Kapitel 13 :
Schnell zog ich mein Kleid nach unten und stand dann etwas ungeschickt auf. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, und zwar so laut, dass es sogar die Musik in meinen Ohren übertönte. Zitternd griff ich nach meinem halbvollen Glas und kippte den Inhalt herunter. Der Alkohol brannte in meiner Lunge, aber ich ließ mir nichts anmerken.
„Kommst du tanzen?“, fragte ich stattdessen.
„Kommst du tanzen?!“, wiederholte er ungläubig meine Frage. „Kommst du tanzen?!“, brüllte er jetzt.
Er stand auf und trat direkt vor mir. Seine Augen waren weit aufgerissen, er schien noch immer nicht zu glauben, was er soeben gesehen hatte. Man sah ihm an, dass er geschockt war.
„Willst du mich verarschen Dafina?!“, schrie er mich an.
„Was ist dein Problem, verdammt?“, schrie ich zurück.
Mir platzte der Kragen! Was brüllte er mich vor den ganzen Leute hier an? Ich schnappte meine Handtasche und lief Richtung Ausgang, aber spürte wie er mir folgte. Ohne mich umzudrehen lief ich ein ganzes Stück, bis ich irgendwann total außer Atem war. Ich stoppte und hielt mich an einer Stange vor mir fest. So einigermaßen schaffte ich es mich zu beruhigen, bevor Mergim mich erreichte.
„Was soll das Dafin? Wieso läufst du weg? Vor was läufst du weg?!“, stellte er mich zur Rede.
„Was schreist du mich vor all den Leuten an? Hast du gesehen, wie die geglotzt haben?!“
„Nein, aber ich hab was ganz anderes gesehen. Etwas, das mir nicht gefallen hat und das ich immer noch nicht glauben kann!“
„Dann schau das nächste mal nicht hin, ist schließlich nicht dein Problem.“, erwiderte ich sauer.
Er schien total aufgebracht und massierte sich die Schläfen. Er lief auf und ab, und für einen kurzen Moment dachte ich, dass er einfach wieder reingeht. Das wünschte ich mir zumindest. Aber stattdessen trat er vor mir und nahm meine Hände, in die seine. Hatte er Tränen in den Augen, oder bildete ich mir das nur ein? Es war zu dunkel, um eine Antwort auf meine Frage zu bekommen.
„Seit wann machst du das?“, fragte er leise.
„Was spielt das für eine Rolle?“
„Wieso tust du das? Wieso tust du dir weh?“
„Ist doch schnuppe.“
„Nein ist es nicht! Vertraust du mir so wenig?“
Er klang enttäuscht, aber ich hatte die Schnauze voll. Ich riss mich von ihm los und drehte ihm dem Rücken zu. Mit aller Macht versuchte ich, meine aufkommenden Tränen zurückzuhalten.
„Was hat das mit Vertrauen zu tun?!“, antwortete ich zitternd.
„Alles!“
„Niemand weiss das und das sollte auch so bleiben, verstehst du? Ich brauch keine Aufmerksamkeit oder sowas in der Art! Lass uns einfach so tun, als sei das gerade gar nicht passiert, okay?“
„Das kann nicht dein ernst sein ..“, flüsterte er.
„Ist es aber.“
„Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich das ignoriere Dafin!“, brüllte er jetzt wieder.
„Es ist alles gesagt Mergim!“, erwiderte ich entschlossen.
Tief nahm ich Luft, drehte mich dann wieder zu ihm und legte einen Finger an meinen Mund. Arjeta kam gerade auf uns zu. Ich warf Mergim einen flehenden Blick zu, und obwohl er verletzt wirkte, wusste ich, dass er nichts sagen würde.
„Was ist denn hier los?“, fragte Arjeta verwirrt, als sie uns erreichte.
„Ich will gehen und Mergim hat dann ein bisschen gestresst, weil es so früh ist.“, sagte ich schnell.
„Aber die Nacht hat doch erst gerade angefangen?“, meckerte sie.
„Sorry, mir geht es nicht so gut.“, entschuldigte ich mich. „Geht ihr wieder rein, ich hol mir ein Taxi und fahr dann nach Hause. Wollte euch nicht den Abend vermiesen.“
„Ach scheiss drauf, so cool ist es da drinnen sowieso nicht. Ich komm mit dir.“, sagte sie.
Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu, den sie mit einem süßen Lächeln quittierte.
„Ich fahr euch.“, brummte Mergim und lief auch schon los um den Wagen zu holen.
Während der Fahrt herrschte bedrückende Stille. Der Abend hatte so schön angefangen, und dass er in so einem Desaster enden würde, hätte ich nicht mal in meinen schlimmsten Albträumen gedacht. Als wir da waren, stieg Arjeta direkt aus. Ich hatte mit meinem Gurt zu kämpfen und bevor ich dann auch raus wollte, griff Mergim nach meinem Oberarm.
„Dieses Thema ist nicht beendet.“, flüsterte er.
Er ließ mich los und krallte die Hände um das Lenkrad. Ein flaues Gefühl machte sich in meinem Magen breit, während ich mühevoll ausstieg. Arjeta begleitete mich nach oben. Ich war ein wenig wackelig auf den Beinen, das lag einerseits am Alkohol, andererseits am soeben erlebtem. Als sei es eine Selbstverständlichkeit, tapste Arjeta in die Küche und machte uns Tee. Eine ganze Weile saßen wir zusammen in meinem Wohnzimmer und nippten an unseren Tassen. Sie stellte keine Fragen, sondern war einfach für mich da.
„Ich muss dann langsam runter.“, sagte sie schließlich.
Sie umarmte mich von der Seite und strich mir dabei über den Rücken.
„Ruh dich schön aus, okay?“, lächelte sie.
Ich nickte dankend, aber sie mich winkte zurück, als ich sie zur Tür bringen wollte. Nachdem ich die Tür ins Schloss fallen hörte, lehnte ich mich zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Ich wollte nicht weinen, aber diesmal schaffte ich es nicht die Tränen runter zu schlucken. Eine gefühlte Ewigkeit schluchzte ich in meine Hände. Dann stand ich schwankend auf und ging ins Schlafzimmer. Ich verspürte einen heftigen Druck im Brustbereich. Erst jetzt wurde mir bewusst, was vorhin passiert war. Es war raus! Ein Teil meines Geheimnisses war raus! Diese Tatsache zerfraß mich gerade innerlich. Ich befreite mich von diesem verfluchten Kleid und stellte mich dann nur in Unterwäsche, vor meinen großen Spiegel. Ich hasste mich. Ich hasste meinen Körper. Ich hasste meine Dummheit. So dumm und naiv war ich gewesen! Was hatte ich mir bei diesem Kleid nur gedacht? Wieso hatte ich es angezogen? Ich tat das, was ich am besten konnte. Mir selbst die Schuld geben. Meine Existenz verfluchen. Mit zusammengebissenen Zähnen griff ich mir an den Kopf und versuchte die Stimmen zu verdrängen, die sich dort ausbreiteten. Ein wirres durcheinander, das mich verrückt machte. Wütend warf ich die Sachen von meiner Kommode zu Boden und fing an zu fluchen. Ich nahm mein Kissen und schrie hinein. Immer und immer wieder. Aus vollem Halse und mit voller Kraft. Da waren sie wieder. Schreie, die keiner hörte. Mein Gesicht war Tränen überströmt. In mir drinnen tat es unbeschreiblich weh, das konnte man nicht in Worte fassen. Verzweiflung und Schmerz beherrschten mich gerade und es gab nur einen Ausweg, um davon weg zu kommen. Schwer atmend hatte ich mich mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, als meine Beine sich in Bewegung setzten. Automatisch, wie ein Roboter, der auf Knopfdruck loslief. Mein Inneres schrie förmlich nach der Klinge! Als ich sie endlich über meine Haut fahren ließ, zog ich scharf die Luft ein. In solchen Momenten fühlte ich mich gut. Ich liebte es mein Blut fließen zu sehen und der Schmerz danach, ließ mich all die negativen Dinge vergessen. Dass das nur von kurzer Dauer war, war in diesem Moment nicht von Relevanz. Da saß ich nun am Wannenrand. Total aufgewühlt und am Ende. Nach einer Weile schaffte ich es, die Blutung zu stoppen und schleppte meinen müden Körper ins Schlafzimmer. Dort stieg ich direkt in meine Pijama und legte mich hin. Ich hatte gerade keine Kraft zum Duschen. Dazu war ich zu kaputt. Was ich jetzt wollte war schlafen und zwar möglichst traumlos. Nachdem ich meine Knie eingezogen hatte, kniff ich die Augen zusammen und betete still zu Gott, er möge mir verzeihen. Was ich tat war falsch! Es war so falsch, aber ich konnte einfach nicht anders. Der Drang war stärker als ich ..
Als ich am nächsten Morgen auf die Uhr sah, war ich überrascht. Ich hatte bis um 11 Uhr durchgeschlafen. Für eine Frühaufsteherin wie mich, eigentlich sehr unüblich. Als ich das Kleid auf dem Schlafzimmerboden sah, tröpfelten die Erinnerungen an den gestrigen Abend wieder in mein Gedächtnis. Es traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.
„Mergim weiss es .. er weiss es.“, flüsterte ich verstört zu mir selbst.
Unruhig stand ich auf und ging unter die Dusche. Das Wasser prallte auf meinen Körper, doch es beruhigte mich kein Stück. Im Bademantel eingewickelt, beseitigte ich anschließend in meinem Zimmer, das Chaos auf dem Boden. Ich suchte Zwangshaft nach einer Beschäftigung, um nicht daran denken zu müssen. Erst putzte ich die Wohnung, dann setzte ich mich mit einer Tasse Kaffee in meinen Sessel und telefonierte. Während ich mit Oma und Mama sprach, verspürte ich so eine heftige Heimweh. Am liebsten würde ich jetzt in den Zug steigen und nach Hause fahren. Papa war leider bei der Arbeit, aber Mama versprach mich zurückzurufen. Während ich kurz überlegte, ob ich auch bei Teuta anrufen sollte, klingelte es auf einmal an der Tür. Mir gefror das Blut in den Adern. Erst blieb ich sitzen und hoffte, ich hätte mir das nur eingebildet. Aber kurz darauf klingelte es erneut. Ich legte mein Handy auf den Tisch und stellte meine Tasse daneben. Leise tapste ich in den Flur und sah durch den Spion. Wie erwartet, war es Mergim. Ich wollte das nicht! Ich wollte nicht darüber reden. Das machte doch alles nur noch schlimmer!
„Dafina! Mach die Tür auf, ich weiss, dass du da bist!“, verlangte Mergim lautstark.
Ich hielt mir die Ohren zu, in der Hoffnung, er würde einfach gehen. Er machte sich nur Sorgen, das wusste ich. Aber niemand würde mich verstehen. Niemand! Auch Mergim nicht!
„Mach die scheiss Tür auf Dafina!“, schrie Mergim jetzt und hämmerte gegen die Tür.
Vielleicht sollte ich aufmachen und ihn bitten, wieder zu gehen? Vielleicht würde er mich in Ruhe lassen, wenn er sieht, dass es mir nicht gut geht? Vielleicht, so betete ich, würde er das von gestern auch einfach vergessen? Es war töricht von mir so zu denken, denn das würde nicht passieren!
„Was schreist du so Junge?“, hörte ich plötzlich eine weitere Stimme vor der Tür.
Verdammt .. das war Kaan ..
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...