Kapitel 8 :
Automatisch fingen an meine Knie zu zittern, als er nur noch Zentimeter von mir entfernt war. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht und sein Blick drang tief in meine Seele. Das war Angst. Das Gefühl, das ich gerade verspürte, war Angst .. aber .. aber da war noch was anderes. Etwas, das ich mir gerade nicht erklären konnte.
„Zügel dein Mundwerk, sonst kriegst du eine Anzeige,wegen Beamtenbeleidigung. Verstanden kiz? (Mädchen).“, flüsterte er.
Beamtenbeleidigung? Mehrmals musste ich verwirrt blinzeln. Dann griff er plötzlich in seine Hosentasche, zog seinen Geldbeutel hervor und hielt mir seinen Dienstausweis unter die Nase. Er war Polizist! Ich war völlig von der Rolle, denn es kam total unerwartet. Er war noch recht jung und außerdem war er .. na ja, er war Türke!? Ich kannte bislang noch keinen türkischen Polizisten, aber wie man hier sah, gab es für alles ein erstes mal.
„Wenn du eine saftige Geldstrafe zahlen willst, darfst du mich natürlich weiter beleidigen.“, meinte er leise und trat einen Schritt zurück.
Lässig hielt er sich am Treppengeländer fest und sah mich unverwandt an. Ich war wie versteinert von seiner Drohung. Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen und schien meine Situation zu genießen. Plötzlich zuckten seine Mundwinkel und im nächsten Augenblick, prustete er los.
„Was lachst du wie ein Volltrottel?! Findest du das witzig?“, brüllte ich ihn an.
Endlich hatte ich meine Stimme wieder gefunden. Ich war so wütend, dass mein Herz nur noch schneller schlug. Und er? Er lachte und lachte und bekam sich nicht mehr ein! Nur mit Mühe schaffte ich es, ihm nicht mein Handy an den Kopf zu werfen.
„Seit wann duzen wir uns?“, kicherte er.
„Du hast damit angefangen! Budalla. (Dummkopf.)“, antwortete ich.
„Hey, was hast du da gesagt? Ich meinte das vorhin ernst.“
Er versuchte wieder bedrohlich zu klingen, was ihm aber bei seinem Lachen nicht wirklich gelang.
„Salak! Manyak! Köpek! (Türkische Schimpfwörter.) Zufrieden?!“, zischte ich.
„Sieh an, sieh an. Die Kleine scheint was drauf zu haben.“
Er stieß einen anerkennenden Pfiff aus und stemmte seine Hände in die Seiten. Noch immer hatte er sich nicht vollständig beruhigt. Kopfschüttelnd trat ich an ihn vorbei und drückte auf den Aufzugknopf. Er führte sich auf, wie ein Kind! Wieso hatte Gott mich nur mit so einem Nachbarn gestraft? Während ich auf den blöden Aufzug wartete, gesellte er sich neben mich. Wild entschlossen ihn nicht zu beachten, hielt ich den Blick auf die Tür gerichtet. Als ich spürte wie er mich ansah, entschied ich mich die Treppen zu nehmen. Es waren ja ohnehin nur 4 Etagen bis zu Arjeta.
„Wohin gehst du?“, fragte er mich, als ich schon an der Treppe stand.
„Da, wo du nicht hin gehst!“, erwiderte ich.
„Na schön. Wir sehen uns Frau Nachbarin.“
Ohne auf sein Grinsen zu achten, ging ich weiter. Das konnte ja in Zukunft heiter werden...
Der Abend bei Arjeta war sehr schön. Wir tranken Kaffee und sprachen Stundenlang über alles mögliche. Sie kannte hier auch noch niemanden, deshalb waren wir beide froh, einander gefunden zu haben. Ihre Art erinnerte mich stark an Elvana, was wohl auch der Grund gewesen ist, wieso ich mich so gut mit ihr verstand. Morgen stand unsere erste Vorlesung bevor, deshalb ging ich gegen 23 Uhr wieder in meine Wohnung. Dort angekommen, setzte ich mich auf meine Ledercouch und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Als ich bei der Begegnung mit meinem Nachbarn ankam, trat mir unbewusst ein Lächeln ins Gesicht. Dieser Typ hatte etwas an sich, das mich neugierig machte. Ich wusste nicht wieso, weshalb oder warum, aber beim Gedanken an ihn, machte sich ein Gefühl in mir breit, das ich zu diesem Zeitpunkt nicht beschreiben konnte. Es war ein ungewohntes Gefühl, etwas, das ich so nicht kannte.
„Du bist so dumm Dafin.“, murmelte ich vor mir hin.
Ich verdrängte den Gedanken an ihn, stand auf und ging in die Küche. Dort stopfte ich mich mit der Lasagne von vorhin voll und bereute es im nächsten Augenblick schon wieder. Um die Uhrzeit noch zu essen, war einfach nur dumm. Ich rannte ins Bad und übergab mich mal wieder. Das war wahrscheinlich noch dümmer, aber immerhin fühlte ich mich im nach hinein besser. Nachdem ich mir die Zähne geputzt hatte, legte ich mich direkt in mein Bett. Mit meinem Handy in der Hand lag ich da und schrieb auf Whatsapp mit Mergim. Zum Glück ging es seinen Eltern schon viel besser, er schien erleichtert und auch ich freute mich darüber.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich überraschend gut. Ich hatte eine ruhige Nacht gehabt und freute mich auf meinen ersten Tag an der Uni. Als ich einen Blick in den Spiegel warf, sah ich ein junges, hübsches Mädchen, das ein Lächeln aufgesetzt hatte. Eine Seltenheit, wenn ich allein war.. Heute hatte ich mir besonders viel Mühe gegeben, was mein Äußeres anging. Meine sonst eher lockigen Haare, hatte ich geglättet und mein Gesicht war perfekt geschminkt. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich in der Uni einen guten Eindruck hinterlassen wollte. Heute sollte mein „neues“ Leben, endlich richtig los gehen! Voller Vorfreude, öffnete ich die Tür und traute meinen Augen nicht. Das dürfte doch nicht wahr sein!
„Guten Morgen Frau Nachbarin, tolles Timing.“, grinste er und zwinkerte mir dabei zu.
Ich brauchte erst mal ein paar Sekunden, um mich von diesem Schock zu erholen. Er trug seine Uniform, hielt seine Mütze in der einen, und einen Crossaint in der anderen Hand. Seine Haare waren noch feucht und klebten ihn an die Stirn und mir stieg ein angenehmer Geruch in die Nase, der definitiv nicht von mir kam. Ich nahm meinen Blick von ihm und erwiderte seinen Gruß.
„Guten Morgen.“, brachte ich es gerade noch so aus meinem Mund.
Ich lief Richtung Aufzug und spürte wie er mir folgte. Wieso zum Teufel klopfte mein Herz wie verrückt!? Arjeta hatte mir vorhin eine Nachricht geschickt, dass sie im Foyer auf mich warten würde. Das hieß, dass ich gar keine andere Wahl hatte, als mit ihm in den Aufzug zu steigen. Als sich endlich die Tür öffnete, war Gott sei Dank schon jemand drinnen. Wisst ihr was das witzige daran war? Dieser Mann, stieg nur 3 Etagen später wieder aus und schon war ich allein mit ihm. Ich verfluchte meine Wohnung, die fast ganz oben lag. Es stand dicht neben mir und biss in seinen Crossaint. Seine Nähe war mir irgendwie .. unangenehm? Nein, das war das falsche Wort. Wie auch immer, jetzt hieß es Sekunden zählen ..
„Nicht sehr gesprächig heute Frau Nachbarin, was?“, sagte er auf einmal.
Ich warf einen kurzen Blick in seine Richtung, sagte aber nichts. Wieso dauerte das so verdammt lange? Es waren doch nur 24 Etagen ..
„Magst du ein Stück, Frau Nachbarin?“, er hielt mir grinsend seinen Crossaint hin.
„Wieso nennst du mich ständig Frau Nachbarin?“, antwortet ich, ohne ihn anzusehen.
„Ich kenne ja deinen Namen nicht.“
„Doch, den hab ich dir schon genannt.“
„Nein, ich meinen deinen Vornamen. Ich übrigens Kaan. Kaan Arslan.“
Ich schnaufte einmal laut aus und wandte mich ihm dann zu. Er hielt mir seine freie Hand hin, die Mütze hatte er mittlerweile aufgesetzt. Einen kurzen Augenblick lang zögerte ich, dann ergriff ich doch seine Hand. Sein Händedruck war fest und sanft zugleich, seine Augen strahlten und sein Lächeln .. es war unbeschreiblich. Schnell entzog ich ihm meine Hand und starrte wieder zur Aufzugtür, die sich jeden Augenblick öffnen könnte.
„Du darfst mich Frau Asllani nennen.“, sagte ich tonlos.
Yes! Endlich ging diese scheiss Tür auf.
„Alter, was für ein Korb.“, hörte ich ihn noch sagen, bevor ich mit schnellen Schritten heraus lief...
Wir nahmen die Straßenbahn und waren nur ein paar Minuten später an der Uni. Ich hatte mich davor schon einmal umgeschaut, aber trotzdem war alles noch recht neu. Arjeta wich keinen Moment von meiner Seite, zusammen liefen wir Richtung Hörsaal. Während ich schweigend durch die Gänge blickte, plapperte sie munter drauf los. Zu erst hörte ich gar nicht richtig hin, das änderte sich jedoch, als sie nach meinem Nachbarn fragte.
„Wer war denn der Polizist, mit dem du runter kamst?“, wollte sie wissen.
„Mein Nachbar.“
„Dein hübscher Nachbar.“, grinste sie frech.
„So hübsch ist er gar nicht ..“
„Der könnte glatt als Model durchgehen, aber okay.“, lachte sie.
Ich wollte nicht weiter über ihn reden, deshalb änderte ich einfach das Thema. Kurz betraten wir den Hörsaal und ich war erst mal erstaunt, wie voll es war. Vielleicht lag es daran, dass das Semester erst jetzt begann. Die Motivation der meisten, war sehr hoch, genauso wie meine. Aber ich wusste, dass es sich im Laufe der Wochen ändern würde, schließlich war die Anwesenheit hier keine Pflicht. Der Dozent stand schon an seinem Pult und bereitete sich auf die nächsten 90 Minuten vor. Arjeta und ich setzten uns. Sofort nahm ich meinen Block und meinen Kuli heraus. Als es dann endlich los ging, hörte ich gebannt zu und machte mir immer mal wieder Notizen.
„Kaum ein hübscher hier dabei, wie öde.“, meckerte Arjeta.
„He, was?“, fragte ich verwirrt.
„Keine hübschen Typen dabei. Die sind alle hässlich.“
„Mach dir mal lieber ein paar Notizen und hör zu, anstatt die Typen zu begutachten.“, lachte ich.
„Okay, stimmt. Dafür werde ich ja noch genug Zeit haben, obwohl fürs Lernen ja auch.“
Sie streckte mir die Zunge raus und ließ ihren Blick dann wieder durch den Raum schweifen. Mir gefiel ihre Art, an Humor schien es ihr nicht zu mangeln und ich mochte Menschen, die mich zum Lachen brachten. Das half immer, meine Fassade aufrecht zu halten. Ich war gerade vollkommen in den Worten des Dozenten vertieft, als mich Arjeta mich anstieß.
„Zoti i madh! (Großer Gott!) Meinung geändert! Dafin, schau dir dieses Prachtstück an!“
Sie machte eine Kopfbewegung Richtung Eingang ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...