Kapitel 10

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Kapitel 10 : 

„Guten Morgen Fräulein Studentin.“, sagte Teuta breit grinsend. 
„Überraschung.“, fügte Agron hinzu. 

Mein Neffe und meine Nichte sprangen mir in die Arme. Der unerwartete Besuch, brachte mich völlig aus den Takt. Mit einem zerknirschtem Lächeln stolperte ich nach hinten und bat sie herein. Es war nicht so, dass ich mich nicht freute, aber dieses verlogene Schwein hätte ruhig zu Hause bleiben können. Er schien meine Gedanken zu erraten, denn er grinste triumphierend. Dankend nahm ich die Geschenke entgegen, die Teuta mir für die Wohnung mitgebracht hatte. 

„Das war doch nicht nötig Teut ..“, sagte ich leise. 
„Klar! Schöne Wohnung, hast du super hingekriegt. Wollte dich als erste besuchen und dich dabei überraschen, hoffe du nimmst mir das nicht übel, dass ich nicht angerufen hab?“
„So ein Quatsch, ich freue mich euch zu sehen.“, antwortete ich schnell. 

Ich küsste Besa, die auf meinem Schoß saß und lächelte gezwungen. Sein Blick war auf mich gerichtet, das spürte ich. Ich vermied es ihn direkt anzuschauen, sein Grinsen war einfach unerträglich. Die üblichen Fragen folgten und dann begann Agron mich über die ersten Uni Tage zu befragen. Ich hatte so einen Hass auf ihn! Das ging soweit, dass ich sogar Magenschmerzen bekam. Ich entschuldigte mich kurz, um schnell eine Tablette zu schlucken.

„Alles okay Dafin? Du siehst so blass aus.“, fragte Teuta mich besorgt. 
„Alles bestens moter (Schwester), hab nur ein bisschen Magenschmerzen. Kalon. (Vergeht.)“ 

In der Küche setzte ich das Wasser für den Kaffee auf und schluckte anschließend die Tablette. Wieso musste er kommen? Wieso musste er mein geordnetes Leben durcheinander bringen? Warum konnte er sich nicht einfach ein anderes Opfer suchen? Beim Gedanken daran wollte ich mir am liebsten selbst eine klatschen. Wie dumm und egoistisch von mir, so zu denken. Hoffentlich suchte er sich keine anderen Opfer, hoffentlich würde er verrecken! Genau, sterben sollte er! 

„Huhu, wo sind deine Gedanken Fina?“

Ich wirbelte herum und machte automatisch einen Schritt zurück. Er hob seine Hände und zeigte mir die zwei leeren Gläser der Kinder. 

„Die mögen was anderes, hast du was da?“, fragte er freundlich. 

Nur mit Mühe setzten sich meine Beine in Bewegung. Ich kramte Cola aus dem Kühlschrank und füllte die beiden Gläser nach. 

„Hab gerade an deinen Tod gedacht.“, sagte ich beiläufig, aber achtete darauf, dass ich leise sprach.
„Du hast was?“, fragte er ungläubig. 
„Du hast schon richtig gehört. Hab daran gedacht, wie man dir die Kehle durchschneidet.“ 

Keine Ahnung woher ich den Mut fand, so zu reden. Lag bestimmt daran, dass Teuta und die Kinder nebenan waren und er mir somit nichts tun konnte. Mir wurde erst im nach hinein bewusst, dass ich wie eine Psychopathin klang. Er setzte ein Lächeln auf und verschwand dann wieder ins Wohnzimmer. Nicht nur das Wasser auf dem Herd kochte gerade, auch in mir drinnen brodelte alles! 

Nach gut zwei Stunde wollten sie noch durch die Kölner Altstadt schlendern, bevor sie wieder nach Mannheim fuhren. Ich bat sie natürlich zum Mittagessen zu bleiben, so wie es sich bei uns gehörte, aber ich war mega froh, als sie absagten. Noch eine Stunde länger mit ihm in einem Raum, hätte ich nur schwer ausgehalten. Ich begleitete sie bis nach unten und als wir dann am Wagen waren, meinte Agron plötzlich, er habe seine Autoschlüssel auf dem Tisch liegen lassen. 

„Ihr könnt euch hier verabschieden, ich geh kurz wieder mit Dafina nach oben.“, sagte er. 

Mein Herz blieb stehen. Ich wollte Besa oder Flamur mitnehmen, aber beide wollten kein Aufzug fahren. Verdammt! Das hatte er zu 100% mit Absicht gemacht! Ich setzte ein Lächeln auf und drückte Teuta fest an mich. Dann gab ich den Kindern einen Kuss und ging mit Agron wieder zurück. Ich betete zu Gott, dass irgendjemand mit uns fahren würde und mein Gebet wurde erhört. Ein Ehepaar stieg zu uns, bevor sich die Türen schlossen. Ich sagte kein Wort, es war still im Aufzug. Ganz deutlich jedoch hörte ich das Klopfen meines Herzens. Noch 4 .. noch 3 .. noch 2 .. noch 1 .. peng! Die Aufzugtüren öffnete sich, ich raste an dem Paar vorbei, kramte währenddessen die Schlüssel aus meiner Hosentasche und schloss schnell die Tür auf. Bevor Agron eintreten konnte, knallte ich sie wieder zu. 

„Was soll der scheiss? Mach dir Tür auf!“, brüllte er lautstark. 

Hastig rannte ich ins Wohnzimmer, nahm die Autoschlüssel, die auf den Tisch lagen und ging wieder zurück. Ich legte die Kette an und öffnete die Tür einen Spalt breit. Agron drückte dagegen und stieß einen leisen Fluch aus, als er sah, dass die Kette dran war. 

„Du wirst mich nicht los. Hörst du? Niemals, wirst du mich los ..“, flüsterte er. 

Mir lief es eiskalt den Rücken runter und ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Mit zitternden Fingern warf ich ihm die Schlüssel zu Füßen und knallte dann die Tür zu. Meine Hand legte sich an meinen Hals, ich rang nach Luft. Dieser elender Hund .. ich hasste ihn so sehr! Im Wohnzimmer, warf ich einen Blick aus dem Fenster, und sah einige Augenblicke später, wie der Wagen los fuhr. Schwer atmend warf ich mich auf die Couch. Er hatte Recht. Ich würde ihn nicht loswerden .. niemals! Ein Schrei entfuhr meiner Kehle und hätte ich diesen nicht mit dem Couchkissen gedämpft, würde er locker durch das ganze Gebäude gehen. Und wie jedes mal blieb er lautlos, nur für mich hörbar. Es tat so unbeschreiblich weh! Ich fühlte mich hilflos und allein! Und das schlimme daran war, dass ich nicht nur so fühlte, sondern, dass es auch so war. Ich hatte nichts und niemanden, an den ich mich wenden konnte! Automatisch bewegte mein Körper sich ins Bad, dort stieg ich aus meinen Jeans und schnitt mich wieder. Das zweite mal, innerhalb von einer Woche. Rückfall. Erneut war alles kaputt. Erneut hatte ich versagt. Erneut hatte ich vergeblich gekämpft... 

Ich musste auf andere Gedanken kommen. Mich beschäftigen. Nicht ständig an ihn denken, sonst wuchs der Schmerz wieder. Ich wollte auch nicht ans Schneiden denken, das machte mich fertig. Dagegen anzukämpfen war gut, aber ich hatte das Gefühl, zu schwach dafür zu sein, was meine Rückfälle auch zeigten. Viele meinen, sich selbst zu verletzten sei dumm und unmenschlich. Aber nein! Dumm und unmenschlich ist es, jemanden dazu zu bringen! Und genau das tat Agron. Er war an allem Schuld! Er hatte Schuld, dass ich so kaputt war! Tränen der Verzweiflung rangen mir über das Gesicht. Ich musste raus hier, frische Luft schnappen. Meine Augen waren noch ganz geschwollen, aber ich griff trotzdem nach meiner Tasche und verließ die Wohnung. Als ich auf den Aufzug wartete, trat plötzlich Kaan neben mich. Auch das noch .. 

„Schöner Samstag, nicht wahr Frau Asllani?“, fragte er zuckersüß. 
„Wunderschön, schöner geht es gar nicht!“, antwortete ich. 

Meine Ironie war nicht zu überhören und als ich zur Seite sah, verschwand das Lächeln aus seinem Gesicht. Die Türen öffneten sich und diesmal war es mir irgendwie total egal, dass ich mit ihm nach unten fahren musste. Er stand ruhig neben mir und hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Das Schweigen das sich zwischen uns ausbreitete, war jedoch nur von kurzer Dauer. 

„Hast du geweint?“, fragte er vorsichtig. 
„Was interessiert dich das?!“, fuhr ich ihn an. 
„Gute Frage. Vielleicht liegt es daran, dass ich Menschen nicht gerne weinen sehe?“ 
„Ach nein .. hör auf, sonst heule ich noch vor lauter Rührung.“, meinte ich sarkastisch. 
„Es ist wirklich so!“ 
„Schön für dich.“
„Willst du reden?“
„Mit wem? Nein warte, lass mich raten. Mit dir, oder?“, spottete ich. 

Ich fing hysterisch an zu Lachen, als er plötzlich mein Handgelenk packte. Bislang hatte ich in die Luft gestarrt, aber nun sah ich ihm direkt in die Augen. Obwohl das der falsche Zeitpunkt dafür war, fiel mir sofort auf, wie hübsch er war. Selbst der gekränkte Gesichtsausdruck, änderte nichts daran. 

„Wieso bist du so abweisend?“, fragte er leise. 

Seine Stimme klang sanft, sein Griff war auch eher locker. Sein Blick war auf irgendeine Art und Weise, flehend und mitfühlend, was ich als absurd empfand. Er kannte mich doch gar nicht! Außerdem war mir seine plötzliche Nähe nicht ganz geheuer. Ich riss mich los und wandte mich ab. 

„Fass mich nicht an.“, zischte ich. 
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“, hakte er nach. 

Die Aufzugtür sprang auf, ich flüchtete nach draußen, aber er folgte mir. 

„Warte doch!“, rief er mir hinterher. 
„Lass mich in Ruhe man!“, brüllte ich ihn mitten auf der Straße an. 
„Ist ja gut ..“ 

Er hob entschuldigend die Hände und blieb dann stehen. Ich kehrte ihm den Rücken zu und lief dann weiter. Erst ziellos, dann jedoch bewusst Richtung Uni. Als ich dort ankam, setzte ich mich in die Bibliothek und fing an, mir irgendwelche Gesetzte rein zu ziehen. Ich kannte Frustessen, aber dass es auch sowas wie Frustlernen gab, war mir neu. Jedenfalls saß ich Stundenlang da und blätterte das gesamte Buch durch. Mergim und Arjeta hatten mir geschrieben, aber ich antwortete nicht. Stattdessen schaltete ich mein Handy aus und warf es in meine Tasche. Wahrscheinlich stand mal wieder irgendeine Party an, auf die sie mich mitschleppen wollten. Ich hatte keine Lust darauf. Nicht jetzt. Nicht heute. Was ich jetzt brauchte war Ruhe und die fand ich gerade nur hier. Mein Magen knurrte, aber ich verdrängte den Hunger und zwang mich weiterzulesen. Gegen 19 Uhr überkam mich jedoch eine extreme Müdigkeit. Ausgepowert rieb ich mir die Augen und nippte an meiner Wasserflasche, die ich mir unterwegs gekauft hatte. Ich packte die Bücher weg und schlenderte aus der Bibliothek, als auf einmal drei Typen auf mich zu kamen. 

„Sieh an, sieh an. Haben wir hier eine kleine Streberin gefunden?“, sagte einer von ihnen... 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt