Nicht so, wie es scheint

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Mit nur einer kurzen Bewegung drehte er mich zu sich um. Doch sein Blick war nur für einen kurzen Moment auf mein Gesicht gerichtet, ehe er seinen Kopf wieder ein wenig senkte und die Küsse an meinem Hals fortsetzte. Da ich mich ihm nicht direkt widersetzte, nahm er dies wohl als Anlass, ein wenig weiter zu gehen. Aus diesem Grund bewegten sich seine Hände in die Richtung meiner Taille, wodurch er mich schließlich ein wenig an seinen Körper drückte. Allerdings gefiel mir dies ganz und gar nicht.

Seit Jahren hatte ich Körperkontakt dieser Art vermieden. Wir hatten uns die ganzen Wochen über gut verstanden und dennoch hatte sich Anthony von einen auf den anderen Moment zu einer Person entwickelt, die ich nicht einmal ansatzweise in meiner Nähe wissen wollte. Für ihn würde es womöglich nicht so wirken, doch er löste mit seinem Handeln so viele grauenvolle Erinnerungen in mir aus, dass ich nichts anderes mehr wollte, als ihn loszuwerden. Dass ich lediglich ein zwar langes, aber zugleich rückenfreies Kleid trug, machte es nicht unbedingt angenehmer.

Wie ein Reflex legten sich meine Hände an Tony's Oberkörper und ich versuchte so, ihn ein wenig von mir weg zu schieben. „Hör auf damit." Gab ich mit einer leisen, aber eindeutig nicht mehr ganz so gelassenen Stimme von mir. Erst schien Tony nicht darauf zu reagieren, da ich weiterhin spüren konnte, wie seine Hände mich daran hinderten, aus dieser furchtbaren Nähe zu kommen. Doch zu meinem Glück, hob er immerhin seinen Kopf ein wenig an, um mich ansehen zu können. „Ich werde dir nicht weht.." Er verstummte augenblicklich, als sein Blick den meinen traf und ich spürte augenblickliche Veränderung in seinem Gesichtsausdruck. „Was zur Hölle.."

Mein Blick lag fest auf ihn gerichtet, während ich hauptsächlich damit beschäftigt war, meine Tränen zurückzuhalten. Doch es war nicht meine Reaktion auf sein Verhalten, die ihn plötzlich stoppen ließ. Es war etwas, was ich in diesem Augenblick nicht einmal selbst wahrgenommen hatte. „Lass deine Finger von mir." Langsam und mit einem seltsamen Grad an Unsicherheit in seinem Blick, zog Anthony schließlich seine Hände zurück und ich bewegte mich sofort ein paar Schritte von ihm weg.

Ich blickte nur noch einmal in sein, nun von Irritation gekennzeichneten Gesichtsausdruck, mit dem er mich weiterhin ansah, ehe ich mich wieder in Bewegung setzte und ohne ein weiteres Wort an ihm vorbei Richtung Tür lief. Keine Sekunde länger wollte ich mit ihm zusammen in einem Raum sein. Anfangs hatte ich ihn als einen der einfühlsamsten Menschen wahrgenommen, die ich jemals getroffen hatte. Ich erinnerte mich auch noch sehr gut daran, dass Raphael ihn als wahren Engel bezeichnet hatte. Dieser Aussage hatte ich vertraut. Daran geglaubt, dass mein Leben nun vielleicht wirklich genau so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich verstand absolut nicht, weshalb sich Tony so plötzlich in einen mir so fremden Menschen verwandeln konnte.

Mit schnellen Schritten verließ ich das Gebäude und mit jedem Schritt den ich tat, fühlte ich mich ein wenig befreiter. Frei von ihm und seinem Griff, der mich erst nicht gehen lassen wollte. Ich konnte mich glücklich schätzen, dass er aufgehört hatte. Aus welchem Grund auch immer. Doch trotz dieser wieder entstandenen Freiheit, fühlte ich mich benutzt. Vollkommen bloßgestellt, von einem der wenigen Menschen, denen ich Vertrauen geschenkt hatte. Nach nur wenigen Metern, konnte ich die Tränen schließlich nicht mehr zurückhalten und ich ließ ihnen einfach freien Lauf.

Wie konnte es sein, dass ich einem völlig normalen Menschen vertraute und er sich als genau das selbe Monster herausstellte, an welches ich bereits schon einmal geraten war. Ich konnte nicht mehr von Schicksal sprechen, denn ich musste wohl einfach zu leichtsinnig darin sein. Zu glauben, dass es einmal hätte anders sein können. Ich zog solche Menschen wohl einfach magisch an, auch wenn es anfangs absolut nicht so wirkte. Durch die bereits eintretende Dämmerung, musste es um mich herum nun ein wenig kühler werden. Obwohl ich diese Kälte nicht spüren konnte, begann ich zu frösteln.

Mit tränenzerlaufenen Gesicht irrte ich also in diese Straßen umher, ohne überhaupt so wissen, welcher Weg eigentlich nach Hause führte. Ich war alleine. Alles um mich herum war still und ich konnte keine Menschenseele entdecken, bei der ich Hilfe suchen könnte. Ich fühlte mich einfach nur dreckig, obwohl kaum etwas vorgefallen war. Doch ich konnte noch immer seine Berührungen spüren, die mich nicht mehr loszulassen schienen. Ich strich mir einmal flüchtig über die Augen und legte dann wieder meine Arme um meinen Körper, um mir so selbst ein wenig Halt zu geben. Doch das Zittern wurde nur noch stärker. Allerdings war die Kälte nicht der Grund für diesen Zustand.

Auf keinen Fall würde ich zu Tony zurückkehren, um ihn darum zu bitten, mich nach Hause zu bringen. Nicht für eine einzige Sekunde, dachte ich auch nur daran. Wenn es nötig war, würde ich den gesamten Weg zu Fuß gehen, egal wie lange es dauern würde. Wie sehr wünschte ich mir in diesem Augenblick, Raphael noch immer als meinen Schutzengel zu haben. Womöglich wäre es gar nicht erst soweit gekommen oder ich hätte ihn genau jetzt, um Hilfe bitten können. Jedoch wusste ich, dass er nicht mehr dauerhaft sehen konnte, was mit mir passierte. Ich konnte nur hoffen, dass er es auf irgendeine Weise mitbekam. Doch es blieb vollkommen still um mich herum.

Genauso still blieb es auch in der gesamten nächsten Stunde, die ich einfach weiterlief, zu erahnen versuchend, welcher Weg nach Hause führte. Ich zitterte bereits am ganzen Körper , konnte jedoch nichts dagegen tun. Ich fühlte mich verraten. Warum war mir nicht vorher schon aufgefallen, was für ein Mensch Anthony wirklich war? Ich hätte die gesamte Nacht hier in irgendeiner Gasse sitzen können, ohne dass sich jemand fragen würde, wo ich war. Kein sehr schlechter Gedanke. Doch ich lief weiter. Die Tränen waren mittlerweile versiegt, doch meine Gedanken waren schon lange nicht mehr im Hier und Jetzt.

„Elli?" Ich nahm diese Stimme überhaupt nicht wahr, sondern lief völlig teilnahmslos weiter. Nur einen Augenblick später, ertönte diese Stimme erneut. „Hey, Elli? Was machst du denn?" Ich realisierte erst, zu wem diese Stimme gehörte, als die Person direkt vor mir stand und mich dadurch anhalten ließ. Mein Blick richtete sich wie automatisch auf das Gesicht vor mir und die Tränen suchten augenblicklich wieder ihren Weg, als ich in das klare blau von Raphaels Augen blickte. „Was ist denn los?"

Doch auf keine dieser Fragen, gab ich ihm eine Antwort. Ich konnte es einfach nicht. Darüber sprechen, was vorgefallen war. Selbst wenn es sich im ersten Moment vermutlich gar nicht so schlimm anhören würde. Doch verbunden mit meinen Erinnerungen zu genau einem solchen Moment, nur etwas weiter zurück in der Vergangenheit, machte es diesen kurzen Moment zu einem weiteren, der schrecklisten in meinem Leben. Auch in Raphaels Gesichtsausdruck konnte ich nun eine Veränderung feststellen, als unsere Blicke sich kreuzten. „Oh verdammt.." Doch anstatt Verwirrung, machte sich bei ihm eindeutige Besorgnis sichtbar. Ich wollte jedoch nicht darüber nachdenken, warum.

In den darauffolgenden Minuten sagte Raphael kein Wort mehr. Ich sah lediglich, wie er sein Handy zückte und er mich dabei weiter den Weg entlang führte. Bis zu dem strahlend weißen Wagen, den ich bereits kannte. Wie auch immer der so plötzlich hier aufgetaucht war, denn soweit ich mittlerweile wusste, brauchten die Engel im Normalfall keine Fahrzeuge, um sich fortzubewegen. Er öffnete die Tür der Beifahrerseite und schob mich dort, fast schon bestimmend auf den Sitz. Erst dann schloss er die Tür und stieg selbst in den Wagen.

Von der Fahrt selbst, nahm ich kaum etwas wahr. Ich sah lediglich die Lichter der Straßenlaternen an uns vorbeiziehen, wie in einem Film. Weder ich noch Raphael sagten ein Wort und das, obwohl ich nicht einmal wusste, wohin er mich eigentlich brachte. Mein erster Gedanke war natürlich: nach Hause. Nach einer ganzen Weile schien es jedoch so, dass ich im Normalfall schon längst hätte wieder dort ankommen müssen. Unser Weg führte also nicht dorthin zurück, sondern schlug eine vollkommen andere Strecke ein.

Daseinzige worüber ich in den folgenden Stunden jedoch nachdachte, war lediglichdieser kurze Moment gewesen, als Anthony mir zu nahe gekommen war. Dieser kurzeMoment vermischte sich zur gleichen Zeit mit meinen alten Erinnerungen undwiederholte sich dabei immer wieder in meinem Kopf. Jede Berührung und jedesGefühl, welches dabei entstand, spielte sich in einer Dauerschleife in meinen Gedanken abund hatten mich dabei so sehr im Griff, dass ich alles andere um mich herum, kaum noch richtigwahrnahm. 

Des Teufels KöniginWo Geschichten leben. Entdecke jetzt