Kapitel 26

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Kapitel 26 : 

„Oh mein Gott, Gimi?!“, schrie ich ängstlich. 

Seine Hand war voller Blut! Auf dem Tisch lag das zerbrochene Glas, überall waren Splitter verteilt. Panisch sprang ich auf und drückte ihm eine Serviette auf die Hand. Das Blut quoll förmlich heraus und schon nach ein paar Sekunden, war die Serviette blutgetränkt. Arjeta saß versteinert auf ihrem Stuhl und rührte sich nicht. Ihre Kinnlade war weit nach unten geklappt. 

„Gib mir noch eine!“, wies ich sie an. 
„Ist schon gut.“, meinte Mergim tonlos.

Ohne auf seine Worte zu achten, griff ich nach zwei weiteren Servietten. Fast alle Blicke im Restaurant waren auf uns gerichtet. Ein Kellner kam auf uns zu und verzog beim Anblick des Blutes, angewidert das Gesicht. So ein Dummkopf, ich wollte ihn schon anblaffen, entschied mich aber letztendlich dagegen. Mergim war jetzt wichtig. 

„Wie hast du das denn angestellt?!“, fragte ich aufgebracht. 
„Keine Ahnung. Das Glas scheint wohl nicht das beste zu sein.“, antwortete er. 
„Wir fahren zum Arzt, los.“
„Nein, ist nicht nötig. Ich geh ins Bad und wasch mir die Hand, dann essen wir.“, sagte er ruhig.
„Junge, du verblutest gerade!“
„Übertreib nicht Dafin!“, brüllte er zurück. 

Seine plötzlich laute Stimme, ließ mich zusammen zucken. Er zog seine Hand weg und stand dann auf. Für einen Moment war es so leise, dass ich laut und deutlich meinen Herzschlag hören konnte. Bislang stand der Kellner wortlos neben uns, aber endlich ergriff er das Wort. 

„Kann ich irgendwie helfen?“, fragte er. 
„Ja. Beseitigen sie das Chaos und decken sie den Tisch neu.“, förderte Mergim. 

Ich wollte gerade wütend Einspruch erheben, als Arjeta plötzlich eingriff. 

„Ja. Sie können das Chaos beseitigen und den Tisch neu decken, jedoch nicht für uns. Wie wäre es, wenn sie uns stattdessen die Rechnung bringen? Wir fahren nämlich ins Krankenhaus.“ 

Ihre Stimme klang so freundlich wie immer. Der Kellner warf einen verwirrte Blick zwischen uns dreien und wusste nicht recht, was zu tun war. Arjeta räusperte sich und gewann so wieder die volle Aufmerksamkeit des Kellners. Statt etwas zu sagen, hob sie eine Augenbraue und fixierte ihn intensiv durch ihre blauen Augen. Er wirkte eingeschüchtert von ihr. 

„Sie haben die Dame doch verstanden, oder etwa nicht?“, hakte ich nach. 
„Ich .. ehm, ja. Einen Augenblick bitte.“, stammelte er und verschwand dann auch schon. 

Mergim, dessen Hand noch immer nicht aufgehört hatte zu bluten, stand wortlos da und verfolgte das Schauspiel. Der kurze Schock, war überwunden. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und streckte ihm meine Hand hin, woraufhin er fragend die Augenbraue hob. 

„Die Schlüssel. Ich fahre!“, sagte ich mit fester Stimme, die keine Wiederworte duldete. 

Er fischte mit seiner gesunden Hand, die Schlüssel aus der Hosentasche und reichte sie mir. Kampflos. Der Kellner kam herbei geeilt und legte die Rechnung auf den Tisch. Mergim zupfte seinen Geldbeutel aus der hinteren Tasche und zog einen 50er und einen 20er hervor. Die Augen des Kellners leuchteten auf, als Mergim meinte, dass der Rest für ihn sei. 15 Euro Trinkgeld. Der Abend dieses Mannes schien gerettet zu sein, während unserer ruiniert war... 

Eine gefühlte Ewigkeit schon warteten Arjeta und ich auf Mergim, der im Behandlungszimmer war. Wir saßen nebeneinander auf der Wartebank. Während Arjeta einfach nur auf die weiße Wand starrte, tippte ich ungeduldig mit dem Fuß gegen den Boden. Wieso dauerte das so lange?! 

„Wie ist das passiert?“, fragte Arjeta plötzlich. 

Ich hob meinen Kopf und sah sie an. Mir kam es vor, als würde sie eher zu sich selbst sprechen, als zu mir. Eigentlich hatte ich noch gar nicht wirklich darüber nachgedacht, wie es passiert war. Trotzdem antwortete ich. 

„Es muss am Glas gelegen haben, wie Mergim meinte. Billigschrott.“, sagte ich. 
„Ja, vielleicht .. aber vielleicht hatte das auch einen anderen Grund?“
„Und der wäre?“

Unwissend zog ich meine Augenbrauen zusammen und sah sie irritiert an. Was für einen anderen Grund hätte es geben können? Einfach so aus Lust und Laune ein Glas zu zerdrücken, passte nicht zu Mergim. Ich wartete auf eine Antwort, aber es kam nichts mehr. Stattdessen wich sie meinem Blick aus und kramte in ihrer Tasche herum. Ich wollte nachhaken, aber mein Handy vibrierte plötzlich. Kaan hatte mir auf Whatsapp geschrieben. Komisch. Er wollte wissen wo und mit wem ich war, obwohl ich ihm schon Bescheid gegeben hatte. Ich verzichtete vorerst auf eine genaue Erklärung und schrieb einfach, dass ich bei ihm vorbeischauen würde, sobald ich wieder in der Wohnung war. Gerade als ich Arjeta wieder ansprechen wollte, kam Mergim aus dem Behandlungszimmer. Ein großer Verband lag um seine Hand. 

„Und?“, fragte ich aufgeregt. 
„Nicht schlimmes, die haben ein paar Splitter gezogen. Fertig.“ 

Er klang distanziert und schien nicht weiter darauf eingehen zu wollen. Da es ohnehin schon so spät war und Kaan auf mich wartete, ließ ich es vorerst dabei bleiben. Mergim fuhr uns anschließend zurück zu unseren Wohnungen. Die ganze Fahrt über, hatte so unangenehmes Schweigen geherrscht. Wo wir doch endlich wieder zu dritt chillen wollten, endete das ganze im Krankenhaus. Mein Magen war übrigens auch leer. 

„Ich mach das wieder gut. Versprochen.“, sagte Mergim zum Abschied. 

Ich lächelte ihm aufmunternd zu und ging dann mit Arjeta nach oben. So sehr war ich in Gedanken bei Kaan, dass ich vollkommen vergaß sie wegen vorhin auszufragen. Ich wünschte ihr eine gute Nacht und klopfte dann kurz darauf direkt bei Kaan an. Es dauerte nur ein paar Sekunden bis er an der Tür war. Er grinste breit, ließ mich eintreten und umarmte mich dann lange. 

„Hab dich heute vermisst.“, hauchte er mir ins Ohr. 
„Ich dich auch.“ 

Er drückte mir einen scheuen Kuss auf die Wange und grinste mich zuckersüß an. Als mein Magen plötzlich knurrte, fingen wir beide an zu Lachen. Was essbares könnte ich jetzt vertragen. 

„Soll ich was bestellen, oder gehen wir raus essen?“, fragte er lachend. 
„Raus .. hm, ist schon spät.“

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und hielt sie mir dann hin. Kurz nach 22 Uhr. Eigentlich noch recht okay, aber die Uhrzeit war nicht meine einzige Sorge. Wenn uns jemand sehen würde .. Andererseits war Köln so groß, es war eher unwahrscheinlich, dass uns jemand sieht, der uns kennt. 

„Hätte jetzt Lust auf einen Döner.“, schmollte Kaan. 
„Mit alles?“, fragte ich grinsend. 
„Mit alles, außer Zwiebel. Will doch später noch einen Kuss von dir.“ 

Er warf sich mit einem breiten Grinsen die Jacke über und anschließend verließen wir die Wohnung. Wir fuhren in die Innenstadt, zu Kaans Lieblings Dönerbude und setzten uns. 

„Nicht gerade romantisch, ich weiss. Das nächste mal lass ich mir was einfallen.“, meinte er. 

Romantisch war es wirklich nicht, aber ich fand es trotzdem perfekt, denn was zählte war, dass Kaan bei mir war. Außerdem hatte ich so einen Hunger, dass es mir egal war, wo wir aßen! Ich erzählte ihn was vorhin vorgefallen war. Er hörte mir aufmerksam zu, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich seine Laune dadurch geändert hatte. Auf dem Rückweg, sagte er kaum ein Wort und blockte total ab. Was zur Hölle, ging denn jetzt ab?! 

„Stimmt was nicht?“, fragte ich ihn, als er gerade parkte.
„Sollte denn etwas nicht stimmen?“ 

Diese Fragen, auf denen eine Gegenfrage folgte. Ich hasste es! 

„Kaan, lass das!“, sagte ich gereizt. 
„Ja, sorry. Was kann ich dafür .. ich mag es halt nicht, wenn du mit diesem Mergim unterwegs bist.“ 
„Dieser Mergim, wie du ihn nennst, ist wie ein Bruder für mich!“
„Das hatten wir schon.“
„Genau, deshalb ist die Diskussion hier auch beendet.“

Ich wollte aussteigen, aber er hielt mich am Handgelenk fest, zog mich zu sich und küsste mich. Es kam unerwartet, aber das hinderte mich nicht daran, den Kuss zu erwidern. Egal wie sauer ich gerade war. Wenn seine Lippen auf meinem Mund lagen, schien die Welt still zu stehen. 

„Kein Zwiebelgeruch. Keine Diskussionen. Nur Liebe!“ 

Völlig außer Atem, legte er seine Stirn gegen die meine. Schmunzelnd wartete er auf meine Reaktion, die dann auch prompt folgte. Ein weiterer, langer Kuss!

Nachdem wir uns eine kurze Serie angeschaut hatten, ging ich dann wieder in meine Wohnung. Ich nahm direkt mein Handy und rief bei Mergim an. Er klang zwar distanziert, aber versicherte mir, dass es ihm gut ginge und er Morgen Mittag vorbei kommen würde. Ich bestand darauf uns etwas zu kochen. Arjeta gab ich ebenfalls Bescheid, obwohl es bei ihr ein ganzes Stück Arbeit gewesen war sie zu überzeugen. Sie erfand 100 Ausreden, aber ich ließ nichts gelten. Voller Euphorie stand ich vor ihrer Tür und versuchte sie zu überzeugen. 

„Wenn du Morgen Mittag nicht kommst, dann rede ich kein Wort mehr mit dir! Das ist eine kleine Einleitungsparty für meinen Geburtstag. Hallo?! Stell dir vor, ich werde in 10 Tagen, ganze 20!“ 
„Seit wann feiert man sowas 10 Tage vorher?“, fragte sie. 
„Seit dem Jahre 1207, es war ein alter Brauch von den ..“ 
„Ja, Ja! Bitte verschon mich mit Geschichte. Du hast gewonnen.“, fiel sie mir lachend ins Wort. 
„Du kommst?“, fragte ich schmunzelnd nach. 
„Ja, ich hab ja keine andere Wahl.“ 

Ich fiel ihr kurz lachend um den Hals und rannte dann wieder zum Aufzug, das mich wieder in mein kuscheliges Bett brachte... 

Ich hatte mich mächtig ins Zeug gelegt, Arjeta war sogar früher gekommen und half mir mit dem „Festessen“. Zufrieden betrachtete ich das Blech mit dem Pite, das darauf wartete, von uns verschlungen zu werden. Noch viele andere leckere Sachen hatten wir gezaubert und warteten jetzt nur noch auf die Ankunft von Mergim. 

„Ich geh kurz ins Bad. Frisch machen.“, sagte Arjeta. 

Ich zwinkerte ihr vielsagend zu, woraufhin sie mir den Vogel zeigte. Gerade als sie im Bad verschwand, läutete es an der Tür. Mergim war da, ich führte ihn ins Wohnzimmer und setzte mich neben ihn. Ehe er etwas sagen konnte, sprach ich ihn auf Arjeta an. Ich hatte es ohnehin schon lange vorgehabt. 

„Sie ist total hübsch und intelligent. Ein gutes Mädchen ist sie übrigens auch. Meinst du mit euch beiden, kann das was werden? Ihr wärt ein Traumpaar.“, sagte ich lächelnd. 

Ich sah zu wie sich Mergims Miene verfinsterte. Wütend sprang er auf und fing an zu brüllen. 

„Ich habe kein Interesse an ihr, hat sie das denn immer noch nicht verstanden?“ 

Eskalation pur, was folgen würde, das spürte ich .. 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt