Kapitel 76

6.4K 328 39
                                    

Kapitel 76 : 


An diesen frühen Morgenstunden herrschte noch recht wenig Verkehr und es dauerte dementsprechend nicht lange, bis ich mein Ziel erreichte. Ich erkannte Kaan schon von weitem und wurde schlagartig nervös. War das ganze auch wirklich keine Falle? Vielleicht lauerte Agron in irgendeiner Ecke und wartete auf den richtigen Zeitpunkt um mich zu schnappen. 


„Bild dir nichts ein, du Dummerchen.", murmelte ich vor mich hin. 


Paranoid? Viele würden sagen, ja. Eindeutig paranoid. Aber merkt euch eines! Ihr seid nicht paranoid, solange es jemand auf euch abgesehen hat. Ich parkte den Wagen auf der Gegenüberliegenden Straßenseite und nahm mir einen Moment um tief einzuatmen. Wir waren auf einer offenen Straße. Direkt vor dem Polizeirevier. Er konnte mir nichts machen. Der Gedanke beruhigte mich ein wenig. Ich schaltete den Motor aus, steckte die Schlüssel in meine Handtasche und stieg aus. Kaans Blick fixierte mich jetzt schon. Er stand ruhig da und wartete auf mich. Während ich mich ihm näherte, wurde mir immer wärmer. Meine Körpertemperatur stieg an, mein Puls beschleunigte sich, mein Herz raste. Anzeichen von Fieber. Oder einfach nur panischer Angst. 


„Freue mich, dich zu sehen.", sagte Kaan, als ich ihn schließlich erreichte.

„Ich bin noch nicht sicher, ob ich das erwidern kann.", antwortete ich. „Dafür muss ich erst den Grund erfahren, wieso du mich hier herbestellt hast." 


Ein Lächeln zeichnete sich aus seinen Mundwinkel ab. Lässig steckte er sich eine Hand in die Hosentasche und beobachtete mich ein paar Sekunden lang. Auch wenn mir die Art, wie er mich anschaut, ziemlich unangenehm war, ließ ich ihn gewähren. Geduld ist eine Tugend .. 


„Was denkst du denn?", fragte er mich. 

„Was ich denke?" 

„Ja. Aus welchem Grund hab ich dich herbestellt?", fuhr er fort. 


Ich überlegte kurz. Meine Antwort musste klug sein. Weder zu offensiv, noch zu defensiv. 


„Ich denke .. ich hoffe, dass du Vernunft angenommen hast. Ich hoffe, dass du in dich gegangen bist und dich gefragt hast, ob es das alles wert war. Ich hoffe, du hast eingesehen, dass es falsch war und du es wieder gut machen willst. Für dich .. für deine Mutter .. für Gott." 


Ich hielt die Luft an und wartete auf seine Reaktion, die dann auch prompt folgte. 


„Du bist ein gutes Mädchen.", sagte er. 


Ganz ehrlich jetzt, das war nicht die Antwort, die ich mir erhofft hatte. 


„Und das heißt?", hakte ich nach. 

„Das heißt, dass ich aussagen werde."

„Du wirst mir helfen Agron hinter Gittern zu bringen?", fragte ich ungläubig. 

„Ja, ich werde dafür sorgen, dass er ins Gefängnis kommt. Auch wenn das heißt, dass es mich ebenfalls erwischt.", antwortete er. 


Mein Herz machte einen Satz, ich musste mich zurück halten um nicht laut loszuschreien. Natürlich hatte ich gehofft, er würde sein Meinung geändert haben, aber dass es dann tatsächlich der Fall war, brachte mich völlig aus dem Konzept. Wieso der plötzliche Sinneswandel? Irgendwas in mir drinnen, ließ mich weiterhin skeptisch bleiben. Angst war auch da. Angst, dass ich mich umdrehe und Agron auf einmal vor mir steht. Angst, dass das alles nur eine Falle ist oder ein Traum, aus dem ich gleich aufschrecke. Aber es schien keine Falle zu sein und auch kein Traum. Es war Realität. Ich stand so kurz vor dem Sieg! 

Lautlose SchreieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt