wie ein Blitzschlag.
„Das Bild damals .. in der Gruppe ..“
„Agron Idee.“, bestätigte Kaan meinen Verdacht.
„Ich fasse es nicht.“, sagte ich ungläubig.
Die ganze Zeit über hatten sie sich gekannt, die ganze Zeit über war alles geplant. Alles war ein Spiel, ich war nichts weiter als eine Spielfigur gewesen.
„Er hat gewusst wie dein Vater reagieren wird. Ein Nicht Albaner käme als potenzieller Schwiegersohn nicht infrage, genau deshalb hat er sich einen Türken ausgesucht.“, sagte Kaan.
Ich lehnte mich zurück, schloss kurz meine Augen und versuchte das alles zu realisieren. Mittlerweile hatte sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen ausgebreitet. Ich war nahe dran mich zu übergeben. Das Gefühl wurde dadurch verstärkt, dass ich nun ein klares Bild von ihm hatte. Vom demjenigen, der mich vergewaltigt hatte. Kein anderer als Agron. Dieses Monster hatte mir nicht nur meine Vergangenheit, sondern auch meine Zukunft genommen. Vor meinem geistigen Auge erschien Agrons Grinsen. Sein breites, widerliches Grinsen, während ich unter ihm liege. Mit gefesselten Hände. Verbundenen Augen. Hilflos und wehrlos. So mochte er mich am meisten. Womöglich erregte ihn die Tatsache, dass ich ihm ausgeliefert war, nur noch mehr. Beim Gedanken daran musste ich würgen. Gänsehaut legte sich auf meinem Körper. Psychisch kranke Menschen, haben die gestörtesten Fantasien und ich zweifelte keine Sekunde mehr daran, dass Agron in die Klapse gehörte. Mein Herz pumpte nach wie vor das Blut durch meine Adern, aber ein Teil von mir, ein großer Teil vom mir, starb gerade einen qualvollen Tod.
„Ich wollte das alles nicht! Bitte, du musst mir glauben. Ich hatte keine Ahnung, was genau er mit dir vorhatte. Als ich es erfahren habe, war es schon zu spät.“
Mühevoll öffnete ich meine Augen wieder.
„Was hat das für eine Rolle gespielt, was er mit mir vorhatte? Du hast mich ihm ausgeliefert. Er hat mich auf dem Silbertablett serviert bekommen .. durch dich.“
„Ich wollte schon damals, als deine Oma gestorben ist und du nach Kosovo geflogen bist, aufhören. Ich wollte Schluss mache und dir alles erzählen, aber ..“
„Der BMW.“, fiel ich ihm ins Wort.
Er nahm seinen Blick von mir und starrte zur Seite.
„Was .. was ist damit?“, fragte er zögernd.
„Sag du mir das.“, verlangte ich.
Stille folgte, die nur durch das Ticken dieser überdimensionalen Wanduhr, die da über dem Kamin hing, durchbrochen wurde. Ich schluckte den dicken Kloß herunter, der sich in meinem Hals gebildet hatte. Diese grauenhafte Stille, ließ mich das pulsierende Blut nur noch deutlicher hören.
„Warte .. soll ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen? Der BMW war ein Bonus, ein Geschenk, oder? Den hat er dir gegeben, weil du deinen Job richtig gemacht hast.“
Er sagte nach wie vor nichts und wagte es nicht, mir in die Augen zu schauen. Das machte mich wütend, verdammt wütend. Elender Feigling!
„Antworte!“, brüllte ich so plötzlich, dass es mich selbst überraschte.
Er stand auf und drehte mir den Rücken zu. Noch ein Beweis, dass er ein Feigling war.
„Ja.“, sagte er kaum hörbar.
Ich erhob mich ebenfalls von der Couch und griff mir benommen an den Kopf.
„Du bist so erbärmlich.“, sagte ich und fing dann auf einmal an zu lachen.
Wieder so ein Lachen, voller Hysterie, das mir helfen sollte die Tränen zurück zu halten. Aber es klappte nicht wirklich, meine Augen füllten sich schon und mein Lippe bebte verräterisch.
„Ihr seid ein widerliches Pack.“
Ich blinzelte die Tränen weg und versuchte mich zu beruhigen. Mir blieb jedoch die Luft weg, als Kaan sich umdrehte und er ganz verheult vor mir stand. Die Tränen liefen ihm über die Wangen. Was sollte das jetzt werden, Herrgott nochmal? Wieso weinte er, was wollte er denn damit erreichen?
„Ich habe versucht es zu verhindern, du musst mir glauben.“, sagte er.
Das Geräusch seiner Stimme vibrierte durch das Zimmer und hallte dann mit voller Wucht in meinen Ohren wieder. Langsam kam er auf mich zu. Vorsichtig, behutsam. Ich rührte mich nicht und hielt den Atem an. Mein Herz schlug so laut, es bestand keine Zweifel, dass Kaan es hörte.
„Ich habe ihm diese Mappe zurückgegeben und ihm gesagt, dass Schluss ist. Er ist ausgerastet, hat mich verprügeln lassen und mich dann zu diesem Haus gebracht.“
Etwas schien mir den Hals zuzuschnüren und ich wünschte mir, er würde still sein. Er sollte aufhören zu reden, ich konnte mir das nicht anhören. Ich wollte mir das nicht anhören! Aber er sprach weiter und ich stand unfähig da, wie versteinert.
„Ich .. habe keine Ahnung wie .. wie du dahin gekommen bist.“, stotterte er mit Tränen in den Augen. „Aber ich schwöre .. ich schwöre dir Dafina, als ich dich sehen da auf dem Stuhl sah ..“
„Sei still .. bitte.“, flehte ich leise und hielt mir die Ohren zu.
Er griff nach meinen Handgelenken und zwang mich ihn anzusehen.
„Es hat so weh getan, ich bin gestorben in diesem Moment und selbst die Schläge, die ich dort bekommen habe, war nicht genug. Mir ist eines klar geworden. Ich ..“
„Nein! Lass es bitte, lass es!“, bettelte ich.
„Ich liebe dich Dafina. Ich liebe dich wirklich und wollte das alles nicht! Bitte verzeih mir ..“
Er nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte seine Lippen auf meinem Mund ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...