Kapitel 44

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Kapitel 44 : 

Mir fiel vor Schock, die Unterwäsche aus der Hand! Mergim stand mit leicht aufgeklapptem Mund an der Tür, und starrte mit großen Augen, auf .. auf meine Oberschenkel. Auf meine Narben überzogenen Oberschenkel. Ich glaube es war so leise im Zimmer, dass man unseren Atem hören könnte. Wenn wir denn Atmen würden. Genau so wie ich, schien Mergim die Luft angehalten zu haben. Blut stieg mir in den Kopf. Mein Herz hatte aufgehört zu schlagen. 

„Ich .. fuck, es tut mir leid!“, sagte Mergim endlich und drehte sich um. „Es tut mir leid. Ich hab gedacht du bist im Bad und .. ich wollte .. ich hatte die Autoschlüssel hier liegen lassen.“ 

Ich hob meine Unterwäsche auf und ging wortlos wieder ins Bad. Atemlos ließ ich mich gegen die Tür sinken und rang nach Luft. Trotz der geschlossenen Tür, hörte ich, wie Mergim fluchte. Nach ein paar Sekunden war es dann still. Es war nicht die Tatsache, dass er mich halb nackt gesehen hatte, nein. Viel mehr, war es dieser Blick, mit den er meine Narben angestarrt hatte, der mich so aus der Fassung brachte. Es hatte einen ganz simplen Grund gegeben, dass ich nur meine Oberschenkel verunstaltet hatte. Ich wollte nie, dass jemand davon erfährt, denn ich schämte mich. Ich schämte mich für meine Narben. Sie waren ein Beweis der Schwäche. Zu schwach war ich, um mit dem Druck der letzten Jahre fertig zu werden. Zu schwach, um mit dem Schmerz umzugehen. Zu schwach, um mich gegen Agron zu wehren. Mit Mühe unterdrückte ich die aufkommenden Tränen und stieg unter die Dusche. Das kalte Wasser tat gut. Ich glaube es half mir, wieder logisch denken zu können. Nachdem ich fertig war, stieg ich in meine frische Jeans und streifte mir ein Top über. Im Bad lag ein Fön, aber ich war einfach zu kaputt ihn zu benützen. Vorsichtig öffnete ich die Badezimmertür, und stellte fest, dass Mergim noch immer nicht da war. Ich ließ mich auf das Bett sinken, starrte eine Weile ins Leere, und ließ den Tag noch einmal Revue passieren. Nicht einmal im Traum hätte ich daran gedacht, dass es so kommen würde. Verstoßen, Vergessen und mit Füßen getreten. Das Treffen mit Agron kam auch so unerwartet. Seit Monaten hatte ich ihn nicht gesehen, und mit ihm, kamen auch all die Erinnerungen wieder, die ich so lange, erfolgreich verdrängt hatte. Oma war weg. Mein Herzblatt war weg. Es war auch kein Trost zu wissen, dass sie nun an einen besseren Ort war. Es zerbrach mich einfach! Erneut hatten sich meine Augen mit Tränen gefüllt. Schnell wischte ich diese weg, als es leise an der Zimmertür klopfte. Ich stand auf und öffnete. Mergim stand vor mir, mit einer Tüte in der Hand. Ich trat zur Seite und ließ ihn rein. 

„Komm iss was.“, sagte er und holte dabei etwas aus der Tüte. 
„Mergim, ich kann nicht ..“
„Dafin! Bitte, nur ein paar Bissen.“
„Aber ..“
„Das ist Byrek.“, sagte er schnell. 

Er hielt mir das Essen hin. Der Duft des frischen Byreks stieg in meine Nase, und wie auf Knopfdruck, fing mein Magen an zu knurren. Seit über 24 Stunden hatte ich nichts gegessen, und hatte bis gerade, nicht einmal den Gedanken daran verschwendet. Aber jetzt könnte ich schon etwas vertragen. Zumal ich nicht umkippen, und Mergim so noch mehr Probleme machen wollte. Ich setzte mich an den kleinen Tisch und Mergim tat es mir gleich. Schweigend aßen wir. Ich bekam nicht viel herunter und kaute nur langsam, aber die Hauptsache war, dass ich etwas im Magen hatte. Ich schluckte den letzten Bissen, mit einem Schluck Ayran herunter und lehnte mich dann zurück. Und vom neuen begann etwas, in meinem Inneren zu brodeln. Es war so schlimm. Schlimmer als sonst. Wie sehr ich ihr Lachen und ihre Witze, vermissen würde. Omas Lächeln erschien vor meinen Augen. Ihre rauchige Stimme tönte in meinen Ohren. Es war, als würde sie mich in ihre Arme schließen und mich fest an sich drücken. Und dann kam dieser Blick, der mein Herz zerriss. Dieser Blick, voller Enttäuschung und Ungläubigkeit, als sie von Kaan erfuhr. Wie aus heiterem Himmel, schlich Agron sich in meinen Kopf. Wie er sich über mich lustig machte und ..

„Es tut mir leid.“ 

Mergims Stimme riss mich aus meinen schmerzhaften Gedanken. Ich blinzelte die Tränen aus meinen Augen und sah ihn fragend an. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt