Nur ein Brief

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Es vergingen weitere Tage. Tage in denen ich niemanden sah, außer diese eine ältere Frau, die gelegentlich nach mir sah. Doch weder Raphael noch Lucifer waren hier. Selbst wenn sie es waren, zeigten sie sich nicht. Auch von den anderen Engeln, geschweige denn Zane oder Levia war niemand in dieser Zeit zu sehen. Es wirkte fast so, als hätte sie mich zurück gelassen. Als hätten sie endlich eingesehen, dass es nicht möglich war, mir zu helfen.

Doch nach ganzen zwei weiteren Wochen, in denen ich kaum etwas aß, die Ärzte mir weiterhin androhten, mich künstlich zu ernähren, wenn ich nicht endlich anfing zu essen und ich nur noch tatenlos an die Decke starrte, entdeckte ich irgendwann einen kleinen weißen Zettel neben meinem Bett auf einem der Stühle liegen. Der Stuhl auf dem sonst Raphael immer gesessen hatte.

Es sah so aus, als hätte der Zettel schon eine Weile dort gelegen, ich hatte ihn nur nie wahrgenommen. Mit einem gewissen Kraftaufwand, griff ich langsam nach diesem und lehnte mich wieder in die Kissen zurück. Selbst so ein kleiner Moment war schon genug Anstrengung für diesen Tag. Doch ich faltete den Zettel auseinander und begann zu lesen, was darauf geschrieben stand:

„I am with you.

I am with you when the past engulfs your present und you fall into the void of the space in between. The space where you cannot seem to find yourself amongst the noise of feeling. The space where everything you knew becomes everything you are and equally as if it's all you'll ever be. I am with you here, now, in the past and the present and the future that has yet to unfold but is indeed unforeseen.

And I am sorry. I am sorry for every single thing that has hurt you so deep down inside that tomorrow brings you fear rather than fortune. I am sorry for every single day that you have felt alone in this world when there are so many of us here to stand by your side. I am sorry for the ways in which society has unfolded that force you to hide the beautiful bare bones of your being. But I am with you. Here. In this space. In the past. In the present. In the now. And I will ask no more of you then to stay standing, because I know you cannot unfeel all of this feelings."

(Ich hätte den Text auch übersetzen können aber auf Englisch hat er einfach schöner geklungen. Verzeiht mir das bitte <3 Wenn ihr nicht alles versteht, könnt ihr das auch gerne in einen Übersetzer kopieren :) )

Ich ließ meine Hände mit diesem Brief darin langsam sinken. Diese Worte klangen seltsam. Der Brief hatte auf Raphaels Stuhl gelegen, weshalb ich annahm, dass er von ihm kommen mussten. Doch er war nicht hier. Warum war er nicht hier, um mir diese Worte selbst zu sagen? Ich faltete den Zettel langsam wieder zusammen und legte ihn vor mir auf dem Bett ab. Ich wusste, dass Raphael sich Sorgen um mich machte. Das sah ich ihm jedes Mal an, wenn er sich hier in diesem Zimmer befand.

Ich wusste nicht, was genau das in mir auslöste. Diese wenigen Worte, die er dort geschrieben hatte. Nichts Großes. Nichts Weltbewegendes. Nur ein paar Worte, geschrieben auf einem simplen Blatt Papier. Doch sie reichten aus, dass sich etwas in meinem Inneren bewegte. Nur ein kleines Stück. Für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde spürte ich etwas in meinem Inneren, was danach schrie, mit alldem aufzuhören. Dieses kleine Etwas, durch das sich meine Vernunft nach oben zu kämpfen versuchte.

„Raphael?" fragte ich leise in die Stille dieses Zimmers hinein. Doch niemand antwortete. Es blieb weiterhin still um mich herum. Lediglich die leisen Geräusche von den Fluren außerhalb dieses Raumes waren zu hören. „Raphael?!" wiederholte ich, merkend wie ich langsam nervöser wurde. Ein seltsames Gefühl, wenn man wochenlang nichts anderes getan hatte, als stumm an die Decke zu starren. Meine Stimme hörte sich kratzig an, als würde sie jeden Augenblick versagen.

„Elodie? Was ist los?" Endlich trat diese, mir unheimlich bekannte Stimme, in meine Ohren und ein Teil dieser plötzlichen Anspannung wich automatisch von mir. Er war hier. Er hatte mich nicht alleine gelassen. Der blonde junge Mann, der plötzlich neben meinem Bett aufgetaucht war, sah nun mit einem besorgten Blick zu mir herunter. Doch ich wusste nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Ich wusste nicht, wie ich dieses seltsame Gefühl in meinem Inneren beschreiben sollte.

Raphael setzte sich schließlich vorsichtig an die Kante meines Bettes und griff nach einer meiner Hände. Ich blickte direkt darauf, als wieder diese Wärme in mir aufzusteigen schien. „Ich weiß es nicht." Antwortete ich irgendwann leise, als ich mir sicher war, dass meine Stimme nicht direkt wieder versagte. Es trat ein gewisses Schweigen zwischen uns, doch nach einem kurzen Blick zu Raphael wurde mir klar, dass wirklich etwas nicht mit mir stimmen musste.

„Du hast Angst, Elli.." Murmelte Raphael leise, nachdem er mich eine Weile beobachtet hatte. Er hatte wohl direkt gemerkt, dass etwas anders war, als zuvor. „Ich weiß nicht wie.. ich .. ich kann nicht.." Meine Stimme überschlug sich fast, während ich zu erklären versuchte, dass ich nicht beschreiben konnte was es war. „Schhh, ist schon okay." Er ließ meine Hand los, die er eben noch umfasst hatte und hob mich stattdessen etwas an, um mich in eine Umarmung zu ziehen. „Dir wird nichts passieren."

Eine ganze Weile saßen wir so da. Umschlungen von Raphaels Armen, breitete sich eine angenehme Wärme aus, die mich langsam wieder zur Ruhe kommen und dieses nervöse Zittern verschwinden ließ. Es war der erste Moment seit langem, dass ich solch eine Berührung überhaupt zuließ. „Was habe ich nur getan.." hauchte ich leise und Raphael schüttelte direkt leicht den Kopf. „Du hast gar nichts getan, Elli. Das warst nicht du."

„Raphael, was ist los?" hörte ich plötzlich eine weibliche Stimme von einer Stelle hinter ihm, woraufhin er langsam seine Arme von mir löste und sich der Person hinter sich zu wandte. „Es ist alles in Ordnung, Jo." Antwortete er allerdings nur und deutete dann auf den Stuhl neben uns. „Setz dich." Wie befohlen, ließ sich Jo auf diesem Stuhl nieder und blickte dann ein wenig verwirrt zu mir. Ich war allerdings selbst zu irritiert von dem, was mit mir passierte, dass ich nicht in der Lage war, selbst etwas dazu zu sagen.

„Ich weiß nicht wie das passiert ist, aber sie hat Angst." Versuchte Raphael Jo diese Situation nun zu erklären, welche daraufhin nur langsam nickte. „Wir sind auf dem richtigen Weg?" fragte sie dann jedoch und ich konnte sehen wie sich ein leichtes Lächeln auf Raphaels Lippen schlich. „Das sind wir." Das Lächeln übertrug sich automatisch auf Jo und ich konnte sehen, wie erleichtert sie über diese Aussage war. Obwohl ich noch immer nicht verstand, was das zu bedeuten hatte.

„Elodie? Du solltest jetzt noch ein wenig schlafen." sagte Raphael nun an mich gewandt und drückte mich wieder sanft in die Kissen zurück. „Aber ich.." „Keine Ausreden, du musst dich ausruhen." Beharrte er auf seiner Meinung und wandte sich dann wieder Jo zu, die nun allerdings nicht mehr mich beobachtete, sondern ihren Blick auf etwas anderes gerichtet hatte. Etwas dass sich nur wenige Zentimeter neben dem Platz befand, wo Raphael nun saß. Der weiße Zettel mit diesen seltsamen Worten, der wohl verantwortlich für mein Verhalten war.

„Raph?" Jo's Stimme war nun leiser, um mich nicht zu stören. Doch sie wirkte auch deutlich verunsichert. Vorsichtig griff sie an Raphael vorbei und hob diesen Zettel auf, den beide bei ihrem Auftauchen nicht wahrgenommen hatten. Ich sah noch, wie die beiden einen unklaren Blick wechselten, den ich allerdings nicht deuten konnte. Nur einen Augenblick später, erfasste mich die Erschöpfung ausgehend von der vorigen Anstrengung und die Dunkelheit überkam mich, während ich wie schon so oft in den Schlaf gezogen wurde.

Sonahm ich auch nicht mehr wahr, wie Raphael sich nun selbst etwas unsicher indem Zimmer umsah und dann mit einem leichten Kopfschütteln zu Jo blickte. „Nein, der ist ganz sicher nicht von mir."

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt