Kapitel 80

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Kapitel 80: 





Ich fühlte das Feuer, das mich erfüllt hatte, als die Kugel mich durchbohrte. Ich war erstarrt, versteinert, gelähmt. Die Waffe glitt mir aus der zitternden Hand, die sich instinktiv auf meinen Bauch legte. Ich spürte das Blut, so warm, so klebrig. Die Zeit schien still zu stehen. Meine Augen wanderten zu Agron. Er stand da, mit einer Waffe in der Hand, die er wohl am Rücken getragen hatte und sein Blick war durchbohrend, triumphierend. Er spürte meine Angst, fühlte meinen Schmerz. Und er genoss es, das ließ mich sein zufriedenes Lächeln wissen. Schreie und Schüsse ertönten. Wie in Zeitlupe sah ich mit an, wie die Kugeln der Polizisten auf Agron einprasselten. Wie das Blut aus seinem Bauch und seiner Brust quoll. Wie er auf den Boden knallte und Blut aus seinen Mundwinkeln floss. Bis jetzt stand ich wie eine Amazone da, aufrecht, mit erhobenen Haupt, trotz Schusswunde an meinen Bauch. Doch nun gaben meine Knie nach, ich sackte zu Boden. Teuta hatte mich erreicht und war neben mir zu Boden gesunken. Sie nahm mich in die Arme und schrie meinen Namen. Vielleicht hätte ich jetzt was sagen sollen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich konnte nicht reden. Mergim kam auf mich zugekrochen. Er sah so blass aus, sein Gesicht war tränenüberströmt. Er nahm meine Hand und sprach ebenfalls auf mich ein. Die Stimmen erklangen wie aus weiter Ferne .. als wäre ich gar nicht hier. Alles schien so surreal, wie ein Traum. 


„Dafina. Dafina .. alles wird gut. Alles ist gut.", schluchzte er. 

„Der Krankenwagen ist unterwegs mein Schatz.", fügte Teuta hinzu. 


Ich musste etwas fragen. Ich musste es wissen. Unbedingt. Mit der Zunge befeuchtete ich meine Lippen und schnappte kurz nach Luft. 


„Ist er .. ist er tot?", zitterte meine Stimme. 


Mergim und Teuta wechselten einen Blick. Sie schwiegen. Mit aller letzter Kraft, packte ich Mergim am Kragen seines Hemdes und wiederholte meine Frage. Er sah kurz nach hinten und nickte anschließend. 


„Ja, er ist tot. Es ist vorbei.", antwortete Teuta für ihn. 


Es war vorbei? War es tatsächlich vorbei?! Ich richtete mich mit Teuta Hilfe ein wenig auf und sah über Mergims Schulter hinweg. Da lag er, zirka 2 Meter von mir entfernt. Der Mann, der mir das Leben zur Hölle gemacht hatte. Der Mann, der meine Vergangenheit, meine Gegenwart und wie es aussah auch meine Zukunft genommen hatte. Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir zu, dass ich heute Nacht sterben würde. Sie war leise, doch erschreckend klar, als ob mir jemand ins Ohr geflüstert hätte. Die leblosen Augen von Agron, die so kalt und leer aussahen, jagten mir eine Gänsehaut ein. Ich fror .. 


„Es tut mir leid.", sagte ich und griff nach Teutas Hand. „Es tut mir so leid!" 

„Shuj! (Sei still!)", weinte sie. „Wir haben gewonnen. Du hast gewonnen!"


Ich schloss meine Augen, weil ich so müde war. Schwärze umhüllte mich und blendete den Lärm um mich herum aus. Da war nur ich und diese unendliche Dunkelheit. Und mir war so kalt, diese unerträgliche Kälte drückte mich zu Boden. Ich wollte Sonne. Ich wollte die Wärme auf meiner Haut spüren und deshalb rannte ich. Es fühlte sich richtig an zu rennen, es machte endlich Sinn, dass mein Herz so schnell schlug und ich nach Atem rang. Es fühlte sich richtig an, nach der Sonne zu suchen, nach der Erlösung. Es fühlte sich richtig an nach Freiheit zu suchen, denn ich hatte gewonnen. Ich hatte mir diesen Platz an der Sonne verdient. So war es doch, oder? 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt