Kapitel 51 :
„Verdammter Bastard!“, zischte Mergim.
Er wollte zur Tür, doch ich stellte mich ihm in den Weg und hielt ihn zurück. Flehend sah ich ihn an, schüttelte mit dem Kopf und drückte dabei meine Handflächen gegen seine Brust.
„Bitte nicht. Mach nicht auf. Bitte Mergim!“, bettelte ich verzweifelt.
Er rang mit sich. Kaan die Zähne ausschlagen, war gerade wohl sein größter Wunsch. Aber meine Tränen schienen ihn weich zu stimmen. Ich ließ meine Hände sinken und er nahm mich wieder in den Arm, während es noch eine ganze Weile an der Tür klopfte und klingelte. Kaan konnte jetzt nicht für einen Aufstand sorgen, nicht um die Uhrzeit. Wie erwartet, wurde es schließlich still. Er hatte aufgegeben, fürs erste zumindest. Ich war so erschöpft. Der Tag in der Bibliothek und die anschließende Auseinandersetzung mit Kaan, hatte mir mehr Kraft gekostet als geglaubt. Mergim musste es gemerkt haben, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Er zog mich in sein Schlafzimmer und schlug die Deckes seines Bettes weg.
„Leg dich hin.“
„Aber, wo schläfst du Gimi?“
„Du zitterst ja!“, ignorierte er meine Frage und legte seine Hand auf meine Stirn. „Ich mach dir einen Tee, okay? Bin sofort wieder da.“
Er deckte mich zu und verschwand in die Küche. Ich Widersprach nicht, denn er hatte Recht. Mein ganzer Körper bebte und mein Hals war ausgetrocknet. Es dauerte nicht lange bis er wieder da war und mir die Tasse Tee brachte. Schweigen breitete sich nun aus. Während ich an meinem Tee nippte, lief Mergim im Zimmer auf und ab, und fuhr sich dabei ständig durch die Haare. Eine Weile später stellte ich die leere Tasse auf den Nachttisch und hatte so wieder Mergims Aufmerksamkeit.
„Fertig?“, fragte er mich.
Ich nickte.
„Wieso hast du dich eigentlich von Arbresha getrennt?“
Die Frage kam total unerwartet, dementsprechend wirkte Mergim auch überrascht. Ich wusste selbst nicht, wieso ich ihn ausgerechnet jetzt diese Frage stellte. Es kam einfach aus meinem Mund.
„Es hat nicht gepasst.“, sagte er.
„Sie ist total aufgelöst.“
„Sie wird schon drüber hinweg kommen.Versuch jetzt zu schlafen, okay?“
Thema wechseln. Das sollte wohl heißen, dass er nicht darüber reden wollte.
„Bleib .. bleibst du noch ein bisschen hier? Bitte.“, sagte ich und klopfte aufs Bett.
„Aber du ..“
„Bitte. Unterhalte mich. Erzähl mir was. Irgendwas.“
Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Er drehte sich um, ging zum Regal und nahm dort ein Buch. Ich legte mich wieder hin und kuschelte mich in die Decke. Mergim setzte sich an den Bettrand und blätterte eine Weile durch das Buch. Irgendwie war ich müde, aber ich wollte nicht schlafen. Und so lauschte ich kurz darauf Mergims Stimme.
„Es gibt Situation im Leben, wo einem die Worte fehlen. Genau so, ist es auch mit Gefühlen. Man weiß einfach nicht, wie man das in Worte fassen soll, was man für diesen einen Menschen empfindet. Obwohl man weiß, dass er alles für dich ist. Dass er all das ist, was du brauchst und dass du in Wirklichkeit nie etwas anderes wolltest. Er ist der Mittelpunkt deines Lebens, um den sich alles dreht. Dieser Mensch, ist der rettende Ufer, wenn man kurz vor dem Ertrinken steht. Wenn es darauf ankommt, all das zu sagen, was einem auf der Seele liegt, fehlen einem dennoch die Worte. Vielleicht aus Angst, vor der Reaktion. Vielleicht auch, weil man einfach zu schwach ist. Dieser Mensch ist so nah und dennoch so fern, dass es einem das Herz zerreißt.“
Als es plötzlich nicht weiter ging, hob ich meinen Kopf und sah, wie Mergim ins Buch starrte.
„Das war wunderschön, wieso liest du nicht weiter?“, fragte ich gähnend.
Mergim fuhr hoch und klappte sofort das Buch zu. Es war weiß, auf dem Cover war ein blutiges Auge zu sehen, aber ich hatte keine Zeit einen Blick auf den Titel zu erhaschen, denn Mergim stand schon auf und legte das Buch weg.
„Es ist schon spät, du solltest schlafen.“
Schlafen, ja. Das war eine gute Idee, denn meine Augen fielen zu. Mergim beugte sich zu mir hinunter, küsste mich auf den Kopf und wünschte mir eine gute Nacht. Ich glaube, als das Licht ausging, war ich binnen Sekunden eingeschlafen …
Am nächsten Morgen, wurde ich vom lauten Hämmern an der Wohnungstür aus dem Schlaf gerissen. Ich sprang aus dem Bett und rannte in den Flur, wo Mergim gerade in seine Jogginghose schlüpfte und sich verschlafen die Augen rieb. Ich war schneller als er vor der Tür und sah durch den Spion. Wie nicht anders zu erwarten, war es Kaan. Gestern hatte ich nicht richtig Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, was ich tun würde. Aber nun wurde mir bewusst, dass ich mit ihm reden musste. Schließlich konnte ich mich hier nicht ewig verstecken.
„Dafina!“, rief Mergim, als meine Hand auf dem Türknauf lag.
„Ich muss mit ihm reden. Du bist ja hier.“, antwortete ich.
Ich schaffte es ruhig zu klingen, obwohl mein Inneres gerade ein einziges Chaos war. Panik, Angst, Wut, Verzweiflung. Alles auf einmal zu fühlen, war nicht gerade einfach. Vorsichtig öffnete ich die Tür, Mergim stand dicht neben mir und man sah ihm an, dass er am liebsten auf Kaan los gehen würde.
„Kann ich dich kurz sprechen?“, fragte Kaan.
„Ich höre.“
„Allein.“, sagte er und warf dabei einen kurzen Blick zu Mergim.
„Vergiss es!“, zischte dieser.
„Mergim, nur zwei Minuten.“
Ich glaube, es war besser, wenn ich allein mit ihm sprach, denn Mergim kannte den Grund nicht, weshalb es überhaupt soweit gekommen war. Das sollte auch so bleiben .. Flehend sah ich ihn an, woraufhin er widerwillig ins Wohnzimmer ging. Ich zog ein wenig die Tür an, schloss sie aber nicht, verschränkte die Arme vor der Brust und sah Kaan abwartend an. Er schnaufte einmal laut aus und legte wieder diesen liebevollen Blick auf, der mir so vertraut war.
„Mein Engel..“, waren seine ersten Worte, bei denen sich mein Magen zusammen zog.
„Es tut mir so unendlich leid. Ich hab gestern Abend die Kontrolle verloren, ich hätte dich niemals schlagen dürfen. Es war ein großer Fehler, den ich bereue. Bitte verzeih mir ..“
Als er Anstalten machte, mich anzufassen, hob ich abwehrend meine Hände.
„Ich war so verwirrt und hatte keine Ahnung was mit dir los war. Noch immer weiß ich nicht, was du mit dieser Mappe meinst. Mein Engel, die letzten Tagen waren sehr hart für dich, vielleicht wirkt sich das jetzt auch psychisch aus.“
Wollte er damit wirklich sagen, dass ich den Verstand verloren hatte und das ganze nichts weiter als bloße Einbildung gewesen war? Und zum Teufel, hatte er da Tränen in den Augen?
„Es ist so scheiße gelaufen. Gerade eben erst ist alles gut mit deiner Familie und jetzt das ..“
Uff! Damit hatte er meinen wunden Punkt getroffen! Ihr müsst euch mal vorstellen, in was für einer beschissenen Situation ich war! Wie sollte ich nach all dem, was passiert war, jetzt nach Hause gehen und ihnen sagen, dass .. ich mich von Kaan getrennt habe? Dass er mich geschlagen hat, dass er kifft und dass er in Wirklichkeit gar kein so verantwortungsbewusster Mann war, für den ich ihn anfänglich hielt? Andere Frage, wollte ich mich überhaupt von ihm trennen? Ich mein, vielleicht war das ganze wirklich nur ein einmaliger Ausrutscher? Und vielleicht, ja vielleicht, war das mit der Mappe tatsächlich nur ein Traum, oder eine Einbildung.
„Kommt bitte zurück mein Engel.“
Kaan riss mich aus meinen Gedanken, kam nun auf mich zu und nahm meine Hände. Ich ließ ihn auch gewähren, als er sich vorsichtig nach vorne beugte und mich küsste. Dumm von mir, keine Frage. Vielleicht auch die falsche Entscheidung, aber ich wusste, dass ich mit ihn gehen würde. Es gab im Moment keinen anderen Ausweg, ich klammerte mich einfach der Hoffnung, dass alles gut werden würde. Ich machte mich von Kaan los und sah zu Boden.
„Warte kurz, ich .. ich muss Mergim Bescheid geben.“, stotterte ich.
„Für dich würde ich den Rest meines Lebens warten, mein Engel.“, lächelte Kaan.
Mit klopfendem Herzen ging ich wieder in die Wohnung. Mergim saß im Wohnzimmer und hatte das Gesicht in seine Hände vergraben.
„Gimi ..“, flüsterte ich.
Ruckartig stand er auf.
„Ist er weg?“, fragte er.
„Nein, ich ..“
„Wie nein?“
„Gimi ich geh mit ihm.“, kam es kaum hörbar aus meinem Mund.
„Bitte was?!“
„Es ist besser so. Das gestern .. das war ein Ausrutscher.“
„Das glaubst du doch wohl selber nicht!“, schrie er so laut, dass ich zusammen zuckte. „Siehst du nicht, dass er dich kaputt macht? Siehst du nicht, dass er dich immer weiter nach unten zieht? Er zieht dich in den Abgrund und du merkst es nicht mal!“
Ich drehte mich um und wollte gehen, doch als Mergim weiter sprach, blieb ich an der Türschwelle stehen. Seine Stimme klang erschreckend ruhig und jagte mir einen Schauder ein.
„Einmal Schläger, immer Schläger. Diese Entscheidung wirst du früher oder später, bitter bereuen Dafina. Ja, es wird der Tag kommen, an dem du dir wünschen wirst, die Zeit zurück drehen zu können. Merk dir meine Worte.“
Oh, wie Recht er behalten sollte ..
Kaan hatte sich in den letzten zwei Stunden, in denen wir wieder in der Wohnung waren, gefühlte zehntausend mal Entschuldigt und ich war heilfroh, als er zur Arbeit musste. Den Rest des Tages verbrachte ich mit lernen und putzen. Beim Putzen hoffte ich insgeheim, eine gelbe Mappe zu finden und war hinterher irgendwie erleichtert, keine gefunden zu haben. Mein Gott, was war nur los mit mir?! Befand ich mich wirklich in einem Zustand, in dem ich Realität und Traum, nicht auseinander halten konnte? Um Mitternacht kam ich auf die verrückte Idee, Arjeta bei ihrer Arbeitsstelle einen Besuch abzustatten. Essen wäre auch keine schlechte Idee, wo ich doch seit meinem Sandwich gestern Vormittag, nichts in den Magen bekommen hatte...
Eine gute halbe Stunde später, stand ich vor diesem Restaurant, das rund um die Uhr geöffnet hatte. Ich stolzierte auf meinen 13 cm Heels rein und fragte einen Kellner nach Arjeta.
„Arjeta?“, fragte er verwirrt.
„Ja? Also, sie ist noch recht neu. Eine hübsche Blondine.“, antwortete ich.
„Ehm, sorry. Ich glaube sie sind falsch hier.“
„Wie?“
„Es gibt hier keine Arjeta.“
Er lächelte mich ein letztes mal an und widmete sich wieder seiner Arbeit, während ich wie vom Donner getroffen, mitten im Restaurant stehen blieb. Was zum Teufel, hatte das zu bedeuten?
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...