Kapitel 4

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Kapitel 4 : 

Ich bekam keinen Laut aus meinem staubtrockenen Mund. Wie angewurzelt stand ich da und sah wie Teuta auf uns zu kam. Ich drehte mich um und drückte die Zigarette in dem Aschenbecher aus, den ich vorhin mitgenommen hatte. Wie lange stand sie schon da? Hatte sie uns etwa gehört? 

„Dafina ist ein bisschen traurig, da sie wieder mit mir Karten spielen muss. Letztes mal hat sie verloren, das weisst du ja.“, ergriff Agron das Wort. 

Er legte den Arm um Teuta und zog sie an sich. Dieser kleine Kuss, den er ihr auf die Schläfe drückte, sorgte dafür, dass sich in meinem Magen alles drehte. Sein Lächeln war so hinterhältig. Er spielte mit mir, ja. Aber das war kein Kartenspiel, hier ging es um was ganz anderes. 

„Ach, das hat sie von mir. Ich hasse verlieren.“, lachte Teuta. 

Es war in der Tat so. Und soeben wurde mir bewusst, dass ich erneut verloren hatte. Ich setzte mein Fake Lächeln auf und stimmte zu. Das Zittern meiner Finger versteckte ich, in dem ich die Hände vor der Brust verschränkte. Aus dem Haus, hörte man die anderen nach uns rufen. Meine Rettung!

„Geht ihr schon mal vor, ich komme gleich nach. Muss kurz telefonieren.“, sagte ich lächelnd. 
„Beeil dich aber, das Essen ist gleich fertig.“, erwiderte Teuta. 

Die beiden schlenderten Hand in Hand zurück, an der Tür jedoch hielt Agron nochmal inne und drehte sich zu mir um. 

„Achja, Rauchen schadet der Gesundheit.“, sagte er erneut. 
„Danke für die Info, Schwagerherz. Ich werde es mir merken.“, antwortete ich gespielt freundlich. 

Ein paar Augenblicke später waren sie endlich wieder drinnen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen eine der Balken und vergrub das Gesicht in meine zitternden Hände. Mehrmals atmete ich tief durch und versuchte so, das Chaos in meinem Inneren unter Kontrolle zu kriegen. Wie lange würde ich das noch aushalten? Diese ganze Show, seine ständigen Berührungen, unsere unvermeidbaren Treffen? Würde das jemals ein Ende haben? Ich hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht, aber jetzt .. vielleicht würde das aufhören, wenn ich einen Mann an meiner Seite hätte? Ich verdrängte diesen absurden Gedanken und nahm mein Handy aus der Handtasche. Es gab kein Platz in meinem Leben, für einen Mann. Kein Platz für Liebe, in meinem Herzen. Ich wollte das nicht. In ein paar Jahren vielleicht. Aber nicht jetzt! Doch wie heißt es so schön? Die meisten Dinge im Leben kommen unerwartet, und fragen dich nicht, ob du es willst oder nicht .. 

Ich tippte eine kurze Whatsapp Nachricht an Mergim, und ging unterdessen mit langsamen Schritten wieder ins Haus. Die anderen hatten sich im Esszimmer versammelt, und saßen nun am Tisch, während meine Schwestern das Essen servierten. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und nahm anschließend neben meiner Oma Platz. Im Gegensatz zum Rest des Hauses, war dieses Zimmer ziemlich schlicht. Ein großer Tisch, ein schöner kleiner Schrank und ein paar Bilder an den Wänden. Ich würde es fast als schön bezeichnen, wäre da nicht dieser hässliche Kronleuchter, der direkt über den Tisch hing. Viel zu groß und viel zu protzig. Mit Sicherheit war das Agrons Idee, der es liebte seinen „Reichtum“ zu zeigen. Ich versuchte mich auf das Essen zu konzentrieren. Nur noch zwei verdammte Stunden in dieser Hölle und dann wäre ich endlich befreit. Vorerst zumindest. Mergim schrieb mir nicht zurück, was mich irgendwie kränkte. Aber er hatte mir Versprochen, dass er gegen 21:30 Uhr kommen würde, deshalb machte ich mir keine Sorgen. Bislang hatte er nie eines seiner Versprechen gebrochen, und wieso sollte jenes ausgerechnet jetzt passieren? 

„Dafina bist du auch noch da?“

Donas Stimme riss mich aus meinen Gedanken. 

„He, was?“, fragte ich verwirrt. 
„Geistlich ist sie schon lange in Köln.“, lachte mein Schwager Gent. 

Die anderen stimmten mit ein, nur Mama fing plötzlich an zu weinen. Irgendwie tat es weh, von zu Hause auszuziehen. Aber das musste nun mal sein. Ich hatte Ziele, die ich erreichen wollte und das ging hier nicht. Das ging in seiner ständigen Nähe nicht! Mit wackeligen Beinen stand ich auf und legte einen Arm um sie. 

„Mam mos. (Mama, hör auf.)“, sprach ich behutsam auf sie ein. „Es sind doch nur knapp zwei Stunden. Ihr tut so, als ob ich ans Ende der Welt ziehe.“

Ich schaffte es, meine Tränen zurück zu halten und war irgendwie dankbar dafür. Nur ungern zeigte ich Schwäche, das gehörte nicht zu mir. Dafina weinte nicht. Nicht vor anderen ... 

Nach dem Essen, war mal wieder Karten spielen angesagt. Eigentlich war mir ja nicht danach zu mute, aber irgendwie wollte ich gewinnen. Gegen ihn. Ein kleiner Triumph, auch wenn es nur ein Kartenspiel war, würde mir bestimmt gut tun. 

„Auf ein faires Spiel.“, grinste Agron mich an und streckte mir seine Hand hin. 
„Sei nicht beleidigt, wenn du verlierst.“, antwortete ich. 

Ich griff kurz nach seiner Hand und mischte dann die Karten. Am liebsten würde ich ins Badezimmer rennen und mir meine Hand waschen, so sehr ekelte ich mich vor ihm. 

„Ich bin ein Gewinner. Ich heiß nicht umsonst Agron.“ 
„Dein Name ist hässlich.“, sagte mein Neffe Gzim plötzlich. 
„Gzim! Sowas sagt man nicht.“, tadelte Mimoza ihren Sohn.

Unerwartet prustete ich los, zwinkerte Gzim anschließend zu und hob meinen Daumen. Dieser grinste mich wie ein Honigkuchenpferd an. Kinder sind einfach herrlich! 

„Ich trag den Namen eines Königs Kleiner.“, sagte Agron stolz. 
„Sogar die passende Königin hab ich an meiner Seite.“, fuhr er fort und zeigte zu Teuta. 
„Tezja nime si mbreteresh esht! (Tante ist wirklich wie eine Königin.)“

Purer Zufall, dass die beiden so hießen, wie das Königliche Illyrische Paar damals. Als das Spiel dann endlich losging, herrschte eine gute Stimmung. Alle schienen sich zu amüsieren und auch meine Laune besserte sich, denn ich gewann eine Hand nach der anderen. Agron setzte eine lächelnde Miene auf, aber ich wusste, dass er sich ärgerte. Voller Genugtuung lehnte ich mich schließlich zurück und genoss den Sieg. 

„E zoja je. (Du hast es drauf.)“, gab er zerknirscht von sich. „Aber beim nächsten mal, besiege ich dich.“

Beim nächsten mal? Sein Lächeln irritierte mich. Doch dann wurde mir klar, dass er damit kein Kartenspiel meinte. Um meine Unsicherheit zu verbergen, nippte ich an meinen Tee. Mein Atem beschleunigte sich, unruhig sah ich auf mein Handy. Nur noch 20 Minuten. Es waren nur noch 20 Minuten! Ich würde das schon irgendwie schaffen...

Für den Rest der Zeit, kuschelte ich mich zwischen Oma und Mama, und vertiefte mich in ein Gespräch mit meinen Schwestern. Es tat gut, immer mal wieder zusammen zu sitzen und über die alten Zeiten zu reden. Mit ihnen fühlte ich mich wohl, außerdem gab es keine Fremden, die uns störten. Agrons Eltern waren schon seit ein paar Jahren tot, und zu seinen Verwandten hier, hatte er keinen sonderlich guten Kontakt. Außerdem war er ein Einzelkind. Als es schließlich kurz nach 21:30 Uhr war, wurde ich langsam nervös. Mergim hatte mir noch immer nicht geantwortet und auch seine Anrufen nahm er nicht entgegen. Beim 5. Versuch meldete sich dann allen ernstes auch noch die Mailbox! Leise fluchte ich vor mich hin. 

„Was ist los?“, fragte Teuta mich. 
„Mergim wollte mich heute mitnehmen nach Köln, aber er meldet sich nicht.“
„Dafin, das ist doch kein Problem. Agron fährt dich.“ 

Ich erwiderte ihr Lächeln, obwohl mir das Herz mittlerweile bis zum Hals schlug. Wenn Mergim mich in Stich lassen würde, dann hätte ich gar keine andere Wahl, als mit ihm zu fahren. Papa konnte ich die Fahrt nicht zumuten, außerdem würde er sowieso in 3 Stunden arbeiten müssen. Schichtarbeit. Zeitlich passte es also nicht. Ich konnte ja meine anderen Schwager fragen, aber die sind auch nur mit einem Auto da. Rückzieher machen und das Vorstellungsgespräch verpassen? Kam nicht in Frage. Mein Gepäck hatte ich sowieso schon dabei. Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich Papas Angebot abgelehnt hatte, als er mir vor ein paar Monaten ein Auto kaufen wollte. Was mir jetzt blieb war beten. Beten, dass Mergim doch noch kommen würde. 

Niedergeschlagen musste ich feststellen, dass meine Gebete nicht erhört wurden. Gegen 22:30 Uhr, meinte Teuta schließlich, dass ich nicht länger warten sollte. Ich konnte es nicht fassen, dass Mergim mich wirklich links liegen gelassen hatte! Es war Zeit zum Abschied nehmen. Ich fiel allen um den Hals und hielt diesmal meine Tränen nicht zurück. Wenn ich ehrlich sein sollte, wusste ich in diesem Moment nicht, wieso genau ich weinte. Es lag sicher nicht nur an der Tatsache, dass ich von zu Hause wegzog. Sondern viel mehr daran, dass ich über 2 Stunden mit Agron zusammen sein würde. In seinem Auto. Allein! Selbst der Gedanke daran, ließ pure Angst durch meinen Körper strömen und trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Als ich letztendlich in den Wagen stieg, schnallte ich mich direkt an und rutsche soweit es ging an die Tür. 

„Braves Mädchen. Schön anschnallen.“, flüsterte Agron, als wir gerade aus der Ausfahrt fuhren. 

Seine leise Stimme klang .. fast schon bedrohlich. Ich hatte Angst. Eine Heidenangst! Aber ich ließ mir nichts anmerken. Meinen Blick hielt ich starr nach rechts und sah zu, wie wir eine Landschaft, nach der anderen hinter uns ließen. So langsam aber sicher, verschwanden Mannheims Lichter. Wir hatten Ende September, um diese Uhrzeit war es dementsprechend relativ kühl. Das war aber nicht der einzige Grund, wieso ich mich für diesen knielangen Rock und dem hauchdünnen Top, am liebsten ohrfeigen wollte. Ich fühlte mich so schutzlos. Zu meiner Überraschung, sagte Agron kein weiteres Wort mehr. Wir fuhren und fuhren, während Schweigen herrschte. Gute zwei Stunden vergingen. Vielleicht hatte er sich entschieden, mich heute in Ruhe zu lassen? Vielleicht, so dachte ich, würde ich heute verschont werden? Plötzlich hielt der Wagen. Agron schaltete seinen Motor aus. Ich schaute nach vorne und schaffte es nur mit Mühe zu schlucken. Ich befand mich nicht vor meiner Wohnung. Nein .. das war eine dunkle, verlassene Gasse. Kurz darauf spürte ich eine kalte Hand an meinen Oberschenkel und kniff die Augen zusammen. Mein Körper versteifte sich. 

„Bitte nicht .. bitte ..“, flehte ich leise .. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt