Kapitel 38 :
Müde, müde, und nochmals müde. So hatte ich mich in den letzten Tagen gefühlt, aber nun war ich hellwach! Teuta hatte mir geschrieben und ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich nicht überrascht war. Lange, sehr lange starrte ich auf mein Display und las die Nachricht immer wieder durch.
'Dafina, komm heute Abend bitte zu mir. Agron ist übers Wochenende auf einem Meeting. Mama ist seit ein paar Tagen hier, sie ist total am Ende. Bitte komm, wir müssen reden.'
Sie ist total am Ende. Wegen mir. Mich plagte gerade so ein schlechtes Gewissen! Der Gedanke daran, dass Mama sich wegen mir, mit Papa gestritten hatte, war einfach unerträglich! Ich würde nicht zulassen, dass jetzt alle daran kaputt gehen. Es reichte, dass ich kaputt war. Schließlich war es meine Entscheidung gewesen und ich musste die Konsequenzen tragen, wie Mergim auch gesagt hatte. Wobei .. welche Entscheidung eigentlich? Ich hatte mich nicht gegen meine Eltern entschieden, das stimmte nicht. Sie waren es, die sich gegen mich entschieden hatten ..
Zwei Stunden später saß ich im Zug Richtung Mannheim. Keine Sekunde hatte ich gezögert, obwohl Kaan mir davon abgeraten hatte. Er war wieder ganz der Alte. Der Kaan, der mich liebt, unterstützt und beschützt. Mergim erwähnte er nicht mehr. Vielleicht hatte er eingesehen, dass er übertrieben hatte. Seine Eifersuchtsszenen waren jetzt Fehl am Platz. Eigentlich wollte er mich herfahren, aber dann bekam er plötzlich einen Anruf von der Arbeit. Es war wohl ohnehin besser, wenn ich mit dem Zug fuhr. In Teutas Nachricht stand, dass wir reden müssten. Ich war aufgeregt und konnte kaum still halten, da ich nicht wusste, was mich erwartete. Was hatte Mama mir zu sagen? Hatte Papa seine Meinung vielleicht geändert? Zu schön, um wahr zu sein. So sehr war ich in meinen Gedanken versunken, dass ich die Blicke, die mir zugeworfen wurden, übersah.
„Das ist doch die Tochter von Abedin, die mit einem Türken durchgebrannt ist.“
Es war unmöglich diesen Satz zu überhören, und ich wage zu behaupten, dass diese Person mit Absicht so laut gesprochen hatte. Ich sah nach rechts und plötzlich war es still. Eine dunkelhaarige Frau in Mamas alter saß dort, mit einem Mädchen, die ihre Tochter sein könnte. Ich hätte schwören können, dass ich diese zwei Personen, noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte. Aber wie es aussah kannten sie mich. Die Frau nahm einfach ihren Blick nicht von mir, sondern musterte mich abschätzend. Irgendwie war ich von dieser Dreistigkeit keineswegs überrascht. Immerhin starrte das Mädchen peinlich berührt auf ihren Schoß. Ich sah wieder aus dem Fenster und versuchte das zu ignorieren. Mit einer Hand schirmte ich dabei mein Gesicht von der Seite ab. Die Landschaft flog an mir vorbei, nach einer Weile wurde mir schwindelig, aber ich wagte es nicht mich zu rühren. Das Gerede dieser Frau, drang unaufhörlich in meine Ohren und ich hatte Mühe mich zu beherrschen. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Knie.
„Alles okay bei ihnen?“
Ein alter Mann, der Gegenüber von mir saß, sprach leise auf mich ein. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt, vielleicht, weil ich einfach zu sehr in Gedanken war und bis auf diese Hexe gar nichts wahr nahm. Dieser Mann, der bestimmt schon auf die 70 zuging, hatte etwas herzliches und vertrautes an sich, das mir ein schwaches Lächeln entlockte. Ich nickte auf seine Frage, doch dann hob er seinen Finger und zeigte auf meine Wange.
„Wieso weinst du Kleines?“, hakte er nach.
„Ich .. ehm .. es ist nichts.“Hastig wischte ich mir die Träne aus dem Gesicht. Na toll. Jetzt hatte ich schon angefangen im Zug zu heulen. Obwohl man bei meiner Situation eh durchgehend heulen könnte! Sein mitfühlender Blick, ließ eine Gänsehaut durch meinen Körper wandern. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Frau mich anstarrte. Meine Lippe bebte. Verdammt, reiß dich zusammen, blaffte mich mein Unterbewusstsein an. Der Mann muss gemerkt haben, dass ich nicht zum tratschen aufgelegt war, denn er lehnte sich wieder zurück und schloss seine Augen. Er schien entspannt, sorgenfrei und seinem leichten Lächeln nach zu urteilen, auch glücklich. Wie sehr ich ihn beneidete.
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...