Kapitel 68 :
„Bist du .. bist du dir sicher?“, fragte er vorsichtig.
War ich mir denn sicher? Schon etliche Nächte hatten wir in früheren Zeiten zusammen verbracht, als Freunde, versteht sich. Ich erinnere mich noch, als wir nach Omas Beerdigung gemeinsam im Hotelbett lagen und ich am nächsten Morgen in seinen Armen aufwachte. Schon damals hatte ich Herzrasen bekommen, hatte es aber verdrängt, weil ich vergeben war. Weil ich dachte, ich würde etwas falsches tun, obwohl ich ja eigentlich nichts getan hatte. Loyalität gegenüber Kaan war mir sehr wichtig. Ich hätte ja damals noch nicht ahnen können, dass er Dreck am stecken hatte und ich nichts weiter als ein Spielzeug gewesen war. Mergim und ich waren jetzt zwar schon seit knapp einem Monat ein Paar, jedoch ließen wir es langsam angehen. Ich glaube, das lag zum größten Teil an dem, was ich erlebt hatte. Es war jetzt nicht so, dass ich die Nähe von ihm nicht ertragen konnte, ganz im Gegenteil. Ich liebte Mergims Nähe, ich brauchte sie wie andere die Luft zum Atmen brauchten. Seine sanften Hände, seine zärtlichen Küsse auf die Stirn, sie waren wie Medizin für meine Seele. Und trotzdem war da ein unsichtbares Band zwischen uns. Seine Küsse waren jedes mal sehr einfühlsam und eher zurückhaltend. Er nahm Rücksicht auf mich, und um ehrlich zu sein wünschte ich mir manchmal, er würde das nicht tun. So eigenartig sich das auch anhörte ..
„Ja.“, antwortete ich schließlich auf seine Frage.
Ich war mir sicher. Ich wollte, dass er bei mir ist. Ich wollte, dass er neben mir im Bett liegt, mich in den Arm nimmt und wir gemeinsam einschlafen. Ich wollte mich an seine Brust kuscheln, seinem regelmäßigen Herzschlägen lauschen. Ich wollte am nächsten Morgen aufstehen und ihn neben mir liegen sehen. Ihm beim Schlafen zusehen, oder umgekehrt. Schutz, Geborgenheit und Liebe. Das war alles, was ich im Moment brauchte und nur er war imstande mir das zu geben. Er näherte sich mir, mit seinem süßen Lächeln. Es sah so aus, als sei er sehr erleichtert über meine Antwort. Ich legte meine Hände auf seine Brust, während er mit seinen Armen meine Taille umschloss. Langsam stellte ich mich auf Zehenspitzen und hauchte ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen. Die Berührung löste eine Gänsehaut in mir aus .. eine angenehme. Er roch so himmlisch!
„Mit diesem Duft, schlafe ich bestimmt innerhalb von wenigen Sekunden ein.“, sagte ich.
Lächelnd drückte er mir einen Kuss auf die Nasenspitze und zog mich dann ins Schlafzimmer. Schweigend zog er sich die Jacke aus. Unterdessen holte ich noch eine weitere Decke aus dem Schrank und breitete sie auf dem Bett aus. Unglaublich, dass er unter der Jacke nur ein Tshirt trug. Bei dem Wetter! Die Kälte schien ihm nichts auszumachen. Nachdem er sich auch die Socken abgestreift hatte, warf er sich auch schon auf das Bett. Ich tat es ihm gleich, entledigte Jacke und Socken und legte mich dazu. Das Bett war in etwa genauso groß, wie das eine im Hotel. Mit einem einzigen Unterschied. Wo sich damals noch jeder von uns in seine Betthälfte gedrängt hatte, fanden wir uns nun in der Mitte wieder. Ich drehte mich zur Seite und kuschelte mich an Mergim. Dieser legte einen Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf den Kopf.
„Gute Nacht.“, flüsterte er mir ins Ohr.
Eingehüllt in seiner Umarmung fühlte ich mich augenblicklich wohl und entspannte mich. Es war so ein .. ereignisreicher Tag gewesen und Morgen würde ich wohl entscheiden müssen, wie ich nun vorgehen wollte. Aber das war gerade alles nicht von Relevanz. Wichtig war, das Hier und Jetzt. Mergim und ich. Alles andere konnte warten, musste warten.
„Gute Nacht.“, sagte ich nach einer Weile, mit schon längst geschlossenen Augen.
Und dann war sie plötzlich da. Die Angst, diese schreckliche Angst davor, dass wenn ich meine Augen zu lange geschlossen halte, er auftaucht. Agron, das Übel. Es war ein überwältigendes Gefühl von Hilflosigkeit. Die Albträume kamen, fragten mich nie um Erlaubnis. Sie zerrissen mich jedes mal aufs Neue. Aber eine Sache tröstete mich. Wenn ich schweißgebadet und schreiend aufwachen sollte, hatte ich mit Mergim jemanden an meiner Seite, der mich hält. Der mich fest hält und mir sagt, dass es vorbei ist, dass alles okay ist, dass er da ist. Dieser Gedanke beruhigte mich und schließlich schlief ich auch irgendwann ein ..
Am nächsten Morgen wurde ich durch ein komisches Geräusch geweckt, das vom Wohnzimmer kam. Mergim lag nicht mehr neben mir. Ich richtete mich und streckte mich gähnend, als er auf einmal durch die Schlafzimmertür kam. Er sah zufrieden aus, das ließ mich sein Lächeln wissen.
„Was ist das für ein Lärm?“, fragte ich.
„Heizungsmonteur. Er ist aber schon fertig, hat nur ein Teil ausgewechselt.“
„Wieso hast du mich nicht geweckt?“
„Wieso sollte ich? Gleich ist es hier wieder warm.“
„Unter der Decke ist es auch warm.“
Ich strecke ihm die Zunge raus und ließ mich müde wieder zurück fallen. Den ganzen Tag unter der Decke liegen und an nichts denken. Das wäre es jetzt .. nur leider war das nicht möglich. Mergim beugte sich über mich und drückte mir einen sanften Kuss auf die Stirn.
„Lass uns irgendwo was frühstücken gehen, okay?“
Ich nickte, woraufhin er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich und mir einen weiteren Kuss gab. Diesmal auf die Lippen ..
Endlich hatte ich etwas im Magen. Das Frühstück verlief ruhig, fast schon schweigend hatten wir gegessen. Wir waren nun wieder in der Wohnung und eigentlich wollte ich mit Mergim darüber reden, wie ich nun vorgehen sollte, aber stattdessen lief er im Wohnzimmer auf und ab und schrie mich an.
„Das kannst du nicht machen!“, brüllte er.
„Mergim ..“
„Nein, nichts Mergim! Irgendwann reicht es Dafina, irgendwann musst du den Mund aufmachen. Du kannst nicht ewig schweigen und darauf hoffen, dass alles von selbst gut wird.“
„Das tu ich doch gar nicht!“, brüllte ich nun zurück.
Ich hatte echt die Schnauze voll! Nicht einmal in Ruhe ausreden ließ er mich. Wie sollte ich ihm so erklären, was genau ich eigentlich vor hatte?
„Du hättest schon viel früher reden müssen! Wir schalten die Polizei ein. Agron kriegt, was er verdient und fertig! Da gibt es nichts zu diskutieren.“
„Schalt doch mal dein Studentenhirn ein.“, sagte ich.
Ich versuchte ruhig zu bleiben, obwohl ich zitterte. Er drehte mir den Rücken zu und fuhr sich dabei durch die Haare. Mein Gott, war ich wütend!
„Denk wie ein Jura Student .. wir haben keinerlei Beweise! Wir haben nichts, absolut nichts, was Agron mit diesem Bordell oder was auch immer es ist, in Verbindung bringt! Die Mappe ist nach Arjetas Tod auch verschwunden! Mein Wort, gegen seines. Auf Kaans Wort, können wir eh nicht zählen, das hatte ich dir schon erwähnt.“
Ich stand auf und ging auf ihn zu. Vorsichtig legte ich meine Hand auf seine Schulter und sofort drehte er sich um. Hilflosigkeit spiegelte sich in seinem Blick wieder.
„Wir stehen mit leeren Händen da Mergim. Ich muss etwas finden, irgendwas. Erst dann können wir zur Polizei, verstehst du das denn nicht? Es wird ein Riesen Tumult entstehen und ich will nicht den Kürzeren ziehen. Diesmal nicht! Ich darf nicht unüberlegt handeln, diesen Fehler darf ich nicht wieder tun. Noch eine Niederlage, werde ich nicht ertragen ..“
Meine letzten Wörter hörten sich erschreckend .. ängstlich an. Er nahm meine Hände und führte sie zu seinem Mund. Seine Lippen legten sich auf meinen Handrücken und blieben dort liegen.
„Ich will nicht noch einmal gegen ihn verlieren ..“, flüsterte ich.
„Du erwartest von mir, dass ich mit verschränkten Armen hier herum sitze, während du in Agrons Büro herum schnüffelst und .. das ist .. oh Gott.“
„Das ist notwendig.“, sagte ich.
„Ich komme mir vor wie ein Nichtsnutz.“
„Gimi, bitte ..“
„Nein, wirklich. Ich lass mein Mädchen so etwas gefährliches tun und schaue dabei zu.“
„Es wird nichts passieren.“, versicherte ich ihm. „Teuta und die Kinder sind sowieso zu Hause.“
Ich umschlang ihn mit meinen Armen und drückte ihn fest an mich. Er erwiderte meine Umarmung, strich mir behutsam über den Rücken und vergrub das Gesicht in meine Haare. Das Thema war damit erledigt. Ich würde tun, was ich tun musste...
Ich ließ ein paar Tage verstreichen. Ging zur Uni, in die Bibliothek und lernte. Ich telefonierte zu Hause und mit meinen Schwestern und sagte zu Teuta, dass ich sie besuchen kommen würde. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, da sie sich sehr über mein Kommen freute. Schließlich ging ich ja nicht zum Spaß dorthin. Freiwillig würde ich nie wieder mehr ein Fuß in dieses Haus setzten..
Freitag Nachmittag war es dann soweit. Mergim begleitete mich bis zum Auto und drückte mich dann lange an sich. Er machte sich Sorgen, das war klar, aber mir blieb keine andere Wahl.
„Pass bitte auf dich auf.“, flehte er.
Ich versicherte ihm, dass ich vorsichtig sein würde und stieg dann in den Wagen ..
Gegen Abend kam ich zu Hause an. Es tat gut mal alleine mit Mama und Papa zu sein. Ohne Besucherstress oder Kindergeschrei. Ich hatte die ruhigen Stunden genossen und saß am nächsten Morgen schon in Teutas und Agrons neu eingerichtetem Wohnzimmer. Ich war gerade erst gekommen, Agron hatte nur 5 Minuten davor das Haus verlassen, so war mir ein Treffen erspart geblieben. Angeblich war er auf einem Meeting, Gott weiß, wo er wirklich war. Als Teuta mit einer Kollegin über Schularbeiten telefonierte, nutzte ich die Gelegenheit um in Aktion zu treten.
„Ich geh auf die Toilette.“, flüsterte ich ihr zu.
Sie nickte kurz angebunden und wandte den Blick wieder von mir ab. Gut so, sie schien vertieft in ihrem Gespräch und das kam mir gerade gelegen. Mit klopfenden Herzen verließ ich das Zimmer und tapste durch den Flur. Im Nebenzimmer hörte ich Flamur und Besa spielen. Agrons Büro lag im zweiten Stock und während ich die Treppen hochstieg überfiel mich ein schmerzhafter Gedanke. Teuta, Flamur, Besa .. ich wusste noch nicht genau, wohin das ganze führen sollte, aber eines stand fest. Das Leben meiner Liebsten würde einen großen Schaden einnehmen, sollte ich mit der Wahrheit heraus rücken. Aber ich musste es tun, noch länger schweigen konnte ich nicht! Ich hatte genug gelitten. Leise, damit mich niemand hört, schlich ich durch den Flur. Kurz darauf fand ich mich vor Agrons Büro wieder, ich schwitzte vor Aufregung, Angst und Nervosität. Lautlos drückte den Türklinke nach unten und trat ein. Sachte ließ ich die Tür ins Schloss fallen und atmete erst einmal erleichtert aus. Schritt eins war getan. Jetzt musste ich mich an die Arbeit machen. Das Zimmer kam mir für ein Büro viel zu groß und zu protzig vor. Der Schreibtisch war riesig, sehr breit und aus massivem Edelstahl. Rechts vom Tisch stand ein großer, silberner Schrank mit Lamellentüren. Auf der anderen Seite war eine kleine Bar mit zwei Barhockern eingerichtet, die, Überraschung, Silberfarbig war. Alles in diesem Zimmer schien aufeinander abgestimmt zu sein. Allgemein wirkte es hier sehr steril, das machte auch der schöne weiße Teppich nicht wieder gut. Ich bezweifelte, dass sich hier jemand wohl fühlen konnte. Außer Agron eben ..
„Genug getrödelt.“, murmelte ich leise vor mich hin.
Ich steuerte zum Tisch zu, setzte mich auf diesen großen Stuhl. Anschließend klappte als aller erstes den Laptop auf und ließ ihn hochfahren. Unterdessen nahm ich die Schubladen in Angriff. Im ersten fand ich Rechnungen, Rechnungen und abermals Rechnungen. Der zweite war bis auf ein Büroklammern leer und auch im dritten und letzten, fand ich nichts brauchbares. Komisch, sehr komisch. Auf dem Schreibtisch lagen ein paar Ordner, ich wollte gerade danach greifen, als ich plötzlich Stimmen und Schritte vernahm.
„Ich fahr gleich los Jens, hab das Dokument vergessen.“, sprach irgendjemand.
Nein, nicht irgendjemand. Das war Agron!
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Lautlose Schreie
General FictionDafina ist angehende Jura Studentin. Sie zieht von Mannheim nach Köln, wo sie an der Seite ihres besten Freundes studieren wird. Sie ist ein ganz normales Mädchen, doch der Schein trügt. Eine Kindheit voller schlimmer Erinnerungen, ein Schwager, der...