Kapitel 25

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Kapitel 25 : 

Die Tür wurde aufgemacht, Kaan stand vor mir. Überrascht und mit freiem Oberkörper. Aber das war mir egal, das hinderte mich nämlich nicht ihm um den Hals zu fallen! Ich schlang meine Arme um ihn und drückte fest zu. Er war verblüfft, das merkte ich, aber nur wenige Sekunden später, spürte ich seine starken Hände auf meinem Rücken. Einen Augenblick verweilten wir so, dann löste ich mich von ihm, trat einen kleinen Schritt zurück und nahm tief Luft. Meine folgenden Worte kosteten mich ungeheure Kraft und ich befürchtete, dass meine Knie gleich einknicken würden. 

„Ich will es versuchen. Ich will versuchen ein normales Leben zu führen. Glücklich zu sein, endlich glücklich zu sein und die Vergangenheit hinter mir zu lassen. Ich will in der Gegenwart leben und an die Zukunft denken. Mit dir an meiner Seite.“ 

Er öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, jedoch hob ich meine zitternden Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Mit bebender Stimme fuhr ich fort .. 

„Du musst wissen, dass ich keine leichte Kindheit hatte. Mein Leben ist nicht immer schön gewesen. Es gab Momente, an denen ich nicht mehr konnte. Momente, an denen ich mir selbst weh getan habe, um meinen inneren Schmerz zu verdrängen.“ 

Kaans Kinnlade klappte so langsam aber sicher nach unten. Trotz allem schien er relativ gefasst, nach meinen unerwarteten Worten. Vorsichtig zog ich meine Jacke aus und krempelte die Ärmel meiner Bluse nach oben. Makellos rein. Ich hielt sie ihm kurz hin und streifte mir anschließend wieder die Jacke über. Dann tippte ich mit meinen Fingern auf die Oberschenkel. Sein Blick verriet mir, dass er mich verstanden hatte. 

„Manche Dinge sieht man auf dem ersten Blick nicht. Depressiv, Kaputt, Labil. Das fremde Auge übersieht sowas, weil manche dafür Sorgen, dass es verborgen bleibt. Ich gehöre dazu. Ich trage Narben auf der Haut und auf der Seele. Jede davon hat ihre eigene Bedeutung, jede davon erzählt ihre eigene Geschichte. Ich bin so, wie ich bin. Über die Vergangenheit will ich nicht reden und wenn du das akzeptierst, dann ..“

Er griff nach meiner Hand und legte mir einen Finger an den Mund. Seine Augen waren glasig .. Tränengefüllt? Ich vermag es nicht zu sagen, denn ich kämpfte selbst gegen den Fluss an, der sich in meinen Augen ansammelte. Ich war schockiert über meine Ehrlichkeit, aber zugleich Erleichtert, da ich es hinter mir hatte. Kaan zog mich näher an sich, legte die Arme um meine Taille, schmiegte sein Gesicht in meine Haare und hielt mich einfach nur fest. Wortlos. Denn weitere Worte waren im Moment überflüssig. Ich genoss seine Nähe. Seine breiten Schultern. Seinen mittlerweile so vertrauten Geruch. Seine festen und entschlossenen Arme. Seinen Atem, der nun auf meiner Wange kitzelte. Er nahm mein Gesicht in seine Hände, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und fuhr mir dabei sanft über die Wange. Gänsehaut durchfuhr mich. Ein kleines, aber deutliches Nicken seinerseits folgte. Keine Fragen. Kein Wieso, Weshalb, Warum. Ein einfaches Nicken, das so verdammt viel sagte! Das mir so verdammt viel bedeutete! Seine Lippen legten sich auf meine Stirn und verweilten eine Weile dort. Ich spürte wie mir lautlos Tränen über die Wangen kullerten. Tränen des Glücks... Ich hatte gerade einen Riesen großen Schritt gemacht .. Nach vorne, oder nach hinten? 

Zum ersten mal, saß ich in Kaans Wohnzimmer. Auf seiner Couch. Neben ihn. Er hatte mir einen Arm um die Schulter gelegt und ich kuschelte mich an seine muskulöse Brust. Es war hier alles sehr schlicht eingerichtet. Man merkte auf Anhieb, dass hier ein Mann wohnte. Unordentlich würde ich es nicht bezeichnen, eher chaotisch. Aber es gefiel mir. Wir sprachen seit zwei Stunden und tranken nebenbei Tee. So wie vor einer Woche noch. Nur hatte sich etwas geändert. Zwischen uns. Wir waren keine Nachbarn mehr, wir waren keine Freunde mehr. Ich ging davon aus, dass wir ab sofort als Paar galten. Kaans Verhalten zeigte mir, dass ich alles richtig gemacht hatte mit meinem Teilgeständnis. Er behandelte mich genauso wie immer und stellte keine Fragen zu meiner Vergangenheit. Wir sprachen vom hier und jetzt! Denn das war es, was zählte. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt